Wie steht Papst Benedikt
zu Fragen der Schöpfungsverantwortung? Muss dieser Themenkomplex in der Theologie
wieder mehr Beachtung finden? Ein Auszug aus dem Treffen Papst Benedikts mit dem Südtiroler
Klerus im Dom zu Brixen am 6. August: Heiliger Vater! lch heiβe
Karl Golser, bin Professor der Moraltheologie hier in Brixen und auch Direktor
des Instituts für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung; auch Kanoniker.
lch erinnere mich sehr gern an die Zeit, wo ich auch mit Ihnen in der Glaubenskongregation
arbeiten konnte.
Wie Sie wissen, hat die katholische
Kirche die Geschichte und die Kultur in unserem Lande nachhaltig geprägt. Heute aber
haben wir manchmal den Eindruck, als ob wir als Kirche uns in die Sakristei zurückgezogen
hätten. Die Äuβerungen des päpstlichen Lehramts zu den groβen
gesellschaftlichen Fragen finden auf der Ebene der kirchlichen Gemeinden und
Gemeinschaften nicht das entsprechende Gehör.
Hier
in Südtirol wird zum Bespiel von Behörden und verschiedenen Verbänden groβe
Aufmerksamkeit auf das Umweltproblem und speziell auf den Klimawandel gelenkt:
Themen sind der Gletscherschwund, Bergrutsche, Probleme mit den Energiepreisen, Verkehr
und Luftverschmutzung. Vieles wird zum Umweltschutz angeregt und unternommen.
Im
durchschnittlichen Bewußtsein unserer Christen hat dies alles aber wenig mit dem Glauben
zu tun. Was können wir tun, um die Schöpfungsverantwortung mehr in das Leben der christlichen
Gemeinden hineinzutragen? Wie können wir Schöpfung und Erlösung wieder mehr zusammen
sehen? Wie können wir christliche Lebensstile vorleben, die nachhaltig sind? Wie können
wir sie mit einer Lebensqualität verbinden, die anziehend ist für alle Menschen unserer
Erde?
Vielen Dank, lieber Professor Golser: Sie könnten sicher viel besser
darauf antworten als ich, aber ich versuche trotzdem, etwas zu sagen. Ja, Sie haben
den Punkt Schöpfung und Erlösung angesprochen, und mir scheint, daß diese unlösliche
Verbindung wieder stärker in Erscheinung treten muß. Die Schöpfungslehre war in den
letzten Jahrzehnten in der Theologie fast verstummt und kaum noch spürbar. Jetzt bemerken
wir die Schäden, die daraus resultieren. Der Erlöser ist der Schöpfer, und wenn wir
Gott nicht in dieser ganzen Größe verkünden – Schöpfer und Erlöser –, dann reduzieren
wir auch die Erlösung. Denn wenn Gott in der Schöpfung nichts zu sagen hat, wenn er
nur irgendwie in einem Bereich der Geschichte anwesend ist, wie soll er dann wirklich
unser ganzes Leben umfassen? Wie soll er dann wirklich Heil für den Menschen als Ganzen
und für die Welt in ihrer Ganzheit geben können? Deswegen ist eine Erneuerung der
Schöpfungslehre und ein neues Verstehen der Untrennbarkeit von Schöpfung und Erlösung
für mich von größter Bedeutung. Wir müssen wieder neu erkennen: Er ist der Creator
Spiritus, die Vernunft, die am Anfang steht und aus der alles kommt und von der
unsere Vernunft ein Funke ist. Und Er ist es – der Schöpfer selbst –, der auch in
die Geschichte hereingetreten ist und in sie hereintreten, in ihr wirken kann, eben
weil er der Gott des Ganzen und nicht nur eines Teiles ist. Wenn wir das erkennen,
dann wird klar, daß Erlösung, daß Christsein, daß ganz einfach christlicher Glaube
immer auch Schöpfungsverantwortung bedeutet. Nun ist ja vor zwei, drei Jahrzehnten
der Vorwurf erhoben worden – ich weiß nicht, wie weit er noch besteht –, daß eigentlich
die Christen die Verantwortlichen für die Zerstörung der Schöpfung seien, denn das
Wort der Genesis – „Macht euch die Erde untertan“ – habe zu jener Arroganz gegenüber
der Schöpfung geführt, deren Auswirkungen wir heute spüren. Ich glaube, diesen Vorwurf
müssen wir in seiner ganzen Falschheit neu durchschauen lernen: Solange die Welt als
Schöpfung Gottes begriffen wurde, ist auch der Auftrag, sie „untertan“ zu machen,
nicht als Auftrag der Versklavung der Schöpfung verstanden worden, sondern als Auftrag,
Hüter der Schöpfung zu sein und in ihr ihre Gaben zu entfalten; am Werk Gottes, an
der Evolution, die er in die Welt hineingelegt hat, selbst tätig mitzuarbeiten, und
zwar so, daß die Gaben der Schöpfung selbst zur Geltung kommen und nicht unterdrückt
und zerstört werden.
