Rund ein Dutzend Tote
in weniger als einer Woche - erneut erschüttert eine Gewaltwelle den ostindischen
Bundesstaat Orissa, erneut richten sich die Übergriffe gegen Christen. Kirchen werden
zerstört, Wohnhäuser in Brand gesteckt, auch ein Waisenhaus ging in Flammen auf, Priester
und Ordensleute werden attackiert. Auslöser ist der Anschlag auf einen Hinduführer,
bei dem in Kandhamal vergangene Woche insgesamt fünf Menschen getötet wurden. Radikale
Hindus machen Christen verantwortlich. Die Polizei vermutet jedoch maoistische Rebellen
hinter der Tat.
Der Vatikan hat die Gewalt gegen Christen und kirchliche
Einrichtungen in Ostindien verurteilt. Papst Benedikt XVI. rief bei der Generalaudienz
am Mittwoch zum Frieden auf. Er verfolge „mit tiefer Traurigkeit“ die Nachrichten
zu Übergriffen im Bundesstaat Orissa. „Ich verurteile entschieden jeden Angriff
auf das menschliche Leben, dessen Heiligkeit den Respekt aller verlangt. Und ich drücke
meine spirituelle Nähe und Solidarität mit den Glaubensbrüdern und –Schwestern aus,
die auf eine so harte Probe gestellt werden. (…) Ich appelliere an die Religionsführer
und die zivilen Autoritäten, zusammenzuarbeiten im Bemühen, ein friedliches und harmonisches
Zusammenleben wiederherzustellen, das schon immer ein besonderes Kennzeichen der indischen
Gesellschaft war.“ Ähnlich war der Ton einer ersten Mitteilung des vatikanischen
Pressesaals am Vortag. Die Anschläge verletzten die Menschenwürde hieß es. Der Heilige
Stuhl „ruft alle dazu auf, jeder Art von Übergriffen ein Ende zu setzen“.
Die
Region um Orissa gilt als Brutstätte religiöser Gewalt. Radikale Hindus werfen christlichen
Missionaren seit langem vor, arme Mitglieder niedriger Kasten gezielt abzuwerben und
finanziell für den Religionswechsel zu belohnen. An Weihnachten wurde bei Kämpfen
ein Mensch getötet, mehrere Gotteshäuser und Tempel wurden beschädigt. 1999 tötete
ein hinduistischer Mob in Orissa einen australischen Missionar und seine beiden Kinder.
Sie verbrannten in ihrem Auto, das von der Menge angezündet worden war.
Ein
radikaler Hindu-Führer erklärte dieser Tage im Fernsehen, man wolle die Gewalt nicht
verteidigen, sie sei aber auch nicht schlecht, denn die Christen seien zahlenmäßig
zu stark geworden, sie nähmen anderen die Arbeit. Indien sei kein Land für andere
Religionen, hier lebten Hindus, so der Religionsführer vor laufender Kamera. Der
apostolische Nuntius in Indien, Erzbischof Pedro López Quintana, folgert: Hinter der
neuen Gewaltwelle stehen fundamentale Splittergruppen. „Bei einigen steht auch
eine Ideologie im Hintergrund, die nazistisch und totalitär ist. Das Ziel dieser Gruppierungen
ist es, einen fundamentalistischen Staat zu erzwingen. In einigen Staaten Indiens
haben sie dafür einen fruchtbaren Boden gefunden, in anderen wieder gelingt es ihnen
nicht, die Bevölkerung für sich zu gewinnen.“ Diese Ideologie, nicht die Religion,
sei die Ursache für die Unruhen. Es handle sich um einen sozialen Konflikt, so der
Erzbischof. „Die Religion wird missbraucht als ein Mittel zur Manipulation.
