2008-08-28 16:02:44

Indien: Gewaltwelle gegen Christen reist nicht ab


RealAudioMP3 Rund ein Dutzend Tote in weniger als einer Woche - erneut erschüttert eine Gewaltwelle den ostindischen Bundesstaat Orissa, erneut richten sich die Übergriffe gegen Christen. Kirchen werden zerstört, Wohnhäuser in Brand gesteckt, auch ein Waisenhaus ging in Flammen auf, Priester und Ordensleute werden attackiert.
Auslöser ist der Anschlag auf einen Hinduführer, bei dem in Kandhamal vergangene Woche insgesamt fünf Menschen getötet wurden. Radikale Hindus machen Christen verantwortlich. Die Polizei vermutet jedoch maoistische Rebellen hinter der Tat.


Der Vatikan hat die Gewalt gegen Christen und kirchliche Einrichtungen in Ostindien verurteilt. Papst Benedikt XVI. rief bei der Generalaudienz am Mittwoch zum Frieden auf. Er verfolge „mit tiefer Traurigkeit“ die Nachrichten zu Übergriffen im Bundesstaat Orissa.
„Ich verurteile entschieden jeden Angriff auf das menschliche Leben, dessen Heiligkeit den Respekt aller verlangt. Und ich drücke meine spirituelle Nähe und Solidarität mit den Glaubensbrüdern und –Schwestern aus, die auf eine so harte Probe gestellt werden. (…) Ich appelliere an die Religionsführer und die zivilen Autoritäten, zusammenzuarbeiten im Bemühen, ein friedliches und harmonisches Zusammenleben wiederherzustellen, das schon immer ein besonderes Kennzeichen der indischen Gesellschaft war.“
Ähnlich war der Ton einer ersten Mitteilung des vatikanischen Pressesaals am Vortag. Die Anschläge verletzten die Menschenwürde hieß es. Der Heilige Stuhl „ruft alle dazu auf, jeder Art von Übergriffen ein Ende zu setzen“.

Die Region um Orissa gilt als Brutstätte religiöser Gewalt. Radikale Hindus werfen christlichen Missionaren seit langem vor, arme Mitglieder niedriger Kasten gezielt abzuwerben und finanziell für den Religionswechsel zu belohnen. An Weihnachten wurde bei Kämpfen ein Mensch getötet, mehrere Gotteshäuser und Tempel wurden beschädigt. 1999 tötete ein hinduistischer Mob in Orissa einen australischen Missionar und seine beiden Kinder. Sie verbrannten in ihrem Auto, das von der Menge angezündet worden war.


Ein radikaler Hindu-Führer erklärte dieser Tage im Fernsehen, man wolle die Gewalt nicht verteidigen, sie sei aber auch nicht schlecht, denn die Christen seien zahlenmäßig zu stark geworden, sie nähmen anderen die Arbeit. Indien sei kein Land für andere Religionen, hier lebten Hindus, so der Religionsführer vor laufender Kamera.
Der apostolische Nuntius in Indien, Erzbischof Pedro López Quintana, folgert: Hinter der neuen Gewaltwelle stehen fundamentale Splittergruppen.
„Bei einigen steht auch eine Ideologie im Hintergrund, die nazistisch und totalitär ist. Das Ziel dieser Gruppierungen ist es, einen fundamentalistischen Staat zu erzwingen. In einigen Staaten Indiens haben sie dafür einen fruchtbaren Boden gefunden, in anderen wieder gelingt es ihnen nicht, die Bevölkerung für sich zu gewinnen.“
Diese Ideologie, nicht die Religion, sei die Ursache für die Unruhen. Es handle sich um einen sozialen Konflikt, so der Erzbischof.
„Die Religion wird missbraucht als ein Mittel zur Manipulation. In diesem Fall wird das Christentum als eine Fremdreligion dargestellt, gegen die man kämpfen müsse. Sie verdrehen die Tatsachen, indem sie behaupten, Christen würden Zwangsbekehrungen durchführen, was jedoch gesetzlich verboten ist. Es gibt viele absurde Anschuldigungen.“
Nur rund zwei Prozent der Inder sind Christen. Doch ihre Schulen, Krankenhäuser und Hilfsdienste gehören zu den wichtigsten des Landes. Vor allem die katholischen Bildungseinrichtungen würden im Land wegen ihrer hohen Qualität so sehr geschätzt, betont der Nuntius:
„Das irritiert die Fundamentalisten oft: Sie denken, dass wir viel stärker sind, als es in Wirklichkeit der Fall ist.“


