Im Spätsommer 1968
wurde der sogenannte „Harvard-Bericht“ veröffentlicht. In ihm wurde der Hirntod als
Kriterium für den Zeitpunkt festgelegt, an dem ein Mensch für tot erklärt werden kann
– eine Neuerung die Medizin und Medizinethik gleichermaßen vor vollkommen neue Tatsachen
stellte. Bis heute gilt der Hirntod als das entscheidende Kriterium für den Tod,
z.B. im Falle einer Entnahme von Organen zur Transplantation – eine Meinung, der sich
auch die katholische Kirche angeschlossen hat. Heute, genau vierzig Jahre später,
wird im Vatikan trotzdem die Frage diskutiert: Wie tot ist eigentlich hirntot? Darauf
gibt es zunächst eine klare Antwort, wie Professor Johannes Bonelli betont. Er ist
Intensivmediziner, Vorstand des österreichischen IMABE-Instituts für Bioethik und
Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben. Definitionsgemäß könne man sagen,
erklärt Bonelli:
„Der Mensch ist dann tot oder das Lebewesen überhaupt biologisch
gesehen, wenn es zu einer Desintegration der Teile vom Ganzen gekommen ist, also wenn
das Ganze als Lebewesen nicht mehr vorhanden ist. Und dazu gibt es objektive Kriterien
und das Hauptkriterium war immer, also schon von jeher, der Hirntod.“
Festgestellt
wird der Hirntod durch das Messen der Hirnströme. Wenn innerhalb eines gewissen Zeitraums
keine Hirnstromaktivität mehr festzustellen ist, gilt ein Mensch als hirntot. Zwar
gebe es auch noch so genannte Sekundärparameter, sagt Bonelli:
„Aber als
solche sind die nicht definiert, dass sie schon den Tod ausmachen. Sondern durch den
Herzstillstand kommt es auch zum Kreislaufstillstand und nach einigen Minuten oder
auch, wenn die Temperaturen niedrig sind, kann das auch Stunden dauern, kommt es eben
zur Schädigung des Gehirns und dann kann man vom Tod sprechen. Also der Herzstillstand
ist nie als Tod angesehen worden. Sondern man hat immer gesagt: Wir warten noch einige
Zeit und wenn das Hirn irreversibel geschädigt und damit ist die Integrationsfunktion,
die Ganzheit des Lebewesens nicht mehr möglich und der Mensch ist tot.“
Medizinisch
gesehen offenbar eine eindeutige Definition. Nicht so für die italienische Autorin
Lucetta Scaraffia. Sie hat auf der Titelseite der Vatikanzeitung Osservatore Romano
einen Artikel veröffentlicht, in dem sie schreibt, der Hirntod als Kriterium für die
Feststellung des Todes sei überholt und allein den Interessen der Transplantationsmedizin
geschuldet. Es gehe den Ärzten hauptsächlich darum, intakte Organe entnehmen zu können.
Diese Darstellungsweise sei aber zu simpel, sagt Bonelli. Und auch Anton Losinger,
Weihbischof in der Diözese Augsburg und Mitglied des deutschen Ethikrates, betont,
dass es insbesondere im Falle von Organstransplantationen um viel mehr gehe als nur
um einen medizinisch „brauchbaren“ Zeitpunkt. Denn:
„gerade bei der Frage
der Organspende muss ja der Todeszeitpunkt in einer Weise festgestellt werden, dass
er für alle Menschen vertrauenswürdig und verlässlich ist. Niemand würde einen Organspendeausweis
unterzeichnen, wenn er nicht wüsste, dass tatsächlich erst im Augenblick des Eintritts
des Todes die Entnahme eines Organs vorkommen würde.“
Scaraffia ist bei
weitem nicht die einzige Kritikerin des Hirntods als Kriterium für die Festlegung
des Todeszeitpunkts. Immer wieder führten die Gegner auch Zweifel an der Analyse-Methode
an, sagt Weihbischof Losinger. Denn es sei oftmals so,
„dass man den rein
physikalisch-naturwissenschaftlich-chemisch-medizinischen Vorgängen nicht traut, die
der Hirntod-Analyse zugrunde liegen. Und hier gibt es immer wieder auch eine Reihe
von etwas unverständlichen Phänomenen, die nach vorne gebracht werden. Allerdings
muss man sagen, und das ist auch etwas, was ich den Mitgliedern des Deutschen Ethikrates,
dessen Mitglied ich bin, und die ja wirklich auch zum Teil aus hoch qualifizierten
medizinischen Ausbildungsfeldern kommen, glaube, dass jenseits einer elektrischen
Messung von Hirnströmen und damit einer Feststellung des Hirntodes, wie er klassischerweise
geschieht, wir keine bessere Methode haben. Insofern bleibt uns medizinisch gesprochen
kein anderer Weg.“
Über das Hirntod-Kriterium als solches
könne man nicht diskutieren, betont auch Johannes Bonelli:
„Es war immer
der Hirntod, ich sage es noch einmal. Er ist nur immer mit unterschiedlichen Methoden
festgestellt worden. Heutzutage kann man natürlich auch mit der Computertomographie,
mit Magnetresonanztomographie den Hirntod feststellen. Früher hat man eben die Pupillenreaktion
genommen. Und da kann man jetzt [nicht] sagen, dass der Hirntod nicht mehr zeitgemäß
ist. Wenn, dann kann man höchstens sagen: Die Methoden, um es festzustellen, sind
nicht mehr zeitgemäß, man muss vielleicht andere Methoden anwenden – theoretisch jetzt.“
Und
nicht nur in medizinischer, sondern auch in sozialer Hinsicht sei ein Kriterium wie
der Hirntod, das den Zeitpunkt des Todes angebe, von zentraler Bedeutung, erklärt
Anton Losinger. Denn es stelle sich immer die Frage:
„Wie geht man konkret
mit dem Eintritt dieses wichtigsten Ereignisses im Laufe des menschlichen Lebens um.
Und hier ist in der Tat die Frage: Wir müssen irgendeinen Zeitpunkt feststellen. Wir
müssen irgendeinen Punkt nennen, an dem wir sagen: Jetzt müssen wir uns von diesem
Menschen im Tod verabschieden.“
Dabei müsse man sich
stets im Gedächtnis halten, dass auch dieser Zeitpunkt ein von Menschen gesetzter
sei. Denn schließlich, so Johannes Bonelli, könne es nie eine hundertprozentige Sicherheit
über den tatsächlichen Zeitpunkt geben, an dem eine Seele ihren Körper verlasse. Wenn
man aber über das Thema Tod und besonders über den Hirntod diskutiere, müsse man immer
die philosophische von der medizinisch-naturwissenschaftlichen Perspektive trennen.
Und genau das tue die Kirche, erklärt Weihbischof Anton Losinger. Es sei vollkommen
klar, dass es zum Hirntod aus medizinischer Sicht keine Alternative gebe. Aber:
„Die
katholische Kirche denkt natürlich über das naturwissenschaftliche Feld hinaus und
sie betrachtet den Tod natürlich in einer übergreifenden, metaphysischen Sicht der
Dinge. Ein wichtiger Punkt, der uns heute auch etwa mit der gesamten gesellschaftlichen
Sicht des Todes verbindet, ist der, dass wir von einem Todesprozess sprechen. Also:
Nicht ein Punkt, an dem wir sagen ‚Jetzt ist ein Mensch, der gerade noch lebendig
war, tot.’ Sondern wir sagen: ‚Der Todeszeitpunkt ist ein prozessualer Vorgang.’“ (rv
05.09.2008 wh)