Die Jagd auf Christen
im Bundesstaat Orissa geht weiter. Indiens Christen haben deshalb für den kommenden
Sonntag einen Tag des Fastens, des Gebets und der Solidarität mit Orissas Christen
ausgerufen. In einer Erklärung beklagen die katholischen Bischöfe Indiens auch zahlreiche
Fälle von Zwangskonversionen: Christen würden gezwungen, sich zu Hindus zu erklären.
Damit drehen die Bischöfe den Vorwurf, den radikale Hindugruppen gegen Christen erheben,
kurzerhand um. Einen Tag des Gebets für verfolgte Christen in Indien hält auch die
italienische Kirche – und zwar schon an diesem Freitag, weil das nämlich das Fest
der seligen Mutter Teresa von Kalkutta ist.
Mutter Teresas Nachfolgerin an
der Spitze der „Missionarinnen der Nächstenliebe“ ist Schwester Nirmala. Sie ruft
am Radio-Vatikan-Mikro eindringlich zum Frieden auf.
„Liebe Brüder und Schwestern
in Orissa und ganz Indien! Vergessen wir nicht unsere wahre Identität als geliebte
Kinder Gottes! Wir sind doch Geschwister, ganz gleich, welcher Religion, Rasse, Kultur
oder Sprachgruppe wir angehören! Ob wir arm oder reich sind – nichts sollte uns untereinander
trennen. Und vor allem: Gebrauchen wir nicht die Religion als Mittel zur Spaltung
untereinander! Das Wesen aller Religionen ist die Liebe – Gottes Liebe und die Liebe
unter uns. Gewalt, die sich auf Religion beruft, ist ein Mißbrauch der Religion.“
Nirmala
zitiert ihre Vorgängerin Mutter Teresa: Religion sei ein Werk der Liebe, sie sei nichts
Zerstörerisches.
„Im Namen Gottes, im Namen unserer Menschlichkeit, die
zu Großem, die zur Liebe geschaffen ist, und im Namen unseres Landes, seines edlen
Erbes, im Namen der Armen, der Leidenden, der Opfer dieser sinnlosen Gewalt und Zerstörung:
Beten wir! Öffnen wir unseren Geist und unser Herz für das Licht und die Liebe Gottes!
Legen wir die Waffen des Hasses und der Gewalt nieder, und vergeben wir uns gegenseitig!“
Nirmala
ruft auch zum Gebet für den Hindu-Führer Swami Laximanand Sarasvati und seine Begleiter
auf. Der Mord an den fünf Menschen am 23. August war der unmittelbare Auslöser für
die Gewalt in Orissa gewesen. Zu der Tat hat sich mittlerweile eine Maoistengruppe
bekannt.
Angeheizt werden die Unruhen im Bundesstaat Orissa durch konkrete
wirtschaftliche Interessen von Landbesitzern. Davon ist der Erzbischof von Bophal
in Zentral-Indien, Leo Cornelio, überzeugt. Neun von zehn Christen in Orissa seien
Stammesangehörige und Kastenlose (Dalits) mit geringer Bildung. Sie dienten den reichen
Bauern als billige Arbeitskräfte, so der Erzbischof bei einem Besuch des katholischen
Hilfswerks „Kirche in Not“ am Freitag in München. Die hinduistischen Landbesitzer
fürchteten, ihre Arbeiter könnten mit einer besseren Ausbildung durch christliche
Schulen in die Städte abwandern. Außerdem hätten sie Angst, dass sich die Christen
nicht mehr so leicht politisch beeinflussen ließen wie bisher. „Die Christen lehren,
dass alle vor Gott gleichwertig sind“, so Erzbischof Cornelio. „Die reichen Bauern,
die noch am Kastensystem festhalten, stört das.“ Sie beeinflussten die örtlichen Sicherheitsbehörden,
gegen Gewaltexzesse nicht einzuschreiten.
Politik sei in Indien wieder sehr
stark mit der Religion verknüpft; die Zeit des indischen Säkularismus sei vorbei,
fuhr der Erzbischof fort. Die Christen, besonders die Katholiken, seien für ihr überproportionales
Engagement bei Bildung und Gesundheit bekannt. Während es insgesamt lediglich drei
Prozent Christen gebe, betrieben sie immerhin ein Fünftel bis ein Viertel aller Schulen.
Viele fragten sich inzwischen, was die Leute dazu motiviert, sich so stark einzusetzen.
„Der Einfluss ist tatsächlich hoch - und das ist ein Grund, die Christen zu beneiden.
Und aus Neid wird oftmals Hass“, sagte Erzbischof Cornelio.
Auch die soziale
Arbeit der Kirche mache viele Menschen neugierig auf das Christentum. „Andere werfen
den Christen deshalb vor, die Armen unter den Hindus zum Übertritt zu zwingen oder
zu verführen“, sagt der Oberhirte von Bophal. Dieser Vorwurf treffe aber nur auf „einige
Sekten wie die Pfingstler“ zu. In sechs Bundesstaaten Indiens sei der Übertritt vom
Hinduismus zu einer anderen Religion verboten, darunter auch in Orissa. Die Mehrheit
der Hindus seien tolerant, betonte er, „nur bedeuteten einige Prozent Hindu-Extremisten
eben in Indien schon zwanzig bis dreißig Millionen Menschen“.
Wegen der Gewalt
in Orissa haben der Weltrat der Kirchen und der Lutherische Weltbund an Indiens Premierminister
Manmohan Singh geschrieben. Sie drängen ihn, „für ein sofortiges Ende der Gewalt zu
sorgen“. Die Ausschreitungen träfen „den verwundbarsten Teil der Bevölkerung“. Der
Weltrat der Kirchen bittet alle seine Mitglieder, am Sonntag ebenfalls einen Tag des
Fastens und Betens für die verfolgten Christen in Orissa einzuhalten.