Papst an Klerus: Gegen Missbrauch und Gottlosigkeit
Papst Benedikt XVI. hat vor australischen Klerikern und Ordensleuten sexuellen Missbrauch
Minderjähriger durch Geistliche scharf verurteilt. Vor mehr als 3.000 Menschen in
der Kathedrale St. Mary kritisierte das Kirchenoberhaupt erneut die Abdrängung des
Glaubens ins Private. Gleichgültigkeit gegenüber Religion sei letztlich jedoch ein
Verrat am Menschen, warnte der Papst. Die Priesteranwärter und Novizen rief er auf,
ihrem Weg auch gegen Widerstände treu zu folgen. Aus Anlass seines Besuches weihte
Benedikt XVI. den neuen Marmoraltar der Bischofskirche von Sydney. Der neugotische
Bau selbst war 1929 nach einer Bauzeit von 63 Jahren geweiht und kürzlich restauriert
worden. (kna/rv 19.07.2008 bp)
Wir dokumentieren hier Auszüge aus der Predigt
in deutscher Übersetzung:
Liebe Brüder und Schwestern, ich freue mich,
in dieser edlen Kathedrale meine Brüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst
sowie die Diakone, Ordensleute und Laien der Erzdiözese Sydney zu begrüßen. In ganz
spezieller Weise richten sich meine Grüße an die Seminaristen und die jungen Ordensangehörigen,
die unter uns zugegen sind. Wie die jungen Israeliten in der heutigen ersten Lesung
sind sie ein Zeichen der Hoffnung und der Erneuerung für das Volk Gottes; und wie
jene jungen Israeliten werden sie die Aufgabe haben, das Haus des Herrn in der kommenden
Generation aufzubauen. Wie könnten wir, wenn wir dieses wunderbare Bauwerk bewundern,
nicht an all die Scharen von Priestern, Ordensleuten und gläubigen Laien denken, die
– jeder und jede auf die eigene Art – zum Aufbau der Kirche in Australien beigetragen
haben? Unsere Gedanken gehen besonders zu jenen Siedler-Familien, denen Pater Jeremiah
O’Flynn bei seiner Abreise das Allerheiligste Sakrament anvertraute – eine „kleine
Herde“, die diesen wertvollen Schatz bewahrte und in Ehren hielt und ihn an die nachfolgenden
Generationen weitergab, die diesen großen Tabernakel zur Ehre Gottes erbauten. Freuen
wir uns über ihre Treue und Beharrlichkeit, und widmen wir uns der Aufgabe, ihr Werk
zur Verbreitung des Evangeliums, zur Bekehrung der Herzen und für das Wachsen der
Kirche in Heiligkeit, Einheit und Liebe fortzuführen! Wir schicken uns an, die
Weihe des neuen Altars dieser ehrwürdigen Kathedrale zu feiern. Wie uns das Relief
auf der Vorderseite machtvoll ins Gedächtnis ruft, ist jeder Altar ein Symbol Jesu
Christi, der inmitten seiner Kirche als Priester, Altar und Opfer gegenwärtig ist
(vgl. Osterpräfation V). (…) In der heutigen Liturgie erinnert uns die Kirche daran,
daß ebenso wie der Altar auch wir geweiht worden sind, „ausgesondert“ wurden für den
Dienst an Gott und für den Aufbau seines Reiches. Allzu oft sehen wir uns jedoch in
eine Welt hineingestellt, die Gott „beiseite schieben“ möchte. Im Namen der menschlichen
Freiheit und Autonomie wird Gottes Name schweigend übergangen, Religion auf private
Frömmigkeit reduziert und der Glaube in der Öffentlichkeit gemieden. Manchmal kann
