2008-09-05 13:39:56

Ghana/D: 50 Jahre Entwicklungshilfe - Was ist schief gelaufen?


RealAudioMP3 Wie effizient ist Entwicklungshilfe in Afrika? Über diese Frage diskutierten in dieser Woche die Teilnehmer einer Internationalen Konferenz in Ghanas Hauptstadt Accra. Über 1.000 Experten aus zahlreichen Geber- und Empfängerländern wollten überprüfen, ob das Ziel der vor einigen Jahren verabschiedeten „Pariser Erklärung“ erreicht worden ist, nämlich die Zahl der Armen auf der Welt bis zum Jahr 2010 drastisch zu verringern. In Deutschland hat der Gründer der Menschenrechtsorganisation „Cap Anamur“, Rupert Neudeck, die Konferenz zum Anlass genommen, eine radikale Änderung der internationalen und besonders der deutschen Entwicklungshilfepolitik zu fordern. Und Neudeck ist nicht der einzige Kritiker...

Entwicklungshilfe in Deutschland und der Welt, so sagen die Unterzeichner der von Rupert Neudeck aufgesetzten „Bonner Erklärung“, basiert auf der Gleichung „Mehr Geld gleich mehr Entwicklung“. Aber diese Gleichung gehe nicht auf. Im Gegenteil: Die Entwicklungspolitik habe in den letzten 50 Jahren auf ganzer Linie versagt, stellt Wilfried Pinger fest. Pinger ist ehemaliger entwicklungspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion und hat Neudecks Erklärung mit unterschrieben. Die Ursache für die schlechte Bilanz der Entwicklungshilfe sieht er darin,
 
„dass man meinte, Entwicklung könnte man über staatliche Strukturen, insbesondere in Afrika, bewirken. Und das hat sich als irrige Meinung erwiesen. Warum? Weil die Staatsmänner, die so genannten Eliten, weil die, die das Sagen haben, da, wie sich gezeigt hat, an dem Schicksal der Armen und Ärmsten nicht interessiert sind, sondern an ihrem eigenen Fortkommen und ihrem Egoismus und daraus müssen die Konsequenzen gezogen werden.“

Ähnlich sieht das auch Volker Mönikes. Er ist als Beobachter für die Hilfsorganisation Misereor in Accra und fordert, dass eine Reform der Entwicklungshilfe daher auf der politischen Ebene ansetzen müsse:
 
„Ohne diese politischen Änderungen wird es nicht gehen. Es wäre aber falsch zu sagen, dass man die politischen Veränderungen abwarten muss, bevor Entwicklungshilfe dann wieder greifen kann. Im Gegenteil: Ich glaube, es muss Bestandteil von Entwicklungshilfe sein, die Kräfte zu stärken, die sich in den Ländern für diese politischen Veränderungen einsetzen. Das sind z.B. die Kirchen, das sind viele Nichtregierungsorganisationen. Allerdings dies mit Nachdruck, mit großer Kraft und auch mit dem Mut zu manchmal unangenehmen Auseinandersetzungen. Die Zeit, wo Diktatoren Komplimente von uns bekommen, muss ein und für alle Mal vorbei sein.“

Doch bei solchen politischen Forderungen dürfe keineswegs Schluss sein, betont Wilfried Pinger. Denn die Probleme mit korrupten Politikern und die Behinderungen durch die Bürokratie hätten eine viel fundamentalere Ursache:
 
„Es ist so, dass „Hilfe zur Selbsthilfe“ immer das Motto war, in Wirklichkeit aber nicht praktiziert worden ist. Über 80 % der Mittel sind in diese ineffizienten und korrupten staatlichen Strukturen gegangen und unten, bei den Armen und Ärmsten, ist kaum etwas angekommen. Was muss geschehen? Man muss das Verhältnis umkehren, es müssen also mindestens 80 % unmittelbar an die gehen, um die es geht, nämlich die Armen und Ärmsten.“
Und trotzdem: Es sei der richtige Weg, den Ärmsten und Armen zu ermöglichen, sich selbst zu helfen. Das beste Beispiel hierfür seien die Kleinstkredite, die der Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus in Bangladesh an Bedürftige vergibt. Dieses Beispiel müsse Schule machen, so Pinger – und zwar schnell:
 
„Wenn wir ganz konsequent jetzt unsere Mittel in die Selbsthilfestrukturen geben – und das ist möglich –, dann haben wir noch eine gute Chance, dieses Ziel entweder zu erreichen bis zum Jahr 2015 oder diesem Ziel jedenfalls wesentlich näher zu kommen. Aber es ist jetzt Halbzeit!“

 
„Hilfe zur Selbsthilfe“ – das ist auch das große Thema der Konferenz in Ghana. Zumindest auf dem Papier. Denn, so kritisiert Misereor-Beobachter Volker Mönikes:
 
„So wie wir es beobachten, wird da über viele technische Fragen gesprochen, aber wir sehen nicht, dass der Wille, wirklich die Entscheidung über das, was mit Entwicklungshilfemitteln und Entwicklungshilfe geschieht, an die Armen zu geben, besteht. Nach wie vor sind ganz große Organisationen, die sich dazwischen hängen, sind Bürokratien, die die Mittel verwalten, und es sind eben nicht die Menschen selbst, die überhaupt nur wüssten, was an Entwicklungshilfe in ihre Länder kommt. Die Antwort auf ihre Frage folgt daraus: Es kommt darauf an, dass der Prozess transparenter gemacht wird, dass die Menschen wissen: Was kommt in unser Land? Wofür können wir es einsetzen und mitbestimmen, wo die Prioritäten sind.“

Dazu könnten auch die Kirchen ein großes Stück beitragen. Denn kirchliche Hilfsorganisationen hätten gegenüber anderen, und das heißt besonders gegenüber staatlichen Entwicklungshilfeprojekten einen entscheidenden Vorteil, sagt Mönikes, nämlich
 
„dass wir nahe, ganz ganz nahe bei den Menschen sind. Kirchen, ob katholisch oder evangelisch, gehen bis in die letzten Verästelungen der Dörfer, sie kommen in Bereiche, auch in den Städten, wo staatliche Entwicklungshilfe nie ankommt, weil Bürokratien kein Interesse daran haben, an die wirklich Allerärmsten heranzugehen. Und darüber hinaus – und das ist der zweite wichtige Aspekt – sind Kirche glaubwürdige Partner. Sie werden ernst genommen aufgrund ihrer moralischen Haltung, sie werden ernst genommen auch deshalb, weil sie selbst in vielerlei Hinsicht versuchen, selbst zu verwirklichen und zu zeigen, was auf der anderen Seite gefordert wird: ein gewisses Maß an Bescheidenheit, ein gewisses Maß auch an Denken in kleineren Strukturen und nicht das großprotzige Auftreten.“
 
(domradio/rv 05.09.2008 wh)







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