Vor 40 Jahren: Paul VI. reist zur CELAM-Eröffnung nach Medellín
Vor genau vierzig
Jahren – am 22. August 1968 – reiste Papst Paul VI. nach Lateinamerika. Er war gekommen,
um die die zweite Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik (CELAM)
zu eröffnen. „Medellín“ - mit diesem Kurzbegriff wird die Bischofsversammlung seither
bezeichnet - wurde zum Schlüsselereignis für die Entwicklung der lateinamerikanischen
Kirche und der gesamten Weltkirche, dessen Bedeutsamkeit gar nicht überschätzt werden
kann. In Medellín in Kolumbien vollzogen die Bischöfe die Hinwendung der Kirche zu
den Armen aus dem Geist des Evangeliums und des II. Vaticanum, zur Befreiung der Armen
durch die Frommen und der Frommen durch die Armen. Pater Max Cappabianca OP war im
Radio Vatikan-Audioarchiv zu einer historischen Recherche.
Es war das erste
Mal in der Geschichte der Christenheit, dass ein Papst lateinamerikanischen Boden
betrat. Den Grußworten des Papstes bei der Ankunft am Flughafen der kolumbianischen
Hauptstadt Bogota ist diese historische Dimension anzumerken.
„Eine ängstliche
Freude und eine tiefe Bewegung erfüllen uns innerlich angesichts der Tatsache, dass
die Göttliche Vorsehung es uns vorbehalten hat, der erste Papst zu sein, der dieses
edle Land, diesen christlichen Kontinent besucht, wo in fernen Zeiten – vorherbestimmt
von der heilbringenden Vorsehung Gottes – auf den Andenhöhen das christliche Kreuz
aufgerichtet worden ist, und wo auf den Pfaden der Chibchas, der Maya, der Inka, Azteken
und Tupis-Guaranis sich das Angesicht Christi abzuzeichnen begann.“
Dass
Paul VI. die lange Reise auf sich nahm, das allein entfaltete bereits eine positive
Wirkung. Lateinamerika-Fachmann Michael Huhn vom Bischöflichen Hilfswerk Adveniat:
„Es
war für die Lateinamerikaner eine ganz große Geste, denn historisch war es immer so,
dass jemand, der etwas vom Papst wollte, nach Rom fahren musste. Und jetzt kehrt sich
die Bewegung um. Er kommt zu uns. Und das war eine ungeheure Wertschätzung für die
Kirche in Lateinamerika. So wurde das jedenfalls empfunden.“
Mit einigen
symbolkräftigen Handlungen unterstrich Paul VI. sein Anliegen, die Kirche zu einer
Kirche der Armen zu machen. Am wirksamsten vielleicht: Die Messe für die Campesinos
(landlose Kleinbauern) am 23. August 1968. Mit deutlichen Worten geißelte Paul VI.
die Ausbeutung der Ureinwohner. Zehntausende der Landarbeiter feierten den Papst,
der aus dem fernen Rom gekommen war, um zu ihnen zu sprechen:
„Ihr, meine
Söhne, seid für uns Christus! … Wir kennen Eure Lebensumstände: Für viele von euch
sind sie erbärmlich, oft noch unter den dem Existenzminimum. Ihr hört mir schweigend
zu; aber wir hören den Schrei, der aufsteigt aus eurem Leid und dem der Mehrheit der
Menschheit. Uns kann dies nicht gleichgültig bleiben; Wir wollen solidarisch sein
in eurer guten Sache, die diejenige der demütigen Leute ist, des armen Volks. Wir
wissen, dass in dem großen Kontinent Lateinamerika die soziale und wirtschaftliche
Entwicklung ungerecht war. Sie ist vor allem nur einigen zugute gekommen. Die vielen
indigenen Völker sind meist auf einen niedrigsten Lebensstandard herabgewürdigt worden,
und sie wurden misshandelt und ausgebeutet.“
Diese Worte waren für einen
Papst in ihrer Klarheit ungewöhnlich, so Michael Huhn.
„Paul VI. hat sich
zueigen gemacht, was in der lateinamerikanischen Kirche und ihren Bischöfen in der
Luft lag, nämlich eine neue Denkweise, die den Alltag der Menschen in den Blick nimmt,
die der Kirche die Aufgabe stellt, sich zum Anwalt derer zu machen, die selbst gar
nicht den Mut oder die Gelegenheit haben, den Mund zu öffnen gegenüber den Reichen
und Mächtigen. Das hat sich der Papst zueigen gemacht, und deswegen kann er im Gefolge
der Bischöfe, die sich ähnlich ausgedrückt hatten, sagen: Ich habe euren Schrei vernommen."