In diesem Fall wird das Christentum als eine Fremdreligion dargestellt, gegen die
man kämpfen müsse. Sie verdrehen die Tatsachen, indem sie behaupten, Christen würden
Zwangsbekehrungen durchführen, was jedoch gesetzlich verboten ist. Es gibt viele absurde
Anschuldigungen.“ Nur rund zwei Prozent der Inder sind Christen. Doch ihre
Schulen, Krankenhäuser und Hilfsdienste gehören zu den wichtigsten des Landes. Vor
allem die katholischen Bildungseinrichtungen würden im Land wegen ihrer hohen Qualität
so sehr geschätzt, betont der Nuntius: „Das irritiert die Fundamentalisten oft:
Sie denken, dass wir viel stärker sind, als es in Wirklichkeit der Fall ist.“
Alle
14.000 katholischen Schulen und Bildungseinrichtungen Indiens bleiben am Freitag aus
Protest gegen die Gewalt in Orissa geschlossen. Für den 7. September ist ein landesweiter
Buß- und Fasttag geplant. Der Vorsitzende der indischen Bischofskonferenz forderte
die Christen zu friedlichen Protestmärschen auf.
Der Bundesstaat Orissa
hat derweil die Sicherheitskräfte vor Ort verstärkt. Mehrere Polizeikontingente und
paramilitärische Einheiten wurden in die Krisenregion verlegt. Bisher erreichten die
Ordnungskräfte kaum etwas, berichtete der Erzbischof von Orissa, Raphael Cheenath: „Die
Polizei konnte einige Priester und Ordensfrauen schützen, in anderen Fällen sagten
sie, dass ihre Kräfte nicht ausreichten, sie seien wehrlos. Einige hilfesuchende Priester
und Ordensleute wurden von der Polizei weggeschickt. ,Helft euch selbst, wir können
es nicht’, hat man ihnen gesagt. ,Rettet euch selbst.’“
Ebenfalls für
Freitag haben die Bischöfe des Landes eine Konferenz mit christlichen, muslimischen
und hinduistischen Religionsführern einberufen. Gemeinsam wollen sie über Wege aus
der Krise in Orissa beraten. Vatikandiplomat Lopez betont jedoch die generell gut
funktionierende interreligiöse Zusammenarbeit auf dem indischen Subkontinent. Auch
die jüngsten Ereignisse könnten das nicht ändern. „Wir sind davon überzeugt,
dass – wie schon nach den Übergriffen nach Weihnachten – die Vertreter anderer Religionen
die ersten sein werden, die uns die Hand reichen werden. Außerdem möchte ich unterstreichen,
dass die Kirche in Indien, wie die Bischöfe sagen, trotz dieser furchtbaren Gewalttaten
daran festhält, zum Wohl der Menschen zu arbeiten, vor allem für das der Ärmsten.
Wenn diese Gruppen glauben, uns durch Angst von unserer Mission abbringen zu wollen,
dann haben sie sich getäuscht. Die Kirche wird ihre Mission der Liebe weiterführen
und die Liebe Gottes allen zeigen, besonders den Schwachen.“
Vatikankardinal
Jean-Louis Tauran räumt ein: Hindus und Katholiken müssten sich besser kennenlernen.
Am Rand eines Katholikentreffens in der italienischen Adriastadt Rimini sagte der
Präsident des Päpstlichen Rates für interreligiösen Dialog: Das Gespräch von Katholiken
und Hindus müsse intensiviert werden. „Ich war vor drei Wochen in Indien und
habe drei führende Hindu-Geistliche getroffen. Was mich sehr überrascht hat, war der
große Synkretismus, dem ich begegnet bin. Sie stehen allem offen. Die zweite Überraschung:
Niemand hat von den Anschlägen auf Christen gesprochen, die aber ja nicht neu sind.
Ich denke, dass wir die Kontakte mit dem Hinduismus verstärken müssen. Wir kennen
uns nicht gut. Ich möchte zu Beginn des nächsten Jahres erneut nach Indien reisen,
um die Kontakte besser zu organisieren.“