Sydney: Absage an Gewalt, Bewahrung der Schöpfung - Auszüge aus der Papstansprache
Mit einem bunten Fest im Hafen von Sydney ist Papst Benedikt XVI. am Donnerstagnachmittag
(Ortszeit) beim 23. Weltjugendtag (WJT) begrüßt worden. An der Mole von Rose Bay bestieg
das Kirchenoberhaupt ein Schiff und machte, eskortiert von einer Vielzahl größerer
und kleinerer Boote, eine Rundfahrt durch den Hafenbereich in Richtung Harbour Bridge
und Opernhaus. In der Begrüßungsrede an die gut 150.000 Menschen aus aller Welt rief
Benedikt XVI. zum Glauben an Christus sowie zum Schutz der Umwelt auf. An der Hafenmole
Barangaroo forderte er am Donnerstag eine Absage an Gewalt, nachhaltige Entwicklung,
Gerechtigkeit und Frieden sowie die Bewahrung der Schöpfung. Das Kirchenoberhaupt
beklagte Naturkatastrophen durch Überflutungen und Dürre. Auch durch Abholzung, Erosion
und eine verschwenderische Ausbeutung der Bodenschätze werde Gottes Schöpfung oft
„feindlich und gefährlich“ für die Menschen, der sie eigentlich bewahren sollte.
Hier
Auszüge aus der Ansprache in deutscher Übersetzung:
Liebe junge Freunde, (…)
Woher auch immer wir stammen, schließlich sind wir nun hier in Sydney. Und gemeinsam
stehen wir in unserer Welt als Gottes Familie, als Jünger Christi, gestärkt durch
seinen Geist, um vor allen Zeugen seiner Liebe und Wahrheit zu sein. Zuerst möchte
ich den Ältesten der Aborigines danken, die mich willkommen geheißen haben, bevor
ich das Boot in der Rose Bay bestieg. Ich bin tief bewegt, auf dem Boden Eures Landes
zu stehen, da ich um das Leiden und die Ungerechtigkeiten weiß, die es ertragen hat,
doch ich bin mir auch des aktuellen Heilungsprozesses und der Hoffnung bewußt, die
alle australischen Bürger zu Recht mit Stolz erfüllen. Den jungen Ureinwohnern – den
Aborigines und den Insulanern der Torresstraße – und den Tokelauanern drücke ich meinen
Dank für Euren bewegenden Empfang aus. Durch Euch sende ich herzliche Grüße an Eure
Völker. (…) Vor mir sehe ich ein lebendiges Bild der Weltkirche. Die Vielfalt der
Nationen und Kulturen, aus denen Ihr kommt, zeigt, daß die Gute Nachricht Christi
wirklich für alle und jeden bestimmt ist; sie hat die Enden der Erde erreicht. Doch
ich weiß auch, daß etliche unter Euch noch auf der Suche nach einer geistlichen Heimat
sind. Einige, uns ebenfalls sehr willkommene Teilnehmer sind weder Katholiken noch
Christen. Andere bewegen sich vielleicht am Rande des Lebens der Pfarrei und der Kirche.
