2008-06-19 19:22:07

Impotenz als Ehehindernis: Gottgewollt oder alter Zopf?


RealAudioMP3 Impotenz als Hindernis für eine kirchliche Ehe betrifft verhältnismäßig wenige Menschen. Das ist aber kein Grund, sich nicht darüber den Kopf zu zerbrechen, ob diese Regelung gut oder schlecht ist, ob sie rechtens oder Unrecht ist. Denn von außen betrachtet liegt offenbar eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung vor. So wie im Fall von Viterbo, der letzte Woche durch die Medien ging: Der Pfarrer und dann der Bischof verweigerten einem jungen Mann und seiner Verlobten die kirchliche Eheschließung, weil der 25-Jährige nach einem Unfall querschnittgelähmt und damit impotent ist.

Tatsächlich besagt die Kirche: Wer sexuell impotent ist, kann keine gültige Ehe eingehen. Denn:

„Die Geschlechtsgemeinschaft ist für die Ehe spezifisch“,

erklärt der Kirchenrechtler P. Nikolaus Schöch OFM, Zweiter Ehebandverteidiger an der Apostolischen Signatur, also dem Höchstgericht der Katholischen Kirche hier in Rom:

„Die Ehe ist der einzige Ort, in dem man nach katholischer Morallehre legitim seine Geschlechtlichkeit ausüben kann, und die Bedeutung des Geschlechtsverkehrs in der Ehe ergibt sich auch aus der Hinordnung der Ehe auf Nachkommenschaft. Denn jede Ehe ist auf Nachkommenschaft hingeordnet, weil dies einen wesentlichen Ehezweck darstellt. Das Gattenwohl und die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft zählen zu den wesentlichsten Ehezwecken, warum die Institution Ehe vom Schöpfer eingerichtet worden ist.“

Kinder sind also nach heutigem katholischem Verständnis nicht der einzige Ehezweck. In der Ehe findet die Liebe ihren Platz, Liebe gleichsam mit Großbuchstaben, im umfassenden seelischen und leiblichen Sinn.

„Die Ehe verfolgt auch den Zweck, beide Partner gegenseitig durch die Geschlechtsverschiedenheit und ihre umfassende Gemeinschaft zu ergänze. Dh die Partner ergänzen sich gegenseitig in dieser intimen Lebensgemeinschaft, die alle Bereiche umfassen soll, und damit dient die Ehe wesentlich dazu, das Wohl jedes der beiden Partner zu erreichen.“

Sexualität hat also einen ausgezeichneten Platz im ehelichen Leben, und das Fehlen von Sexualität kann zur schweren Last werden, an der so manche Ehe bereits gescheitert ist. Für die Gültigkeit einer Ehe ist allerdings nicht entscheidend, dass Mann und Frau über die Jahre ein erfüllendes Sexualleben haben. Für das Ein-Fleisch-Werden, von dem die Bibel spricht, stellt das Kirchenrecht quasi nur eine Mindestanforderung, dass nämlich die Ehe vollzogen wird, das heißt, dass es zu einem Geschlechtsverkehr kommt. Deshalb:

„Wichtig ist, dass die Beischlafsfähigkeit zum Zeitpunkt der Eheschließung gegeben ist.“

Hier öffnen wir eine kurze Parenthese. Nie ist die Kirche so weit gegangen zu sagen: Unfruchtbarkeit eines Menschen schließt ihn von der Ehe aus. Sterilität ist – im Gegensatz zur Impotenz – KEIN Ehehindernis. Die Kirche schreibt den Eheleuten nicht vor,

dass Nachkommen dann tatsächlich gezeugt werden müssen, denn es kann sein, dass jemand steril ist, aber dennoch gültig heiraten kann, sofern sein Partner davon informiert ist. Das heißt, der Partner muss wissen im Fall der Sterilität, dass diese vorliegt, und dann ist die Ehe dennoch gültig.“

Kehren wir kurz zum Fall von Viterbo zurück: Nicht wenige Kirchenrechtler haben, zu diesem Verdikt des Bischofs befragt, gemeint, sie hätten wohl anders entschieden. Wir können und wollen den konkreten Fall nicht aufrollen, es geht uns ums Prinzip. Muss, darf, kann der Pfarrer einem Querschnittgelähmten die Eheschließung verweigern? Pater Schöch, er ist übrigens auch Kommissar für die Auflösung nichtvollzogener Ehen an der Sakramentenkongregation, stellt klar:

„Ees ist im Zweifel IMMER zugunsten der Eheschließung zu entscheiden.“

Zweifel können etwa bestehen, ob der heiratswillige Mann mit 100prozentiger Sicherheit beischlafsunfähig ist.

