Vatikan/Frankreich: Sarkozy und die „positive Laizität“
Papst Benedikt XVI.
reist zu seinem ersten Staatsbesuch nach Frankreich. Präsident Nicolas Sarkozy lässt
es sich nicht nehmen, das Kirchenoberhaupt - abweichend vom sonst üblichen Protokoll
- am Freitag persönlich am Flughafen zu empfangen. Im Elysée-Palast werden die beiden
dann Reden austauschen. Schon lange denkt Sarkozy über eine Änderung des Gesetzes
zur strikten Trennung von Staat und Kirche nach. Die Gesellschaft brauche die Religionen,
betonte der Präsident der Grande Nation vergangenen Dezember bei seinem Antrittsbesuch
im Vatikan. Ein Rückblick.
Am 20. Dezember 2007 war Sarkozy im Vatikan
zu Gast und erklärte sein Verständnis von einer „positiven Laizität“. Jeder habe das
Recht, seinen Glauben zu leben und weiterzugeben, so Sarkozy im anschließenden Gespräch
mit Radio Vatikan. „Es ist immens wichtig, dass die Religionen sich an die neuen
Gegebenheiten in Frankreich anpassen. Die großen Stadtrandgebiete sind religiöse Wüsten
geworden. Das ist nicht gut, und deshalb halte ich Anpassungen des Gesetzes von 1905
für notwendig. Aber ich habe gesagt: Anpassungen kann man auf der Basis eines Konsenses
vornehmen, und nur mit einem derartigen Konsens können wir Entwicklungen vorantreiben.“ Das
Recht, sich zu Wort zu melden, müsse den Religionen im laizistischen Staat zugesichert
werden. „Die großen Religionen, auch der Islam in Frankreich, müssen sich auf
ruhige Weise äußern, mit einer Botschaft der Liebe und des Friedens. Für mich ist
es wichtig, dass sie das tun können. Es fehlt an intellektuellen Christen, an großen
Stimmen, die die gesellschaftlichen Debatten vorantreiben und zeigen, dass das Leben
nicht ein Konsumgut ist, wie jedes andere. Man braucht keine Angst vor den Religionen
zu haben; die großen religiösen Bewegungen sind Zeugen der Hoffnung. Ich sehe nicht,
warum Hoffnung dem republikanischen Ideal widersprechen sollte…“ Christen müssten
darin bestärkt werden, sich öffentlich zu Wort zu melden, so Sarkozy: „Die Botschaft
Christi ist eine sehr ermutigende Botschaft, denn sie verkündet einen verzeihenden
Gott und ein Leben nach dem Tod. Ich denke nicht, dass diese Botschaft voll Mut und
vollkommener Hoffnung gedämpft werden darf.“ Zurückhaltend äußerte Frankreichs
Präsident sich zum Islam. Laut Umfragen bezeichnen sich rund zehn Prozent der Franzosen
als Moslems. „Trotz des Gleichheitsprinzips will ich keinen ,Islam in Frankreich’
sondern einen ,französischen Islam’. Hier geht es um die Frage eines europäisierten
Islams, der mit den Werten der europäischen Gesellschaft vereinbar ist.“ Im
Exklusivinterview von Radio Vatikan und Osservatore Romano äußerte sich Sarkozy auch
zu außenpolitischen Fragen Frankreichs und Europas. Zur Türkei und den Beitrittsverhandlungen
zur EU sagte er: „Ich bin zwar nicht der Pressesprecher des Heiligen Stuhls,
aber wir haben darüber gesprochen: Die Türkei ist nicht in Europa, das ist eine geographische
Tatsache. Die Türkei ist in Kleinasien. Dennoch braucht es enge Verbindungen. Ich
will einen Partnerschaftsvertrag zwischen der Türkei und Europa, keinen Beitritt.
Meiner Meinung nach darf sie nicht in Europa sein, weil sie nicht europäisch ist.“
Der
Elysée-Palast hatte der Audienz im Vatikan große Bedeutung beigemessen. Sarkozy: „Der
Besuch ist wichtig, weil der Papst ein Staatschef ist; der Papst ist ein Religionsführer
und ich fühle mich aus Tradition und im Herzen katholisch. Er ist eine weltweite geistliche
Autorität, und für mich war dieses Treffen anders als mit anderen Staatschefs. … Er
verkörpert eine Botschaft von Frieden, Hoffnung und Versöhnung. Die Welt von heute
braucht das, denn sie ist geprägt von Trennung, Auseinandersetzung und Unverständnis.“ Wie
das Vatikanstatement betonte auch Sarkozy selbst: Das Treffen sei „extrem herzlich“
gewesen. „Er ist ein Mann großer Kultur und intelligent. Er liebt es zuzuhören
und hat große Erfahrung. Mit ihm kann offen reden.“ Eines der Hauptthemen während
des gut 20-minütigen Gesprächs war die Situation im gesamten Nahen Osten. Sarkozy:
„Wir haben im Detail über die Lage im Libanon gesprochen. Ich habe ihm gesagt, dass
Frankreich bis zur letzten Sekunde alles tun werde, um dieses Wunder der Vielfalt
im Libanon zu bewahren.“ Der Patriarch der maronitischen Kirche, Nasrallah Sfeir,
spiele eine wichtige Rolle, so Frankreichs Präsident, „durch die christlichen Gemeinden
ist der die Stimme des Papstes in der ganzen Welt präsent, vor allem im Libanon, der
viele Gläubige zählt“. Im stets schwelenden Krisenherd Nahost verfolgen Frankreich
und der Heilige Stuhl ähnliche Ziele, Sarkozy sagt: vor allem in der Palästinenserfrage:
„Der Vatikan und Frankreich wollen Frieden, wir denken, dass jetzt der Moment gekommen
ist, Frieden mit zwei Staaten zu schaffen: einem modernen Palästinenserstaat, demokratisch
und existenzfähig, und einem Staat Israel, dessen Sicherheit garantiert ist.“ Der
Papst sei mit den bei der Geberkonferenz in Paris beschlossenen Finanzhilfen sehr
zufrieden, so Sarkozy: „Denn die Not lässt den Terrorismus wachsen. Wir haben aber
auch über die Schwächen der Konferenz gesprochen, und der Papst hat seine Sorge zum
Ausdruck gebracht, ob es weitere Konferenzen geben werde.“ Das habe er, Sarkozy
Benedikt bestätigt.
Bei seinem Besuch in Rom hatte Sarkozy in der Lateranbasilika
den Titel des Ehrendomherrn angenommen. Damit knüpfte er an eine seit 1604 bestehende
Tradition an. Nur in der schlimmsten Phase des Kirchenkampfes zwischen 1905 und 1921
wurde die Tradition unterbrochen. Seit de Gaulle nahmen alle französischen Staatspräsidenten
den Titel des Ehrenkanonikus der Lateranbasilika an, doch nur Valery Giscard d`Estaing
und François Chirac kamen zuvor auch zu einer Zeremonie.