Italien: Flüchtlings-„Notstand“. Mahnungen aus dem Vatikan
„Stato di emergenza“
– Notstand. Mit dieser drastischen Maßnahme reagiert die neue italienische Regierung
unter Silvio Berlusconi auf steigende Zahlen bei illegalen Einwanderern. Obwohl sie
in diesen Tagen durchgesetzt hat, dass illegale Einwanderung künftig als Straftatsbestand
gilt, hat sich die Zahl von Bootsflüchtlingen, die Italiens Küsten erreichen, verdoppelt.
Jedenfalls, wenn man das erste Halbjahr 2008 mit dem ersten Halbjahr 2007 vergleicht.
Insgesamt erreichten in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres mehr als 10.000
Bootsflüchtlinge Italien. Der landesweite Notstand soll u.a. dazu beitragen, dass
neue Aufnahme-Zentren für Flüchtlinge errichtet werden.
Kritik kommt vor allem
aus der Opposition, von der linken „Demokratischen Partei“. Sie warnt vor einem „Polizeistaat“.
Im Ton verhaltener ist ein Statement des Päpstlichen Migrantenrats: Sein Sekretär,
Erzbischof Agostino Marchetto, mahnt ein „Gleichgewicht zwischen Aufnahme und Sicherheit“
an. Der Begriff „Notstand“ sei „an sich nicht negativ“; wichtig sei allerdings, dass
die internationalen Regeln für den Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern eingehalten
werden. Der Vatikan fordere „Respekt der Menschenrechte aller Migranten und ihrer
Familienmitglieder“ – ausdrücklich auch für Roma und Sinti sowie die Opfer von Menschenhandel.
In
den letzten Monaten hatte der Umgang mit den in Italien lebenden Roma die heftige
Ausländer- und Sicherheits-Debatte im Land bestimmt. Viele Roma leben in slum-ähnlichen
Barackenvierteln an der Peripherie von Großstädten; die Regierung Berlusconi hat angekündigt,
eine Art Volkszählung unter den Roma vorzunehmen. Der Plan wurde von der engagierten
katholischen Bewegung „Sant`Egidio“ zunächst heftig kritisiert – doch nun schwenkt
„Sant`Egidio“ überraschend auf die Regierungslinie ein. Ihr Leiter Marco Impagliazzo
sagte uns:
„Unserer Gemeinschaft gefallen die Richtlinien, die das Innenministerium
für diese Zählung in den Roma-Lagern aufgestellt hat. Da ist nichts mehr von dem zu
finden, was vorher auch im Parlament zu hören war: über das Abnehmen der Fingerabdrücke
bei Minderjährigen oder ähnliche Maßnahmen. Die Richtlinien entsprechen den italienischen
und europäischen Normen, und wir sind zufrieden, dass man diesen Zensus auf eine andere
Grundlage gestellt hat als angekündigt.”
Die Maßnahme könne den Roma sogar
zu mehr menschlichen und sozialen Rechten verhelfen, so „Sant`Egidio” – sie würden
„endlich einmal behandelt wie andere Bürger auch“. Die Kirche will am Thema Einwanderer
und an anderen Themen, die ihr gesellschaftlich auf den Nägeln brennen, „dranbleiben“
– dem dient wohl auch der geplante Papstbesuch beim italienischen Präsidenten Giorgio
Napolitano am kommenden 4. Oktober. Dieser Tag ist, wie Professor Agostino Giovagnoli
von der römischen „Katholischen Universität“ erklärt, nämlich nicht nur Tag des hl.
Franziskus, sondern auch 60. Geburtstag der italienischen Verfassung:
„Die
Katholiken hatten eine wichtige Rolle beim Entwurf der Verfassung, und sie haben danach
ihre Werte beim Aufbau des Staatswesens deutlich mit eingebracht. Heute allerdings
besteht das Risiko, dass wir diesen Sinn für das Zusammenspiel von Katholiken und
anderen säkularen Kräften verlieren.“