diese mit dem Wesen des Evangeliums so völlig unvereinbare Mentalität sogar unser
Verständnis von der Kirche und ihrer Mission verdunkeln. Auch wir können versucht
sein, das Glaubensleben zu einer reinen Gefühlssache zu machen und so seine Kraft
zu verringern, eine konsequente Weltsicht und einen rigorosen Dialog mit den vielen
anderen Ansichten zu inspirieren, die um den Geist und das Herz unserer Zeitgenossen
wetteifern. Doch die Geschichte, einschließlich die unserer Zeit, zeigt, daß die
Frage nach Gott niemals totgeschwiegen werden kann und daß Gleichgültigkeit gegenüber
der religiösen Dimension der menschlichen Existenz letztlich den Menschen selbst herabwürdigt
und betrügt. (…) Wo immer der Mensch herabgewürdigt wird, verliert auch unsere Umwelt
an Wert; sie verliert ihren letzten Sinn und verfehlt ihr Ziel. Was daraus hervorgeht,
ist eine Kultur nicht des Lebens, sondern des Todes. Wie könnte man so etwas als „Fortschritt“
betrachten? Es ist ein Schritt zurück, eine Form der Regression, die letztlich die
Quellen des Lebens selbst für den einzelnen Menschen und für die ganze Gesellschaft
austrocknen läßt. Wir wissen, daß am Ende – wie der heilige Ignatius von Loyola
so deutlich sah – der einzige wirkliche „Maßstab“, an dem jede menschliche Realität
gemessen werden kann, das Kreuz mit seiner Botschaft von einer unverdienten Liebe
ist, die über das Böse, die Sünde und den Tod triumphiert und neues Leben sowie unvergängliche
Freude schafft. Das Kreuz offenbart, daß wir uns selbst nur finden, wenn wir unser
Leben hingeben, Gottes Liebe als ein unverdientes Geschenk empfangen und uns einsetzen,
um alle Menschen in die Schönheit jener Liebe und in das Licht der Wahrheit hineinzuziehen,
das allein der Welt Rettung bringt. (…) Doch wie schwierig ist dieser Weg der Heiligung!
Er verlangt eine ständige „Umkehr“, ein aufopferndes „sich selber Sterben“, das die
Bedingung für die vollkommene Zugehörigkeit zu Gott ist, und einen Gesinnungswandel
in Geist und Herz, der wahre Freiheit bringt und eine neue große Aufgeschlossenheit.
(…) Von der Besprengung mit Wasser, der Verkündigung von Gottes Wort und der Anrufung
der Heiligen bis zum Weihegebet, der Salbung und Waschung des Altars, der dann weiß
überkleidet und in Licht gehüllt wird, laden alle diese Riten uns ein, unsere eigene
Weihe in der Taufe noch einmal neu zu erleben. Sie laden uns ein, der Sünde und ihren
falschen Verlockungen zu widersagen und immer tiefer aus den lebensspendenden Quellen
der Gnade Gottes zu trinken. Liebe Freunde, möge diese Feier in Anwesenheit des
Nachfolgers Petri ein Moment der Erneuerung unserer Hingabe und der Erneuerung für
die ganze Kirche in Australien sein! An diesem Punkt möchte ich innehalten, um die
Scham einzugestehen, die wir alle empfunden haben aufgrund des sexuellen Mißbrauchs
von Minderjährigen durch einige Kleriker und Ordensleute in diesem Land. Diese Vergehen,
die einen so schweren Vertrauensbruch darstellen, verdienen eine eindeutige Verurteilung.
