Betrachtung zum Sonntagsevangelium am 27. Juli 2008 (17. Sonntag im Jahreskreis) Von
Andrea Kober-Weikmann, Würzburg
Es gibt Worte, die
üben auch heute noch einen ganz besonderen Zauber aus. Im Evangelium dieses 17. Sonntags
im Jahreskreis begegnen uns zwei: Da ist von einem verborgenen Schatz die Rede und
von kostbaren Perlen. Begriffe, die im Rahmen des Neuen Testaments nicht so oft auftauchen
und die man vermutlich auch sonst nicht sofort mit der frohen Botschaft oder dem Glauben
in Verbindung bringt. Für Jesus sind das aber genau die Vergleiche, mit denen er seinen
Zuhörern klar machen will, welche Bedeutung das Himmelreich, die Königsherrschaft
Gottes für die Menschen hat...
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Und
wie es scheint, trifft er damit auch bei heutigen Menschen einen Nerv: Ein verborgener
Schatz - da fallen mir unwillkürlich die glänzenden Augen meiner kleinen Nichte ein,
wie sie buchstäblich mit angehaltenem Atem und offenem Mund zuhört, wenn man ihr Geschichten
erzählt, in denen es um verborgene Schätze geht. Die jüngsten Erfolge von Romanen
und Filmen, die sich dieser Themen bedienen, sprechen für sich und zeigen, dass der
Stoff durchaus auch bei Jugendlichen und Erwachsenen seinen Reiz nicht verloren hat.
Ganz zu schweigen von der ungebrochenen Faszination, die von Schmuck im allgemeinen
und Perlen im Besonderen ausgeht. [Da unterscheiden sich die Gesichter Erwachsener
beim Schaufensterbummel bisweilen kaum von denen kleiner Kinder, wenn sie ein besonders
begehrtes Spielzeug sehen.] Und das beschränkt sich keineswegs allein auf Frauen,
sondern so mancher an sich nüchterne Zeitgenosse gerät geradezu ins Schwärmen, wenn
das Gespräch auf Uhren, die Zahl ihrer Steine und Komplikationen kommt. Genau diese
Begeisterung reklamiert Jesus für das kommende Gottesreich, das die Menschen so in
seinen Bann schlägt, dass sie alles dafür geben. Der Mann, der den verborgenen Schatz
findet, hat nichts weiter im Kopf als den Acker, in dem er vergraben liegt, zu erwerben.
Er verkauft dafür alles, was er hat. Klar, das würden wir genauso machen. Ein solcher
Fund ist eine einmalige Gelegenheit, die lässt man sich nicht entgehen. Die unwiderstehliche
Wirkung, die das Himmelreich auf die Menschen im Gleichnis hat, erfährt in der zweiten
Erzählung noch eine besondere Steigerung. Das ist nicht irgend ein Perlenhändler,
sondern der Kaufmann, von dem hier die Rede ist, scheint ein echter Spezialist zu
sein und ein absoluter Liebhaber. Vermutlich hat er schon eine Sammlung erlesener
Exemplare, denn er sucht nur ganz besonders schöne Perlen. Aber für die eine, die
er schließlich findet, gibt er seine ganze Kollektion her. Das ist Leidenschaft pur. Um
die Kostbarkeit und Bedeutung des Himmelreichs für die Menschen unmissverständlich
klar zu machen, hätte Jesus wohl kaum bessere Vergleiche nennen können. Aber wie
sieht es mit der Reaktion der Menschen aus? Wo erleben wir diese Begeisterung, die
buchstäblich jede Faser erfasst hat? Was fasziniert so sehr und erscheint uns so attraktiv,
dass unser ganzes Sinnen und Trachten allein darauf ausgerichtet ist? Wenn ich an
die Gesichter beim Vater unser denke, in dem wir immer auch um das Kommen des Himmelreiches
bitten, fällt es mir zumindest schwer, hinter den bewegungslosen Minen ein solches
Feuer zu vermuten. In anderen Lebenszusammenhängen trifft man das eher. Es gibt immer
wieder Frauen und Männer, die im guten Sinn in ihrem Beruf aufgehen und sich weit
über das erforderliche Maß hinaus engagieren, weil sie von ihrem Tun überzeugt sind.
