Der Gang Jesu auf dem Wasser (Mt 14,22-33) - Betrachtung von Iris Müller (Düsseldorf)
Das Evangelium des
heutigen Sonntags berichtet uns eine sehr eindrückliche Geschichte, die mit einer
dramatischen Situation beginnt und auf diesem Niveau bleibt: Wenn wir uns mit
unserer Vorstellung mitten in die beschriebene Szene hineinbegeben, finden wir uns
in der Mitte der Nacht wieder – es ist schon die vierte Nachtwache; Dunkelheit, Gegenwind,
der das Wasser aufpeitscht und das Boot hin und her wirft, Erschöpfung nach einem
langen Tag. Eine gespenstische Situation, düster. Die Jünger haben Angst und sehen
Gespenster: kein Wunder, vermutlich gehen die Nerven mit ihnen durch, der Schlafmangel
macht sich bemerkbar, alles ist bedrohlich und sie sehen Schreckensbilder – Gespenster.
Sie warten auf Jesus, der sich zurückgezogen hatte, der allein sein wollte. Und
nun, in dieser stürmischen Nacht widerspricht er allen Erwartungen. Statt mit dem
Boot zu ihnen zurückzukehren, geht er über das Wasser. Und es geschieht das, was immer
passiert, wenn man eine bestimmte Erwartung hat, wie etwas sein wird, und es ist dann
ganz anders: Man versteht es zunächst nicht. So geht es auch den Jüngern: sie erkennen
ihn nicht, ihn, der ihnen vertraut ist. Er sprengt dermaßen die Grenzen alles Vorstellbaren
und aller Erwartungen, aller „normalen Naturgesetzmäßigkeiten“ – er tut etwas, was
schlichtweg nicht geht – er geht über das Wasser. Und die Jünger schreien vor
Angst. Sie schreien wie Kinder, die in der Dunkelheit, in der Nacht nach der Mutter
oder dem Vater rufen, weil sie allerlei Beängstigendes erleben. Und auf diese kindliche
Reaktion reagiert Jesus wiederum entsprechend: beruhigend, väterlich sagt er: Habt
Vertrauen. Ich bin es; fürchtet euch nicht! Ich höre den Zuspruch daraus: ich bin
da! Habt keine Angst mehr! Es ist gut! Er sieht ihre Angst, er erkennt sie und versteht
sie auch, aber er fordert sie dazu auf, gegen die Angst anzugehen und sich daran zu
erinnern, dass sie ihm vertrauen. Die Reaktion des Petrus bleibt ganz in dieser
Linie: „Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.“
Sagt er. Vielleicht ein wenig großspurig, übermütig, vermutlich will er beweisen,
wie sehr er der Angst widersteht, wie sehr er nun vertraut. Petrus erkennt Jesus
wie die Mutter oder den Vater – er redet ihn mit „Herr“ an – und antwortet mit grenzenlosem
Vertrauen: „Wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.“ Vielleicht
könnte man ergänzen „ich will nahe bei dir sein“. Seine Aussage „Herr, wenn du
es bist“ weist daraufhin, dass Petrus den Vollmachtsanspruch Jesu zum einen voll und
ganz akzeptiert, und zum anderen auch sein Leben und seine Entscheidungen daran ausrichten
wird. Man kann es sich richtig vorstellen: Petrus ist völlig begeistert von der
Idee, sein Vertrauen in die Vollmacht Jesu unter Beweis zu stellen. Es bleibt keine
Zeit zum Zweifeln, er stürzt sich in die Situation, die real betrachtet völlig leichtsinnig
ist. Wie ein Kind, das sich voller Vertrauen in die ausgebreiteten Arme fallen lässt.
Es geht hier nicht um das Vertrauen auf eigenes Können, vermutlich auch nicht darum,
es Jesus gleichtun zu wollen. Nein, er will sich jetzt und ganz und sofort in die
Hand Jesu geben. Und Jesus nimmt den Ball an, er fordert ihn auf: Komm! Petrus
steigt also mutig aus dem Boot aus und geht los - und merkt plötzlich, dass er in
eine Situation geraten ist, die seine Möglichkeiten übersteigt. Einige Schritte ist
er wahrhaftig über das Wasser gegangen, aber dann droht das Wunder schief zu gehen.