Sie haben großen Schmerz verursacht und dem Zeugnis der Kirche geschadet. Ich bitte
Euch alle, Eure Bischöfe zu unterstützen, ihnen zu helfen und im Kampf gegen dieses
Übel mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Opfer sollten Mitgefühl und Fürsorge erfahren,
und die Verantwortlichen für diese Übel müssen vor Gericht gestellt werden. Es ist
eine dringende Priorität, eine sicherere und gesundere Umgebung zu fördern, besonders
für die jungen Menschen. In diesen Tagen, (…) während die Kirche in Australien fortfährt,
sich im Geist des Evangeliums dieser schweren pastoralen Herausforderung wirkungsvoll
zu stellen, schließe ich mich Euch im Gebet an, damit diese Zeit der Läuterung zu
Heilung, Versöhnung und immer größerer Treue gegenüber den moralischen Forderungen
des Evangeliums führt. Nun möchte ich mich mit einem besonderen Wort der Zuneigung
und der Ermutigung an die Seminaristen und die jungen Ordensleute wenden, die in unserer
Mitte zugegen sind. Liebe Freunde, mit Großherzigkeit habt Ihr Euch auf den Weg zu
einer besonderen Weihe gemacht, der in Eurer Taufe begründet ist und den Ihr als Antwort
auf den persönlichen Ruf des Herrn eingeschlagen habt. (…) Im heutigen Evangelium
ruft uns der Herr dazu auf, „an das Licht zu glauben“ (vgl. Joh 12,36). Diese Worte
haben für Euch, liebe junge Seminaristen und Ordensleute, eine spezielle Bedeutung.
Sie sind eine Aufforderung, auf die Wahrheit des Wortes Gottes zu vertrauen und fest
auf seine Verheißungen zu hoffen. (…) Fürchtet Euch nicht! Glaubt an das Licht! Nehmt
Euch die Wahrheit zu Herzen, die wir in der heutigen zweiten Lesung gehört haben:
„Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit“ (Heb 13,8). Das Licht
von Ostern vertreibt weiterhin die Finsternis! Der Herr ruft uns auch auf, im Licht
zu wandeln (vgl. Joh 12,35). Jeder von Euch hat den größten und ruhmvollsten aller
Kämpfe aufgenommen, nämlich in der Wahrheit geheiligt zu werden, in der Tugend zu
wachsen und eine Harmonie zwischen Euren Gedanken und Idealen einerseits und Euren
Worten und Taten andererseits zu erreichen. Dringt ehrlich und tief in die Disziplin
und den Geist Eurer Ausbildungsprogramme ein. Wandelt täglich in Christi Licht durch
die Treue zum persönlichen und liturgischen Gebet, das aus der Meditation des inspirierten
Wortes Gottes seine Nahrung bezieht. Die Kirchenväter sahen die Schrift gern als ein
geistliches Eden an, als einen Garten, in dem wir frei mit Gott spazieren gehen und
die Schönheit und Harmonie seines Heilsplanes bewundern können, während sie in unserem
eigenen Leben, im Leben der Kirche und in der gesamten Geschichte Frucht bringt. Laßt
also das Gebet und die Meditation des Wortes Gottes das Licht sein, das die Schritte
auf dem Weg, den der Herr für Euch vorgezeichnet hat, erhellt, läutert und leitet.
Macht die tägliche Eucharistiefeier zum Zentrum eures Lebens. (…) (…) Indem Ihr
den Ruf des Herrn angenommen habt, ihm in Keuschheit, Armut und Gehorsam zu folgen,
habt Ihr die Reise einer radikalen Jüngerschaft angetreten, die Euch für viele Eurer
Zeitgenossen zu einem „Zeichen“ machen wird, „dem widersprochen wird“ (vgl. Lk 2,34).
(…) Laßt uns Maria, die Hilfe der Christen, bitten, die Kirche in Australien
in der Treue zu jener Gnade zu erhalten, durch die der gekreuzigte Herr auch jetzt
die ganze Schöpfung und das Herz jedes Menschen „zu sich zieht“ (vgl. Joh 12,32).
Möge die Kraft seines Heiligen Geistes die Gläubigen dieses Landes in der Wahrheit
heiligen, reiche Frucht an Heiligkeit und Gerechtigkeit zur Erlösung der Welt hervorbringen
und die ganze Menschheit in die Fülle des Lebens geleiten und um jenen Altar versammeln,
wo wir in der Herrlichkeit der himmlischen Liturgie berufen sind, auf ewig Gottes
Lob zu singen. Amen.
Die Papst-Ansprachen in voller Länge sind nachzulesen
auf der Homepage des Vatikans www.vatican.va und in den jeweiligen Ausgaben des Osservatore
Romano.