Es mag auch Sammler geben, so ähnlich wie im Beispiel des Gleichnisses von der
Perle; Menschen, die sich im Laufe der Jahre nicht nur eine ansehnliche Sammlung,
sondern auch ein exzellentes Fachwissen erworben haben. Und was echte Leidenschaft
betrifft, kann man vor allem an jugendlichen Fans beobachten, die bisweilen mit einer
schier unglaublichen Bewunderung für alle möglichen Stars bis hin zur totalen Identifikation
mit ihnen überraschen. Aber wo findet sich eine solche Begeisterung für das Reich
Gottes? Die Gleichniserzählungen und die ganze Verkündigung Jesu lassen keinen Zweifel
daran, dass es nichts Wichtigeres geben kann und dass Jesus unsere Begeisterung für
dieses kommende Reich wecken möchte. Deshalb ruft er die Menschen immer wieder dazu
auf, umzukehren, wie es in der Bibel heißt, und sich auf das Himmelreich einzustellen.
Diese Umkehr kann sogar soweit gehen, dass Menschen ihr bisher gewohntes Leben aufgeben
und sich völlig neu orientieren. Und das hat seinen Grund, denn wenn dieses Reich
erst einmal in seiner ganzen Fülle da sein wird, dann wird diese Welt komplett neu
und anders sein. Vor allem das menschliche Miteinander wird sich in dieser neuen Zeit
grundlegend verändern. Ausbeutung und Unterdrückung in all ihren Spielarten werden
genauso wenig zu diesem ganz anderen Zeitalter passen, wie Selbstgenügsamkeit und
phantasieloses Aufgehen in den alltäglichen Geschäften und Geschäftigkeiten. Wie
wir in vielen Erzählungen der Heiligen Schrift nachlesen können, haben das manche
sehr gut verstanden. Zumindest wird recht eindrucksvoll erzählt, wie etwa die Jünger
alles stehen und liegen ließen und sich Jesus angeschlossen haben oder wie reiche
Zöllner in Anbetracht der Botschaft vom nahegekommenen Himmelreich eine völlige Kehrtwendung
vollzogen haben und plötzlich die soziale Verantwortung erkannten, zu der sie auf
Grund ihrer Position und ihres Reichtums verpflichtet waren. Reich Gottes, das sehen
wir an diesen wenigen Beispielen, hat etwas Grundsätzliches und radikal anderes. Es
gibt dieses Reich nicht in der Light-Version, so ein bisschen an Sonn- und Feiertagen,
sondern es betrifft und fordert den ganzen Menschen und seine gesamte Existenz. Seit
ein paar Jahren ist es fast Mode geworden, vom Verfall der Werte in unserer Gesellschaft
zu sprechen und davon wie schwer es heutzutage ist, Kinder so zu erziehen, dass sie
über das persönliche Fortkommen und auf rein Materielles beschränkte Interessen hinaus,
Feingefühl, Herz und Gemeinsinn entwickeln, Verantwortung wahrnehmen und sich verpflichten
lassen. Solcher Sinn für höhere Werte lässt sich allerdings wirklich umso schwerer
wecken und fördern, als die herrschenden Verhältnisse diesen Ansprüchen eben anscheinend
längst nicht mehr in überzeugender Weise gerecht werden können. Jugendliche haben
ein feines Gespür für Wahrhaftigkeit. Fragt man sie nämlich, warum sie mitunter so
wenig Respekt vor klassischen Autoritäten zeigen, dann bekommt man unverhohlen zur
Antwort, dass es dafür keinen Grund gebe, denn die Erwachsenen, die eigentlich Vorbilder
sein müssten, hielten sich selbst nicht an die Regeln, Gesetze oder auch Gebote, die
sie predigten. Sobald man das Verhalten genauer unter die Lupe nehme, sei der Lack
ziemlich schnell ab: Doppelmoral, rücksichtsloses Wirtschaften in die eigene Tasche,
Verantwortungslosigkeit gegenüber den Schwachen in allen Gesellschaften, Ignoranz,
was die langfristigen Folgen aktueller wirtschaftlicher oder auch politischer Entscheidungen
angeht, egal, wo man hinleuchtet, im kleinen und großen Stil, überall Tricks und Winkelzüge,
um sich möglichst billig Durchzulavieren und für sich das Beste und Bequemste herauszuholen.