Alle 14.000 katholischen Schulen und Bildungseinrichtungen Indiens bleiben am Freitag aus Protest gegen die Gewalt in Orissa geschlossen. Für den 7. September ist ein landesweiter Buß- und Fasttag geplant. Der Vorsitzende der indischen Bischofskonferenz forderte die Christen zu friedlichen Protestmärschen auf.


Der Bundesstaat Orissa hat derweil die Sicherheitskräfte vor Ort verstärkt. Mehrere Polizeikontingente und paramilitärische Einheiten wurden in die Krisenregion verlegt. Bisher erreichten die Ordnungskräfte kaum etwas, berichtete der Erzbischof von Orissa, Raphael Cheenath:
„Die Polizei konnte einige Priester und Ordensfrauen schützen, in anderen Fällen sagten sie, dass ihre Kräfte nicht ausreichten, sie seien wehrlos. Einige hilfesuchende Priester und Ordensleute wurden von der Polizei weggeschickt. ,Helft euch selbst, wir können es nicht’, hat man ihnen gesagt. ,Rettet euch selbst.’“


Ebenfalls für Freitag haben die Bischöfe des Landes eine Konferenz mit christlichen, muslimischen und hinduistischen Religionsführern einberufen. Gemeinsam wollen sie über Wege aus der Krise in Orissa beraten. Vatikandiplomat Lopez betont jedoch die generell gut funktionierende interreligiöse Zusammenarbeit auf dem indischen Subkontinent. Auch die jüngsten Ereignisse könnten das nicht ändern.
„Wir sind davon überzeugt, dass – wie schon nach den Übergriffen nach Weihnachten – die Vertreter anderer Religionen die ersten sein werden, die uns die Hand reichen werden. Außerdem möchte ich unterstreichen, dass die Kirche in Indien, wie die Bischöfe sagen, trotz dieser furchtbaren Gewalttaten daran festhält, zum Wohl der Menschen zu arbeiten, vor allem für das der Ärmsten. Wenn diese Gruppen glauben, uns durch Angst von unserer Mission abbringen zu wollen, dann haben sie sich getäuscht. Die Kirche wird ihre Mission der Liebe weiterführen und die Liebe Gottes allen zeigen, besonders den Schwachen.“

Vatikankardinal Jean-Louis Tauran räumt ein: Hindus und Katholiken müssten sich besser kennenlernen. Am Rand eines Katholikentreffens in der italienischen Adriastadt Rimini sagte der Präsident des Päpstlichen Rates für interreligiösen Dialog: Das Gespräch von Katholiken und Hindus müsse intensiviert werden.
„Ich war vor drei Wochen in Indien und habe drei führende Hindu-Geistliche getroffen. Was mich sehr überrascht hat, war der große Synkretismus, dem ich begegnet bin. Sie stehen allem offen. Die zweite Überraschung: Niemand hat von den Anschlägen auf Christen gesprochen, die aber ja nicht neu sind. Ich denke, dass wir die Kontakte mit dem Hinduismus verstärken müssen. Wir kennen uns nicht gut. Ich möchte zu Beginn des nächsten Jahres erneut nach Indien reisen, um die Kontakte besser zu organisieren.“

 
(rv 28.08.2008 mc/bp)








All the contents on this site are copyrighted ©.