Wenn wir anschauen, was im Umkreis der Mönchsklöster
gewachsen ist, wie dort sozusagen kleine Paradiese, Oasen der Schöpfung entstanden
sind und noch entstehen, dann wird sichtbar, daß dies nicht nur Worte sind, sondern
wo das Wort vom Schöpfer richtig verstanden worden ist, wo Leben mit dem erlösenden
Schöpfer da war, da hat man sich gemüht, die Schöpfung zu erlösen und nicht sie zu
zerstören. Und in diesen Zusammenhang gehört ja Römer 8 herein, wo gesagt wird, daß
die Schöpfung leidet und stöhnt unter der Unterworfenheit, in der sie sich befindet,
und daß sie auf das Auftreten der Kinder Gottes wartet: daß sie sich dann erlöst fühlen
wird, wenn Geschöpfe, wenn Menschen kommen, die Gottes Kinder sind und die von Gott
her mit ihr umgehen. Und das, glaube ich, ist genau das, was wir heute als Realität
feststellen können: Die Schöpfung stöhnt – wir spüren es, wir hören es förmlich –,
und sie wartet auf Menschen, die sie von Gott her anschauen. Der brutale Verbrauch
der Schöpfung setzt dort ein, wo es keinen Gott gibt, wo Materie nur noch Material
ist für uns, wo wir selbst die letzten Instanzen sind, wo das Ganze uns einfach gehört
und wir es für uns verbrauchen. Und der Verbrauch der Schöpfung setzt dort ein, wo
wir keine Instanz mehr über uns haben, sondern nur noch uns selber wollen; er setzt
dort ein, wo es keine Dimension des Lebens über den Tod hinaus mehr gibt, wo wir in
diesem Leben sozusagen das Ganze an uns reißen und das Leben so voll besitzen müssen
wie nur möglich, wo wir alles haben müssen, was überhaupt zu haben ist.
Und
so können, glaube ich, wirkliche und wirksame Instanzen gegen den Verbrauch und die
Zerstörung der Schöpfung nur dort gebaut und entwickelt, verstanden und gelebt werden,
wo Schöpfung von Gott her gesehen wird; wo das Leben von Gott her gesehen wird und
größere Dimensionen hat – eine Verantwortung vor Gott – und einmal von Gott ganz zugeteilt
und nicht von uns genommen wird, sondern indem wir es geben, empfangen wir das Leben.
Wir müssen, meine ich, mit allen Mitteln, die wir haben, versuchen, auf solche
Weise in der Öffentlichkeit den Glauben zu Gehör zu bringen, gerade an den Stellen,
wo die Sensibilität dafür da ist. Und ich denke, das Spüren, daß uns die Welt vielleicht
wegrutscht – weil wir sie selber wegziehen –, das Bedrängtwerden durch die Probleme
der Schöpfung ist eine solche Gelegenheit, wo unser Glaube öffentlich reden und sich
als Instanz, die weiterführt, zur Geltung bringen kann. Denn es geht ja nicht nur
darum, daß wir Techniken der Schadenvermeidung finden, so wichtig es auch ist, daß
wir alternative Energien finden und vieles mehr. Doch alles das wird nicht ausreichen,
wenn wir nicht selbst einen neuen Lebensstil finden, eine Disziplin auch der Verzichte,
eine Disziplin der Anerkennung der anderen, denen die Schöpfung genauso gehört wie
uns, die wir leichter über sie verfügen können; eine Disziplin der Verantwortung vor
der Zukunft der anderen und unserer eigenen Zukunft, weil es Verantwortung vor dem
ist, der unser Richter ist und als Richter unser Retter, aber eben wirklich auch unser
Richter.
So glaube ich, daß wir jeweils die beiden Dimensionen – Schöpfung
und Erlösung, Leben und ewiges Leben, Verantwortung für die Schöpfung und Verantwortung
vor den anderen und vor der Zukunft – ineinander bringen müssen und daß es unsere
Aufgabe ist, so verständlich und nachdrücklich in die Öffentlichkeit hineinzureden.
Zugleich müssen wir, um Gehör zu finden, mit unserem eigenen Beispiel, mit unserem
eigenen Lebensstil zeigen, daß es eine Botschaft ist, die wir selber glauben und die
man leben kann. Und wir wollen den Herrn bitten, daß er uns allen hilft, selber den
Glauben, die Verantwortung des Glaubens so zu leben, daß unser Lebensstil Zeugnis
ist, und dann so zu reden, daß unser Wort glaubhaft den Glauben als Wegweisung in
diese unsere Zeit hineinträgt.(rv 20.08.2008)