Solche Aufzählungen, die zum Teil sehr konkret werden und auch vor dem Verhalten der
eigenen Eltern nicht halt machen, sind mehr als beschämend und müssen uns erst recht
im Blick auf die Umkehrbotschaft Jesu sehr nachdenklich stimmen. Noch einmal zurück
zu den Bilder der beiden Gleichnisse: Es geht nicht um irgendetwas, was eventuell
wichtig sein könnte und darum unsere Beachtung finden sollte, sondern es geht um das
Wichtigste überhaupt. Das Matthäusevangelium lässt keinen Zweifel aufkommen, dass
es für keinen Menschen etwas geben könnte, was für sein Leben und den Sinn seines
Daseins größere Bedeutung haben könnte als Gott und sein Reich. Und deshalb gibt es
keine Alternative, als für dieses Reich Gottes alles zu tun, was irgend möglich ist.
Um der Botschaft dieser beiden Gleichniserzählungen für uns wirklich gerecht zu
werden, müssen wir im Grunde noch ein Stück vorher ansetzen, denn die Reaktion auf
den Schatz und die schöne Perle, ist ja bereits die Konsequenz eines vorausgehenden
Geschehens, das sich im Menschen abspielt. Das Finden löst das Verhalten aus.
Ganz konkret: Die einmalige Chance, was den unverhofften Schatzfund angeht, macht
uns klar, dass es hier um eine sehr ernsthafte Frage geht, die wir uns nur selbst
beantworten können. Das Reich Gottes ist wie ein unverhoffter Schatzfund, eine einmalige
Gelegenheit, greifen wir zu? Auch der Glücksgriff des Perlensammlers, mit einem
Prachtexemplar, das alles übertrifft, was er bisher gesehen hat, ist eine Chance,
die sich nur einmal bietet. Der Kaufmann im Gleichnis geht aufs Ganze – und wir? Um
die Antwort kommen wir nicht herum. Wir müssen uns entscheiden, das machen uns die
beiden Gleichnisse klar. Vielleicht hilft es ja, wenn wir uns den Händler aus
dem zweiten Gleichnis zum Vorbild nehmen. Seine Suche nach ausgewählten Perlen, scheint
gut mit unserem Suchen und der Sehnsucht nach einem gelingenden Leben vergleichbar
zu sein. Der Mann im Gleichnis ist voller Leidenschaft für schöne Perlen Was ist
meine Leidenschaft? Wofür brenne ich? Was ersehne ich überhaupt vom Leben und was
ist mir diese Sehnsucht wert? Fragen, die wir uns immer wieder einmal stellen
sollten. Es lohnt sich bestimmt. Und wenn uns die Antworten gar zu schnell über die
Lippen kommen wollen, dann sollten wir kritisch sein und genau nachfragen: Was heißt
das denn konkret? Was ist es denn wirklich, was mich letztlich treibt, begeistert,
am Leben hält und erfüllt? Und natürlich kommen wir dabei auch nicht an der Frage
vorbei, welche Rolle Gott bei all dem spielt. Ob er überhaupt in unseren Plänen auftaucht
und was wir uns von ihm erhoffen. Sein Angebot an uns ist sehr eindeutig:
Eine einmalige Chance, eine kostbare Perle, ein Schatz. Es liegt an uns, bereit
zu sein und entschlossen zuzugreifen. (rv 26.07.2008 mc)