2008-09-05 13:42:19

Vatikan/D: Wie tot ist hirntot?


RealAudioMP3 Im Spätsommer 1968 wurde der sogenannte „Harvard-Bericht“ veröffentlicht. In ihm wurde der Hirntod als Kriterium für den Zeitpunkt festgelegt, an dem ein Mensch für tot erklärt werden kann – eine Neuerung die Medizin und Medizinethik gleichermaßen vor vollkommen neue Tatsachen stellte. Bis heute gilt der Hirntod als das entscheidende Kriterium für den Tod, z.B. im Falle einer Entnahme von Organen zur Transplantation – eine Meinung, der sich auch die katholische Kirche angeschlossen hat. Heute, genau vierzig Jahre später, wird im Vatikan trotzdem die Frage diskutiert: Wie tot ist eigentlich hirntot? Darauf gibt es zunächst eine klare Antwort, wie Professor Johannes Bonelli betont. Er ist Intensivmediziner, Vorstand des österreichischen IMABE-Instituts für Bioethik und Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben. Definitionsgemäß könne man sagen, erklärt Bonelli:

„Der Mensch ist dann tot oder das Lebewesen überhaupt biologisch gesehen, wenn es zu einer Desintegration der Teile vom Ganzen gekommen ist, also wenn das Ganze als Lebewesen nicht mehr vorhanden ist. Und dazu gibt es objektive Kriterien und das Hauptkriterium war immer, also schon von jeher, der Hirntod.“

 
Festgestellt wird der Hirntod durch das Messen der Hirnströme. Wenn innerhalb eines gewissen Zeitraums keine Hirnstromaktivität mehr festzustellen ist, gilt ein Mensch als hirntot. Zwar gebe es auch noch so genannte Sekundärparameter, sagt Bonelli:

„Aber als solche sind die nicht definiert, dass sie schon den Tod ausmachen. Sondern durch den Herzstillstand kommt es auch zum Kreislaufstillstand und nach einigen Minuten oder auch, wenn die Temperaturen niedrig sind, kann das auch Stunden dauern, kommt es eben zur Schädigung des Gehirns und dann kann man vom Tod sprechen. Also der Herzstillstand ist nie als Tod angesehen worden. Sondern man hat immer gesagt: Wir warten noch einige Zeit und wenn das Hirn irreversibel geschädigt und damit ist die Integrationsfunktion, die Ganzheit des Lebewesens nicht mehr möglich und der Mensch ist tot.“

Medizinisch gesehen offenbar eine eindeutige Definition. Nicht so für die italienische Autorin Lucetta Scaraffia. Sie hat auf der Titelseite der Vatikanzeitung Osservatore Romano einen Artikel veröffentlicht, in dem sie schreibt, der Hirntod als Kriterium für die Feststellung des Todes sei überholt und allein den Interessen der Transplantationsmedizin geschuldet. Es gehe den Ärzten hauptsächlich darum, intakte Organe entnehmen zu können. Diese Darstellungsweise sei aber zu simpel, sagt Bonelli. Und auch Anton Losinger, Weihbischof in der Diözese Augsburg und Mitglied des deutschen Ethikrates, betont, dass es insbesondere im Falle von Organstransplantationen um viel mehr gehe als nur um einen medizinisch „brauchbaren“ Zeitpunkt. Denn:

„gerade bei der Frage der Organspende muss ja der Todeszeitpunkt in einer Weise festgestellt werden, dass er für alle Menschen vertrauenswürdig und verlässlich ist. Niemand würde einen Organspendeausweis unterzeichnen, wenn er nicht wüsste, dass tatsächlich erst im Augenblick des Eintritts des Todes die Entnahme eines Organs vorkommen würde.“

Scaraffia ist bei weitem nicht die einzige Kritikerin des Hirntods als Kriterium für die Festlegung des Todeszeitpunkts. Immer wieder führten die Gegner auch Zweifel an der Analyse-Methode an, sagt Weihbischof Losinger. Denn es sei oftmals so,

„dass man den rein physikalisch-naturwissenschaftlich-chemisch-medizinischen Vorgängen nicht traut, die der Hirntod-Analyse zugrunde liegen. Und hier gibt es immer wieder auch eine Reihe von etwas unverständlichen Phänomenen, die nach vorne gebracht werden. Allerdings muss man sagen, und das ist auch etwas, was ich den Mitgliedern des Deutschen Ethikrates, dessen Mitglied ich bin, und die ja wirklich auch zum Teil aus hoch qualifizierten medizinischen Ausbildungsfeldern kommen, glaube, dass jenseits einer elektrischen Messung von Hirnströmen und damit einer Feststellung des Hirntodes, wie er klassischerweise geschieht, wir keine bessere Methode haben. Insofern bleibt uns medizinisch gesprochen kein anderer Weg.“

 
Über das Hirntod-Kriterium als solches könne man nicht diskutieren, betont auch Johannes Bonelli:

„Es war immer der Hirntod, ich sage es noch einmal. Er ist nur immer mit unterschiedlichen Methoden festgestellt worden. Heutzutage kann man natürlich auch mit der Computertomographie, mit Magnetresonanztomographie den Hirntod feststellen. Früher hat man eben die Pupillenreaktion genommen. Und da kann man jetzt [nicht] sagen, dass der Hirntod nicht mehr zeitgemäß ist. Wenn, dann kann man höchstens sagen: Die Methoden, um es festzustellen, sind nicht mehr zeitgemäß, man muss vielleicht andere Methoden anwenden – theoretisch jetzt.“

Und nicht nur in medizinischer, sondern auch in sozialer Hinsicht sei ein Kriterium wie der Hirntod, das den Zeitpunkt des Todes angebe, von zentraler Bedeutung, erklärt Anton Losinger. Denn es stelle sich immer die Frage:

„Wie geht man konkret mit dem Eintritt dieses wichtigsten Ereignisses im Laufe des menschlichen Lebens um. Und hier ist in der Tat die Frage: Wir müssen irgendeinen Zeitpunkt feststellen. Wir müssen irgendeinen Punkt nennen, an dem wir sagen: Jetzt müssen wir uns von diesem Menschen im Tod verabschieden.“

 
Dabei müsse man sich stets im Gedächtnis halten, dass auch dieser Zeitpunkt ein von Menschen gesetzter sei. Denn schließlich, so Johannes Bonelli, könne es nie eine hundertprozentige Sicherheit über den tatsächlichen Zeitpunkt geben, an dem eine Seele ihren Körper verlasse. Wenn man aber über das Thema Tod und besonders über den Hirntod diskutiere, müsse man immer die philosophische von der medizinisch-naturwissenschaftlichen Perspektive trennen. Und genau das tue die Kirche, erklärt Weihbischof Anton Losinger. Es sei vollkommen klar, dass es zum Hirntod aus medizinischer Sicht keine Alternative gebe. Aber:

„Die katholische Kirche denkt natürlich über das naturwissenschaftliche Feld hinaus und sie betrachtet den Tod natürlich in einer übergreifenden, metaphysischen Sicht der Dinge. Ein wichtiger Punkt, der uns heute auch etwa mit der gesamten gesellschaftlichen Sicht des Todes verbindet, ist der, dass wir von einem Todesprozess sprechen. Also: Nicht ein Punkt, an dem wir sagen ‚Jetzt ist ein Mensch, der gerade noch lebendig war, tot.’ Sondern wir sagen: ‚Der Todeszeitpunkt ist ein prozessualer Vorgang.’“
 
(rv 05.09.2008 wh)







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