Euch möchte ich Ermutigung bringen: Geht voran, in die liebevolle Umarmung Christi
hinein; erkennt die Kirche als Eure Heimat. Niemand muß draußen bleiben, denn seit
Pfingsten ist sie die eine, universale Kirche. Heute abend möchte ich auch diejenigen
einschließen, die nicht unter uns zugegen sind. Ich denke vor allem an die Kranken
oder geistig Behinderten, an die Jugendlichen im Gefängnis, an diejenigen, die sich
am Rande unserer Gesellschaften abmühen, und an jene, die sich, aus was für Gründen
auch immer, der Kirche entfremdet fühlen. Zu ihnen sage ich: Jesus ist Dir nahe! Spüre
seine heilende Umarmung, sein Mitleid und seine Barmherzigkeit! (…) Und im Gehorsam
gegenüber dem Befehl Christi selbst brachen sie auf und gaben Zeugnis für die bedeutendste
Geschichte aller Zeiten: daß Gott einer von uns geworden ist, daß das Göttliche in
die menschliche Geschichte eingetreten ist, um sie zu verwandeln, und daß wir gerufen
sind, uns in die rettende Liebe Christi zu versenken, die über das Böse und über den
Tod triumphiert. Der heilige Paulus leitete diese Botschaft in seiner berühmten Rede
auf dem Areopag so ein: Gott schenkt allen alles – einschließlich das Leben und den
Atem –, so daß alle Nationen Gott suchen und, indem sie den eigenen Weg zu ihm ertasten,
ihn auch finden können. Tatsächlich ist er keinem von uns fern, denn in ihm leben
wir, bewegen wir uns und sind wir (vgl. Apg 17,25-28). Und immer sind seitdem Männer
und Frauen aufgebrochen, um dieselbe Geschichte zu erzählen, Christi Liebe und Wahrheit
zu bezeugen und ihren Beitrag zur Mission der Kirche zu leisten. (…) Sie wurden die
demütigen, aber hartnäckigen Gründer eines großen Teils des sozialen und geistigen
Erbes, das diesen Nationen bis heute Güte, Mitgefühl und Sinn vermittelt. Und sie
inspirierten schließlich eine weitere Generation. Wir denken spontan an den Glauben,
der die selige Mary MacKillop in ihrer klaren Entschlossenheit unterstützte, besonders
die Armen zu unterrichten, und an den seligen Peter To Rot mit seiner unbeirrbaren
Überzeugung, daß die Leitung einer Gemeinschaft sich immer am Evangelium orientieren
muß. Denkt auch an Eure eigenen Großeltern und Eltern, Eure ersten Lehrer im Glauben.
Auch sie haben aus Liebe zu Euch unzählige Opfer an Zeit und Energie auf sich genommen.
(…) Heute bin ich an der Reihe. (…) Und doch waren die Ausblicke auf unseren
Planeten, die sich mir von der Höhe aus boten, wirklich wundervoll. Das Gefunkel des
Mittelmeeres, die Erhabenheit der nordafrikanischen Wüste, das üppige Grün der Wälder
Asiens, die Weite des Pazifischen Ozeans, der Horizont, über dem die Sonne auf- und
unterging, und der majestätische Glanz von Australiens natürlicher Schönheit, die
ich in diesen letzten beiden Tagen genießen konnte – all das weckte eine tiefe Ehrfurcht.
(…) Und da gibt es noch mehr, vom Himmel aus kaum wahrnehmbar: Männer und Frauen,
nach nichts Geringerem als Gottes eigenem Ebenbild geschaffen (vgl. Gen 1,26). Im
Herzen des Wunders der Schöpfung sind wir, Ihr und ich, die Menschheitsfamilie „mit
Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (…) Und gleichsam hineingezogen ins Schweigen, in eine
Haltung des Dankens, in die Macht der Heiligkeit, werden wir nachdenklich. Was
entdecken wir? Vielleicht kommen wir etwas widerstrebend zu dem Eingeständnis, daß
es auch Verletzungen gibt, welche die Oberfläche unserer Erde zeichnen: Erosion, Entwaldung,
die Verschwendung der weltweiten Mineral- und Meeresressourcen, um einen unersättlichen
Konsumismus zu befriedigen. Einige von Euch kommen aus Insel-Staaten, deren Existenz
durch die ansteigenden Meeresspiegel bedroht sind; andere aus Nationen, die unter
den Folgen verheerender Trockenheit leiden. (…) Aber mehr noch. Wie steht es um
den Menschen, den Gipfel von Gottes Schöpfung? Jeden Tag begegnen wir dem Genius menschlicher
Errungenschaften. Von den Fortschritten in den medizinischen Wissenschaften und der
klugen Anwendung der Technologie bis zur Kreativität, die sich in den Künsten niederschlägt,
sind Lebensqualität und Lebensfreude der Menschen auf vielerlei Weise in ständigem
Anstieg begriffen. Bei Euch selbst gibt es eine schnelle Bereitschaft, die Euch angebotenen
reichlichen Möglichkeiten aufzugreifen. (…) Das stimmt uns wiederum nachdenklich.
