2008-07-21 14:38:51

Das Recht auf Bildung - Beitrag von Botschafter Hans-Henning Horstmann


RealAudioMP3 Über das Grundrecht "Bildung" hat sich der Vatikanbotschafter Deutschlands Hans-Henning Horstmann in seiner monatlichen Kolumne Gedanken macht. Lesen Sie hier seinen Beitrag für Radio Vatikan im Juni 2008. (rv)

 
Sehr verehrte Hörerinnen, sehr verehrte Hörer,
 „Wohlstand für alle heißt heute Bildung für alle“. So formulierte Bundeskanzlerin Merkel am 12. Juni 2008 bei ihrer Festrede „60 Jahre soziale Marktwirtschaft“. Die Zukunft unserer Gesellschaft hängt vom Standard unserer Bildung ab. Wenn in zahlreichen europäischen Ländern junge Menschen – nicht nur aus Familien mit Migrationshintergrund - keinen schulischen Abschluss erreichen, ist das ein Alarmsignal für die Gesellschaft. Politik, Wirtschaft und Kirchen sehen sich aus unterschiedlichen Aspekten herausgefordert. Eine demokratische, plurale und wirtschaftlich erfolgreiche Gesellschaft setzt ein dynamisches Bildungsniveau voraus. Wohlstand und eine gute Zukunft für alle heißt darum Bildung für alle.

Die Soziallehre der Kirche stützt diese Priorität. Sie gibt der Bildung einen hohen Rang. Das II. Vatikanische Konzil stellte in seinem Dokument Gaudium et spes fest: "Das Recht auf Zugang zur Bildung ist eng verknüpft mit den Menschenrechten". Die Entfaltung der Gaben, die jeder Mensch in sich trägt, gilt nach der Soziallehre zugleich als Chance und ethische Verpflichtung. Folglich hängen sichtbare Erfolge im Kampf gegen Armut und Verelendung auch an der wirksamen Überwindung des Analphabetismus und der Bereitstellung tauglicher Bildungs- und Informationssysteme. Papst Paul VI. hat in seiner richtungweisenden Enzyklika „Populorum Progressio“ aus diesem Zusammenhang einen Appell abgeleitet, der bis heute aktuell ist: „Bildung ist das erste Ziel eines Entwicklungsplans“. Wenn Paul VI. im selben Text sagt, Entwicklung sei ein anderer Name für Frieden, wird deutlich, in welchem Maß Bildung für die kirchliche Soziallehre eine ethische Verpflichtung ist. In der Praxis ist dies überall dort abzulesen, wo sich kirchliches Engagement entfalten konnte. Das kirchliche Bildungsangebot ist gerade heute von besonderer, wachsender und weltweiter Bedeutung.

Wo dagegen Bildungssysteme versagen oder das Ethos zu Bildung und Leistung schwindet, wächst Armut. In der globalen Vernetzung der Volkswirtschaften nehmen solche Prozesse schnell Fahrt auf und führen schließlich zu folgenschweren Verlusten an Chancengerechtigkeit. Die Bundeskanzlerin fordert daher: „Jeder Mensch muss seine Chancen nutzen können, unabhängig vom sozialen Status der Eltern“. Sie verknüpft diese Aussage mit dem Modell der sozialen Marktwirtschaft. Marktwirtschaft kann nur überzeugen – so die Kanzlerin - „wenn unsere Gesellschaft Einstieg und Aufstieg möglich macht. Geht das verloren, wenden sich die Menschen von uns ab“. Elementare Voraussetzung für die Nutzung der Chancengerechtigkeit sind Bildung und Erziehung. Somit rückt das Recht auf Bildung und dessen Konkretion in den Mittelpunkt der Fähigkeit unserer Gesellschaft, die Zukunft zu gewinnen.

Bildungsfähigkeit und Bildungswille setzen ein Ethos der Leistungsbereitschaft voraus. Dieses wird jedoch umso größer, je mehr sich Teilhabe am Erfolg einstellt. Ludwig Erhard setzte vor 60 Jahren auf die „Kraft der Freiheit“, die „Energie der Eigeninitiative“ und „Verantwortungsfreude“. Diese Begriffe zeigen, dass Bildung nicht vom Himmel fällt, sondern erarbeitet werden muss. Sie setzt auch ein bestimmtes Menschenbild voraus, das aus der Balance von Freiheit und Verantwortung eine humane und zukunftsfähige Gesellschaft entwickeln kann. Um diese Balance zu halten, bedarf es einer angemessenen Teilhabe an den Erfolgen, mithin also der konkreten Verteilungsgerechtigkeit.

Dem Recht auf Bildung entspricht die Pflicht des Staates und der Gesellschaft, gute Bildungsvoraussetzungen zu schaffen. Aus guten Strukturen werden aber erst neue Chancen, wenn die Menschen sie annehmen. Jeder muss deshalb aus seinen Talenten auch etwas machen wollen. In beide Richtungen muss darum der Appell der Bundeskanzlerin gehört werden, wir müssten eine „Bildungsrepublik“ werden. Erst dann wird aus einem Appell auch eine verbesserte, den neuen Herausforderungen entsprechende Realität.









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