Petrus nimmt die Realität wahr, er spürt die Heftigkeit des Windes, er steht im Wasser
und er bekommt im wahrsten Sinne des Wortes „kalte Füsse“. Das Unausweichliche passiert:
mit der steigenden Angst, versinkt er immer tiefer, das Wasser steht ihm fast bis
zum Hals, und Petrus schreit um Hilfe: „Herr, rette mich!“ Erwartungsgemäß, und mit
der ihm gegebenen Vollmacht, rettet Jesus den Jünger. Er streckt die Hand aus und
ergreift ihn. Seine Antwort lautet: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Damit
wechseln die Beschreibungen des Verhaltens des Petrus sehr schnell und sehr heftig.
War er zunächst der vorbildliche, glaubensstarke Jünger, der im Vertrauen auf Jesus
alles wagt, den sicheren Boden verlässt, wirklich „aussteigt“, das tut, was menschliche
Möglichkeiten und Fähigkeiten grundsätzlich übersteigt, so steht er nun nach dieser
Wende bei seinen Versuchen über das Wasser zu gehen, als ein „kleingläubiger“ Versager
da - einer, der um sein Leben fürchtet und um Rettung schreit.
Was mir bei
dieser Geschichte besonders nachgeht ist die Frage, wodurch gerät Petrus in diese
fatale Situation? Durch sein Vertrauen, seinen Glaubensmut, seine Beherztheit – oder
durch seinen mangelnden Glauben, wie es so oft vermutet wird. Ich meine wir dürfen
nicht vergessen: Jesus ist und bleibt der Herr der Geschichte. Er ist es, der Petrus
über das Wasser gehen lässt und nicht etwa die eigene Glaubenskraft des Petrus, die
ein solches Wunder bewirken könnte. Ist es aber dann wirklich so, dass Petrus
sich die Gefahr des Ertrinkens ganz selbst zuzuschreiben hat? Ebenso wie nur Jesus
dem Petrus die Vollmacht gibt über das Wasser zu gehen, so kann Petrus auch nur im
Wasser versinken, weil Jesus es zulässt. Petrus ist ganz von der Vollmacht Jesu abhängig. Die
Spannung liegt in dem Feld zwischen der Beistandszusage Jesu und dem Zweifel hier
des Petrus, der Jünger oder der Christen allgemein. Die Frage lautet doch im letzten:
worauf verlasse ich mich in der Ausrichtung meines Lebens als Glaubender, als Christ,
nämlich entweder auf mein eigenes Können, dass im normalen Leben natürlicherweise
durch viele Zweifel bedroht ist, oder verlasse ich mich auf die Zusage Jesu und seinen
Beistand, der lautet: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeit.“ Wenn
wir auf unsere eigenen Erfahrungen schauen, dann zeigt sich sicherlich, dass die Grenzen
zwischen Glaube und Vertrauen auf der einen Seite und Zweifel im Glauben und Scheitern
auf der anderen Seite fließend ineinander übergehen. Die Botschaft dieser Geschichte
„des Gangs des Petrus über das Wasser“ sagt aus, dass bei aller Kritik Jesu am Kleinglauben,
die Jünger, die Menschen in der Nachfolge, in allen Lebenssituationen von der Macht
Jesu, des Sohnes Gottes, getragen werden. Das gilt genauso für den über alle irdischen
Grenzen hinaus über das Wasser schreitenden Petrus als auch für den durch Lebensrealitäten
bedrängten und von Zweifeln gepackten Jünger. Glaubende Menschen dürfen sich von Jesus
getragen wissen, auch dann wenn der Glaube ins Wanken oder in die Krise gerät. Das
Wunder erweist sich am Ende am stärksten als Jesus den Petrus am Arm packt und ihn
rettet. Das ist die eigentliche Zusicherung für jeden einzelnen von uns.