Und wir entdecken, daß nicht nur das natürliche, sondern auch das soziale Umfeld –
der Lebensraum, den wir selbst uns gestalten – seine Verletzungen hat; Wunden, die
anzeigen, daß etwas nicht in Ordnung ist. Auch hier, in unserem persönlichen Leben
und in unseren Gemeinschaften können wir einer Feindseligkeit, etwas Gefährlichem
begegnen; einem Gift, das droht, das, was gut ist, zu zerstören, das, was wir sind,
zu verformen und den Zweck, zu dem wir erschaffen worden sind, zu verdrehen. Beispiele
dafür sind reichlich vorhanden, wie Ihr selber wißt. Zu den vorherrschenden gehören
Alkohol- und Drogenmißbrauch, die Verherrlichung der Gewalt und der sexuelle Verfall,
die in Fernsehen und Internet oft als Unterhaltung präsentiert werden. Ich frage mich:
Könnte jemand Aug’ in Auge mit Menschen, die tatsächlich unter Gewalt und sexueller
Ausbeutung leiden, „erklären“, daß diese Tragödien, wenn sie in virtueller Form wiedergegeben
werden, lediglich als „Unterhaltung“ zu betrachten sind? So manches Unheil kommt
auch daher, daß Freiheit und Toleranz so oft von der Wahrheit getrennt werden. Das
wird durch die heute weithin vertretene Vorstellung gefördert, daß es keine absoluten
Wahrheiten gibt, die unser Leben lenken können. Der Relativismus hat, indem er unterschiedslos
praktisch allem einen Wert zugesteht, die „Erfahrung“ zum alleinigen Kriterium erhoben.
Wenn aber Erfahrungen von jeder Überlegung, was gut und wahr sei, losgelöst werden,
können sie, anstatt zu echter Freiheit zu verhelfen, zu moralischer und intellektueller
Verwirrung, zu einer Schwächung der Prinzipien, zum Verlust der Selbstachtung und
sogar in die Verzweiflung führen. Liebe Freunde, das Leben wird nicht vom Zufall
regiert; es ist nicht der Willkür unterworfen. Euer persönliches Sein ist von Gott
gewollt; er hat es gesegnet und ihm einen Sinn gegeben (vgl. Gen 1,28)! Das Leben
ist nicht bloß eine Abfolge von Ereignissen oder Erfahrungen, so hilfreich viele von
ihnen auch sind. Es ist ein Suchen nach der Wahrheit, dem Guten und dem Schönen. Zu
diesem Zweck treffen wir unsere Entscheidungen, dafür üben wir unsere Freiheit aus;
darin – in Wahrheit, Güte und Schönheit – finden wir Glück und Freude. (…) Christus
bietet mehr! Tatsächlich bietet er alles! Allein er, der die Wahrheit ist, kann der
Weg sein und darum auch das Leben. (…) Liebe Freunde, bei Euch zu Hause, in Euren
Schulen und Universitäten, an Euren Arbeitsplätzen und in der Freizeit erinnert Euch
daran, daß Ihr eine neue Schöpfung seid! Ihr steht nicht nur in Ehrfurcht vor dem
Schöpfer und freut Euch an seinen Werken, Ihr erkennt auch, daß das sichere Fundament
der menschlichen Solidarität in dem Ursprung liegt, den jeder Mensch – der Gipfel
des Schöpfungsplanes Gottes für die Welt – mit allen anderen gemeinsam hat. Als Christen
steht Ihr in dieser Welt in dem Wissen, daß Gott ein menschliches Angesicht hat –
Jesus Christus –, der „Weg“, der alles menschliche Sehnen befriedigt, und das „Leben“,
von dem Zeugnis zu geben wir berufen sind, indem wir immer in seinem Licht wandeln
(vgl. ebd., 100). Die Aufgabe des Zeugen ist nicht leicht. Es gibt heute viele,