Eine rein vermutete oder wahrscheinliche Beischlafsunfähigkeit ist nicht ausreichend dafür, dass die kirchliche Eheschließung den Partnern verweigert wird. Und wenn die Unfähigkeit zum ehelichen Akt besteht, kann die Ehe nur dann verboten werden, sofern diese Unfähigkeit auf Dauer vorliegt, das heißt medizinisch nach moralisch erlaubten Mitteln nicht heilbar ist und mit Sicherheit vorliegt.“

 
Das erklärt übrigens, warum wir bei Impotenz als Ehehindernis ausschließlich über Impotenz mit körperlich-organischen Ursachen reden. Hat die Impotenz seelische Ursachen, kann sie kein Ehehindernis sein.

„Psychische Impotenz gibt es auch als solche, aber die ist dann sehr schwer als dauerhaft nachzuweisen und wird dann als Hindernisgrund nicht anerkannt.“

Pater Schöch resümiert:
 
„Im Zweifelsfall darf die Eheschließung nicht verweigert werden. Wichtig ist, dass der Pfarrer verpflichtet ist, nachzufragen, und unter gegebenen Umständen kann er die Partei natürlich auch darum bitten, ein medizinisches Attest vorzulegen. Aber im Verweigerungsfall wird er sich schwer tun, Gewissheit zu haben über das Vorliegen der Impotenz.“

In anderen Worten: Verweigert das Paar, ein Attest vorzulegen, muss der Pfarrer die beiden trauen.

Zeit für einen Ausflug in die Praxis. Ein Paar kommt zum Traugespräch, und der Pfarrer hat den Verdacht, dass einer der beiden impotent sein könnte. Was tut er? Das haben wir den Wiener Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner gefragt.

„Meistens wird darüber in der Praxis eher wenig geredet und es wird diskret hinweggegangen über solche Fragestellungen, auch wenn die später in den Akten vorkommen, ob es Ehehindernisse gibt, aber man lotet ja letztlich auch nicht alles aus, sondern nimmt den Wunsch nach einer kirchlichen Feier rund um diese Bündnis von Mann und Frau freudig entgegen und tut das beste, was die Kirche eigentlich tun kann. Wenn eine gewisse Unsicherheit vorhanden ist, ist das nicht eine primäre Aufgabe des Seelsorgers, hier eine Inquisition zu machen, zumal das ja eher eine medizinische Frage ist und keine pastorale.“

Ähnlich sieht es der Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke:
 
„Das bedeutet in der Praxis, hier bei uns in Deutschland und ganz allgemein und durchgehend, dass ein Pfarrer, wenn er seinen Generalvikar fragt, wie er sich verhalten soll, IMMER die Auskunft kriegt, du kannst es nicht genau wissen, ob es unheilbar ist, trau die Leute."

Zwischenstand: Impotenz ist aus Sicht der Kirche ein Ehehindernis. Aber die Sache wird in der Praxis nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht ist. Im Zweifel für den Angeklagten, im Zweifel Liebe vor Sex. Dennoch stellt der juristische Sachverhalt, also: Ausschluss eines auf diese Weise behinderten Menschen von der Ehe, von außen betrachtet, eine schwere Diskriminierung behinderter Menschen vor dem Kirchenrecht dar. Und: gibt es nicht auch sehr erfüllende Sexualität für beide Partner, selbst wenn keine Penetration stattfindet?

Hier stellt sich die Frage: Müssen die Paragraphen des Kirchenrechtes in diesem Punkt so bleiben, wie sie sind? Die Geschichte des Kirchenrechts ist voller Revisionen – auch zu viel umfassenderen dogmatischen Fragen. Die Regensburger Kirchenrechtlerin Sabine Demel erinnert an den alten Glaubensgrundsatz, dass niemand außerhalb der katholischen Kirche des ewigen Lebens teilhaftig werden könne. Dieses Dogma war seinerzeit eingeleitet mit den sehr verbindlichen Worten: „Die Kirche glaubt fest, bekennt und verkündet“ – und doch hat das II. Vatikanische Konzil diesen Grundsatz aufgegeben. Impotenz als Ehehindernis aufzugeben – ginge das? Klaus Lüdicke sagt ja.