Anlass
der Reise war die Eröffnung der II. CELAM-Konferenz. Die erste hatte noch unter dem
Pontifikat Pius XII. stattgefunden. Die zweite sollte zum entscheidenden Wendepunkt
der lateinamerikanischen Kirche werden. Paul VI. betrachtete selber Medellín als einen
Abschluss der durchaus ambivalenten Missionsgeschichte Lateinamerikas und erhoffte
sich einen Aufbruch in die Zukunft. Aus seiner Predigt zur Eröffnung der Konferenz:
„Wir
selber staunen, unter euch zu sein. Der erste Pastoralbesuch des Papstes ist sicherlich
nicht nur ein gewöhnliches Tages-Ereignis. Ich glaube, es handelt sich um eine historische
Begebenheit, die eingeschrieben ist in die lange, komplexe und mühsame Geschichte
der Evangelisierung dieses riesigen Landes; und durch dieses Ereignis bestätigt die
Kirche sie, nimmt sie an, unterstreicht ihre Gültigkeit, feiert sie und schließt sie
zugleich historisch ab. Und durch eine prophetische Fügung der Umstände fällt hier
und heute der Startschuss für ein neues Kapitel des kirchlichen Lebens. Wir glauben,
uns dieser gesegneten Stunde bewusst zu sein, die - wie es die göttliche Vorsehung
will - einen Schlussstrich zieht und zugleich eine entscheidende Bedeutung hat für
die Zukunft.“
Allerdings: Der Papst war nicht blauäugig. Schon damals im
Jahr 1968 warnte er mit harschen Worten vor relativistischen Theologien, die das Zeugnis
der Kirche verdunkeln könnte. Der hochgebildete Paul VI. sah den Grund für ihr Erstarken
im Einsickern „modischer Philosophien“, die zu Relativismus, Subjektivismus und Neo-Positivismus
führten. In der Theologie habe dies zerstörerische Folgen.
„Im Bereich des
Glaubens führen sie zu einem Geist subversiven Kritizismus und zu der falschen Überzeugung,
dass wir unsern Glaubensschatz aufgeben müssten, um den Menschen von heute nah zu
sein und ihnen das Evangelium verkündigen zu können, und dass wir - nicht so sehr
durch eine klarere Sprache, sondern durch eine Änderung des dogmatischen Inhalts -
ein neues Christentum erschaffen müssten, und zwar nach dem Maß des Menschen und nicht
nach dem Maß des authentischen Wortes Gottes.“
Es gehe nicht an, dass Theologen
behaupteten, jeder könne in der Kirche denken und glauben, was er wolle. Die Unkenntnis
über die grundlegenden Glaubenswahrheiten gefährdeten die Einheit der Kirche, so Paul
VI.. Auch wenn es das Wort „Befreiungstheologie“ noch gar nicht gab - es wurde erst
1971 von Gustavo Gutierrez geprägt - schon damals wehrte sich das Kirchenoberhaupt
vor allem gegen den Einfluss marxistischen Denkens in die Theologie.
Trotz
dieser auch kritischen Mahnungen: Paul VI. stand voll und ganz hinter dem Anliegen,
die im II. Vaticanum vollzogene Hinwendung der Kirche zur modernen Welt in Lateinamerika
umzusetzen. In zweiwöchiger, zugleich brüderlicher wie kontroverser Diskussion griffen
die Bischöfe einige der Ansätze und einen Gutteil der Anliegen der Theologie der Befreiung
auf und verpflichteten sich zur „Option für die Armen“ in der Nachfolge Jesu Christi.
Denn, so stellt das am 6. September 1968 feierlich verabschiedete, wegweisende Dokument
von Medellín fest:
„Christus, unser Erlöser, liebt nicht nur die Armen,
sondern er, der reich war, machte sich arm, lebte in Armut, richtete seine Sendung
darauf aus, den Armen ihre Befreiung zu verkünden, und gründete seine Kirche als Zeichen
dieser Armut unter den Menschen.“
Michael Huhn sagt:
Medellin hat nicht nur Lateinamerika verändert, sondern die ganze Weltkirche:
„Auf
einmal stand Lateinamerika im Mittelpunkt, vorher war das, was in der Kirche passierte,
im Wesentlichen von Europa geprägt. Europa war innerkirchlich der gebende Kontinent.
Und jetzt kommt auf einmal ein Aufbruch, der nicht in Europa beginnt, sondern den
die Weltkirche der europäischen und auch der deutschen Kirche geschenkt hat. Es gab
eine große Konjunktur an Interesse an lateinamerikanischer pastoraler Praxis, es wurden
Katechismen übersetzt. Gibt es in Lateinamerika Gemeindemodelle, von denen wir lernen
können? All das war vorher nicht gewesen, all das hat mit Medellín begonnen, dass
Lateinamerika kirchlich wichtig wird."
Der Beschluss von Medellín war kein
Abschluss. Das Dokument unter der Überschrift „Die Kirche in der gegenwärtigen Umwandlung
Lateinamerikas im Lichte des Konzils“ endete trotz seiner Länge (120 Seiten in der
deutschen Übersetzung) nicht in der Ablage. Stattdessen nahmen es die Gemeinden von
Mexiko bis Feuerland zur Hand und verwirklichten dessen Anregungen. Viele der teilnehmenden
Bischöfe erlebten „Medellín“ nicht nur als einen Seitenwechsel von der Allianz mit
den Tonangebenden hin zu den Armen, sondern dadurch auch als eine persönliche „Bekehrung“.
Ohne jene beiden dramatischen Wochen im August und September 1968 wäre die Kirche
in Lateinamerika und der Karibik nicht zu dem geworden, was sie heute ist.
Der
Besuch Papst Paul VI. in Lateinamerika war nur kurz: drei Tage. Aber sie waren von
außerordentlicher Wirkung für die ganze Weltkirche. Archivaufnahmen vom Abschied auf
dem Flughafen von Bogota:
„No te decimos adiós, Colombia!... - Wir sagen
dir nicht Lebwohl, Kolumbien ! Denn wir werden dich immer im Herzen bewahren. Und
von Herzen erteilen wir den Segen und weiten ihn aus auf alle Völker Lateinamerikas.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“
(rv
22.08.2008 mc)
Unter Verwendung von Archivaufnahmen von Radio Vatikan und eines
Artikels von Lateinamerikafachmann Michael Huhn, erschienen in „Blickpunkt Lateinamerika“,
einer Publikation des Bischöflichen Hilfswerks Adveniat.