die fordern, Gott müsse „auf der Ersatzbank“ gelassen werden und Religion und Glauben,
die zwar für die Einzelnen gut sind, müßten aus dem öffentlichen Leben entweder gänzlich
ausgeschlossen oder aber nur zur Verfolgung begrenzter pragmatischer Ziele eingesetzt
werden. Diese säkularisierte Sichtweise versucht, mit wenig oder gar keinem Bezug
auf den Schöpfer menschliches Leben zu erklären und die Gesellschaft zu formen. Sie
stellt sich selbst als neutral, als unparteiisch und daher für jeden offen vor. In
Wirklichkeit aber drängt der Säkularismus wie jede Ideologie eine bestimmte Sicht
der Welt auf. Wenn Gott für das öffentliche Leben irrelevant ist, dann wird die Gesellschaft
nach einem gottlosen Bild geformt, und die Debatte und die Politik, die das öffentliche
Wohl betreffen, werden mehr von den Folgen als von in der Wahrheit begründeten Prinzipien
bestimmt. Doch die Erfahrung zeigt, daß die Abwendung vom Plan des Schöpfers Unordnung
hervorruft, die sich unausweichlich auf die übrige Schöpfung auswirkt (vgl. Botschaft
zum Weltfriedenstag 1990, 5). (…) Doch wie steht es um unser soziales Umfeld? Sind
wir gleichermaßen aufmerksam auf die Zeichen unserer Abwendung von den moralischen
Strukturen, mit denen Gott die Menschheit ausgestattet hat (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag
2007, 8)? (…) Und so werden wir angeregt darüber nachzudenken, welchen Platz die Armen
und die alten Menschen, die Immigranten und diejenigen, die kein Mitspracherecht besitzen,
in unseren Gesellschaften einnehmen. Wie ist es möglich, daß so viele Mütter und Kinder
unter häuslicher Gewalt zu leiden haben? Wie ist es möglich, daß der wundersamste
und heiligste Raum im Menschen – der Mutterschoß – zum Ort unsagbarer Gewalt geworden
ist? (…) Unsere Welt ist der Gier, der Ausbeutung und der Spaltungen, der Öde falscher
Idole und halber Antworten und der Plage falscher Versprechungen überdrüssig geworden.
Unsere Herzen und Gedanken sehnen sich nach der Vision eines Lebens, wo Liebe andauert,
wo Gaben geteilt werden, wo Einheit gebildet wird, wo Freiheit ihren eigentlichen
Sinn in der Wahrheit findet und wo die Identität in einem respektvollen Miteinander
gefunden wird. Das ist das Werk des Heiligen Geistes! Das ist die Hoffnung, die das
Evangelium Jesu Christi bereithält. Um für diese Wirklichkeit Zeugnis zu geben, seid
Ihr in der Taufe neu geschaffen und in der Firmung durch die Gaben des Geistes gestärkt
worden. Das soll die Botschaft sein, die Ihr von Sydney aus in die Welt tragt! (…)Liebe
Freunde, die ihr mich in meiner Muttersprache versteht, von Herzen grüße ich euch
alle. Erweist euch überall als freudige Zeugen der frohmachenden Botschaft Jesu! Sprecht
mutig von eurem Glauben, auch wenn ihr zuweilen auf Widerspruch stößt und das Kreuz
der Ablehnung erfährt. Der Herr, der für uns ein größeres Kreuz getragen hat, wird
euch beistehen. Gott schenke euch eine gute, gesegnete Zeit hier in Australien.
Die
Papst-Ansprachen in voller Länge sind nachzulesen auf der Homepage des Vatikans www.vatican.va
und in den jeweiligen Ausgaben des Osservatore Romano.