„Das Ehehindernis richtet sich nach dem Ehebegriff. Der Ehebegriff ist aber durch das II. Vatikanum sehr stark verändert worden, besser gesagt, die Kirche hat dazugelernt, Ehe zu verstehen, und sie müsste im Grund diesen Kanon im Kodex diesem Verständnis von Ehe anpassen.“

Hier nähern wir uns freilich einer theologischen Grundfrage. Laut kirchlicher Auffassung ist Impotenz ein Ehehindernis göttlichen Rechts – und damit nicht änderbar. Denn die Sexualität ist der Ehe und NUR der Ehe eingeschrieben, und sie ist in der göttlichen Ordnung grundgelegt. Hier kann der Kirchenrechtler nicht von außen her argumentieren.

„Ich würde das nicht an der Diskriminierung von Behinderten aufhängen, ich würde es am Eheverständnis als solchem aufhängen. Es ist einfach nicht mehr richtig, aus der Tatsache, dass zwei Menschen miteinander keinen Geschlechtsverkehr vollziehen können, einen Mangel der Ehe abzuleiten.“

Vor dem Konzil sah die Kirche die Ehe als einen Vertrag. Dieser Vertrag beinhaltete das Recht der Eheleute auf den Körper des anderen, weswegen etwa auch mehr Toleranz für Vergewaltigung in der Ehe bestand. Den Wechsel in der Anschauung dessen, was eine Ehe ist, was unabdingbar dazugehört, und was zweitrangig ist, diesen Wechsel vollzog das Konzil mit der Konstitution „Gaudium et spes“. Dieses spricht erstmals über die Ehe mit einer anderen Zugangsweise.

nämlich die Ehe als Personengemeinschaft zwischen zwei Menschen, die ihr Schicksal miteinander teilen wollen, und zwar ein sich-einander-Schenken so, wie sie sind, und nicht so, wie sie sein sollten. Das heißt, dass im Eheverständnis des II. Vatikanums Sexualität nicht Gegenstand des Ehevertrages ist, von einem Ehevertrag ist auch gar nicht mehr die Rede, sondern von einem Bund zwischen den Partnern, und dass von daher die Frage, in welcher Form die Partner einander ihre Zuneigung ausdrücken, ob sie offen sind für Nachkommenschaft, ob sie Sexualität durch Geschlechtsverkehr zum Ausdruck bringen wollen oder in anderer Weise, ihnen eigentlich überlassen ist. Sodass von daher die Sexualität und schon gar der Geschlechtsverkehr gar nicht mehr diese Rolle im Eheverständnis spielt, wie das in der alten Konzeption der Fall war.“

Wie zentral ist Geschlechtsverkehr für die Ehe? Subjektiv betrachtet, nicht besonders. Als völlige Hingabe an den Partner und als Ausdruck umfassender Liebe hat Sexualität hundert Gesichter. Das sagt auch P. Nikolaus Schöch vom Höchstgericht der katholischen Kirche.

„Das stimmt natürlich, es gibt ja auch Erfahrungsberichte von zT extrem behinderten Personen, manche sind querschnittsgelähmt bis zu den Halswirbeln, können nur nicken und kaum sprechen, sind getraut worden, und behaupten, sie würden ein erfüllendes und beglückendes Eheleben führen. Das ist eine subjektive Erfahrung und kann keineswegs in Zweifel gestellt werden, denn dazu gibt’s genug Erfahrungsberichte. Nur entspricht eine solche Gemeinschaft nicht mehr dem kirchlichen Eheverständnis, wo die Beischlafsfähigkeit als Ausdruck der vollständigen Vereinigung der Partner, welche auch biblisch grundgelegt ist, dass die beiden ein Fleisch werden, dass nach dem Schöpferwillen, wie in der Genesis bereits grundgelegt worden ist, die beiden Partner in der Ehe ein Fleisch werden, was dann auf diese vollständige Art und Weise nicht mehr gegeben ist. Wobei keineswegs bezweifelt werden soll, dass subjektiv erfüllende Lebensgemeinschaft möglich ist.“

Wer bestimmt, was volle Sexualität ist? Und: wie demütigend ist es für einen impotenten Menschen, der Kirche nicht zu genügen, wenn es um die Ehe geht? Wir hätten dazu gerne mit einer katholischen Behindertenorganisation gesprochen und haben es bei der Caritas Deutschland versucht. Dort hat man sich allerdings zu diesen Fragen noch keine Meinung gebildet. Die Kirche selbst sagt jedenfalls soviel: Eine Lebensgemeinschaft ohne Sexualität, ohne Geschlechtsverkehr kann durchaus legitim sein, auch für Behinderte, aber das ist dann keine Ehe. Paul Michael Zulehner:

„Wir geraten damit natürlich auch in die Nähe, warum wir nicht akzeptieren, dass zB homosexuelle Paare eben auch eine Eheschließung vornehmen, und da sind wir in der Kirche halt durchaus der Meinung, dass die Ehe schon etwas mit der Reproduktion des Lebens zu tun hat, und wo das von Haus aus ausgeschlossen ist, soll es doch menschenwürdige andere Formen von Bündnissen und Verbindungen geben, meinetwegen auch kirchliche Segensfeiern, und man sollte nicht sagen, wenn jemand dann nicht ins Reproduktionsmodell Ehe und Familie einsteigt, dass er deswegen diskriminiert ist. Wir müssen eine größere Vielfalt von Lebensformen nebeneinander zur Verfügung haben in einer Gesellschaft und auch kirchlich wertschätzen, dann würde der Druck auf die Menschen sinken, die nicht im Sinn des Eherechts heiraten können, dass man denen die Würde nicht mindert und sie diskriminiert.“

Pater Schöch steht einer Abschaffung des Ehehindernisses Impotenz abwartend gegenüber. Er führt aber auch ein rein quantitatives Element ins Feld.

„Es ist durchaus eine lebhafte Debatte, obwohl Impotenz als Ehenichtigkeitsgrund ja sehr selten geworden ist, wir haben in der Rota-Judikatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Impotenz als Haupt-Nichtigkeitsgrund. Das ist gegenwärtig ein sehr seltener Nichtigkeitsgrund geworden, wegen des medizinischen Fortschritts, zum andern weil es sich oft um Partner im fortgeschrittenen Alter handelt, und die fechten die Gültigkeit ihrer Ehe nicht an, denn sie haben kein Interesse, dass ihre Ehe für nichtig erklärt wird, denn sie leben glücklich zusammen. Also ist die Zahl der Fälle, in denen die Ehe für nichtig erklärt wird wegen Impotenz sehr selten.“

Hier ist die Rückseite des Ehehindernisses Impotenz angesprochen. Weil Impotente nach gegenwärtiger Rechtslage keine gültige Ehe eingehen können, sind die Ehen, die sie schließen, nichtig: So eine Ehe kann annulliert werden. Würde nun die Kirche nach langen Beratungen übereinkommen, das Ehehindernis Impotenz zu streichen, dann fiele dieser Grund für eine Annullierung weg. Klaus Lüdicke.

„Wenn man konsequenterweise sagt, mit dem II. Vatikanum ist das kein Ehehindernis mehr, sondern nur noch ein Mangel, wenn einer dem anderen das verschweigt zb, also ihn darüber täuscht, oder wenn die Partner nichts davon gewusst haben und jetzt in einem Irrtum über eine Eigenschaft waren, die das eheliche Zusammenleben schwer stören kann, wie es in einem anderen Kanon des Kodex heißt, dann müsste man sagen: Impotenz - kein Nichtigkeitsgrund mehr, und also auch keine Ehenichtigkeitserklärung, wenn Partner damit nicht fertig werden. Das wäre dann die Kehrseite der Medaille.“

Lüdicke:

Die kritischen Stimmen nehmen zu, ja. Wer sich mit diesem Thema befasst, und man befasst sich einem Thema ja nur, wenn man es geändert haben möchte, die Stimmen mehren sich, die da für eine Änderung des Gesetzes plädieren.“

Schöch:

 
„Natürlich geht die kirchliche Lehre davon aus, dass es einen Fortschritt geben kann in der Erkenntnis des Schöpferwillens, in der Erkenntnis des Naturrechts, das ja immer unvollständig erkannt wird, und es kann im Lauf der Zeit einen Fortschritt geben.“

Das heißt, die Streichung des „Impotenz-Paragraphen“ aus dem Kirchenrecht könnte in Zukunft geschehen, sagt Pater Schöch. Bis es eventuell eines Tages soweit ist, rät der Pastoraltheologe Zulehner zu einer pragmatischen Lösung.

„Solange die Sache nicht ausgereift ist, und mir scheint sie noch nicht ausdiskutiert zu sein, sollte man eher eine großzügige Praxis haben und sagen, wenn eines der Eheziele so eindeutig ist wie die Liebe der beiden zueinander und es eine gewisse Unsicherheit in der Zeugungsfähigkeit gibt, was ja viele andere Paare heute auch nicht wissen, ob sie das nicht sind, dann sollte man eher hinweggehen zunächst einmal. Ich denke dass das Sonderfälle sind, wo man pastoraltheologisch gerade um der Wertschätzung und des Lebensrechtes von Behinderten willen eine gewisse Flexibilität haben kann.“

(rv 19.07.2008 gs)









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