2008-06-15 13:49:40

Die Predigt Benedikts XVI. in Brindisi im Volltext


Papst Benedikt hat an diesem Sonntag eine Messe im Hafen von Brindisi gefeiert. Hier dokumentieren wir seine Predigt in einer eigenen Arbeits-Übersetzung.
„Liebe Brüder und Schwestern,Im Mittelpunkt meiner Reise nach Brindisi feiern wir an diesem Tag des Herrn das Geheimnis, das Quelle und Höhepunkt des Kirchenlebens ist. Wir feiern Christus in der Eucharistie - sein größtes Geschenk aus seinem göttlichen und menschlichen Herzen, das geteilte und verteilte Brot des Lebens, damit wir ein einziger Leib mit ihm und unter uns werden. Ich grüße euch alle recht herzlich, die ihr an diesen so symbolträchtigen Ort gekommen seid, der Hafen nämlich, der die Reisen von Petrus und Paulus in Erinnerung ruft. Mit Freude stelle ich fest, dass so viele Jugendliche anwesend sind, die diese Nacht für uns gebetet haben, um sich auf den heutigen Gottesdienst vorzubereiten. Und ich grüsse auch euch, die ihr durch das Radio oder Fernsehen geistig mit uns verbunden seid. Ich richte meinen Gruss auch in besonderer Weise an den Oberhirten dieser geliebten Kirchgemeinde, Bischof Rocco Talucci, und danke ihm für die freundlichen Worte, die er am Anfang dieser Messe an mich gerichtet hat. Ich grüsse auch die anderen Bischöfe aus Apulien, die mit uns in brüderlicher Eintracht verbunden sein wollten. Ich bin besonders glücklich, dass auch der Metropolit Gennadios anwesend ist, an den ich meinen Gruss richte, womit ich auch alle orthodoxen Gläubigen und anderen Christen erreichen will. Das mache ich von jener Ortskirche aus, die seit jeher ökumenisch ausgerichtet ist und uns darin bestärkt, für die volle Einheit aller Christen zu beten. Ich grüsse auch die Vertreter ziviler und militärischer Behörden, die an dieser Liturgie teilnehmen. Ihnen wünsche ich alles Gute für ihren Dienst. Meine Gedanken gehen auch zu den Priestern und Diakonen, den Ordensleuten und allen Gläubigen. Einen besonderen Gruss richte ich an die Kranken und Gefängnisinsassen, denen ich mein Gebet versichere. Ein Danke und Friedenswunsch an alle, und für die ganze Stadt Brindisi!

„Für die Einheit aller Christen beten“

Die Bibeltexte, die wir an diesem elften Sonntag im Jahreskreis gehört haben, helfen uns, die Wirklichkeit der Kirche zu verstehen. Die Erste Lesung erinnert uns an den geschlossen Bund am Sinai bei der Flucht (des Volkes Israel) aus Ägypten. Das Evangelium besteht aus der Berufung und der Mission der Apostel. Wir finden hier sozusagen die „Verfassung“ der Kirche vor: wie kann man die darin ausgedrückte Einladung nicht verstehen, die an jede Gemeinschaft gerichtet ist - ihrer eigenen Berufung zu folgen, und mit eigenem Schwung wie beim Sinai! Es handelt sich um eine der wichtigsten Etappen in der Heilsgeschichte, einen jener Momente, die die Geschichte selber betreffen, in der die Grenze zwischen Altem und Neuem Testament verschwindet und sich stattdessen das Gesicht Gottes zeigt. Das Sichtbarwerden der Befreiung aller Menschen durch die Heiligung des Volkes, dem Gott vorschlägt, „sein Besitz zu werden unter allen Völkern“. Unter dieser Sichtweise ist das Volk gerufen, „eine heilige Nation“ zu werden. Und das nicht nicht nur im moralischen Sinne verstanden, sondern ... vor allem in seiner eigenen ontologischen Bedeutung, in seinem Sein als Volk. In welcher Weise man die Identität dieses Volkes verstehen sollte, zeigt sich im Laufe der Zeit in den Ereignissen der Heilsgeschichte bereits im Alten Testament; das wurde dann vollständig mit der Ankuft Jesu Christi verwirklicht.

Das heutige Evangelium zeigt uns einen wichtigen Augenblick dieser Offenbarung. Dann nämlich, als Jesus die Zwölf Jünger zu sich ruft, die symbolisch die Stämme Israels darstellen, die auf die zwölf Söhne Jakobs zurückgehen. Daher lässt er uns durch die Betonung seiner neuen Gemeinschaft der Zwölf erkennen, dass er gekommen ist, um das Vorhaben des himmlischen Vaters zu verwirklichen, auch wenn erst an Pfingsten die Kirche sichtbar werden sollte: als nämlich die Zwölf „voll des Heiligen Geistes“ das Evangelium in allen Sprachen verkündeten. Da wurde die Universalkirche sichtbar, findbar in einem einzigen Leib des auferstandenen Christus, der das Haupt ist, von ihm selbst zu allen Nationen gesandt, bis ans Ende der Welt.

Für das Reich des Lebens arbeiten

Der Stil Jesu ist unverkennbar: es ist der typische Stil Gottes, der es liebt. die größten Dinge in armer und einfacher Art zu tun. Die Bedeutung der Bundes-Erzählungen im Buch Exodus macht im Evangelium dem einfachen und diskreten Stil Platz, der aber eine enorme Kraft der Erneuerung beinhaltet. Es ist die Logik des Reich Gottes, das nicht zufällig durch den kleinen Samen dargestellt wird, der dann ein grosser Baum wird. Der Bund in Sinai ist begleitet von kosmischen Zeichen, die den Israeliten Angst machten; der Beginn der Kirche in Galiläa kommt hingegen ohne diese Zeichen aus, hier zeigen sich vielmehr die Milde und den Mitleid des Herzens Jesu Christi. Doch sie künden einen anderen Kampf an, eine andere Bestürzung, die von den Kräften des Bösen stammen. Den Zwölf – wie wir gehört haben – gab Er „die Kraft, die bösen Geister zu vertreiben und jegliche Krankheiten zu heilen“. Die Zwölf müssen mit Christus zusammenarbeiten, um das Reich Gottes zu schaffen... Konkret bedeutet dies, dass die Kirche wie Christus und mit ihm gerufen ist, für das Reich des Lebens zu arbeiten und die Herrschaft des Todes zu besiegen, damit in der Welt Gott als Sieger dasteht. Möge Gott siegen, der die Liebe ist.

„Auch die Apostel waren nicht perfekt“

Das ist der Plan Gottes: in der Menschheit und dem gesamten Kosmos seine Liebe zu verbreiten, die Leben schafft. Ein Projekt, das allerdings der Herr einzig durch den Respekt unserer Freiheit gewährt, weil die Liebe an sich nicht ein Zwang ist. Die Kirche ist deshalb, in Christus, der Begegnungs- und Besprechungsraum der Liebe Gottes. In dieser Sicht zeigt sich die Kirche offenkundig als heilig und missionarisch, was zwei Seiten von ein und derselben Medaille sind: denn nur als heilige Kirche, und das heißt voll der Gottesliebe, kann sie ihre Mission erfüllen, und es ist gerade dadurch, dass Gott sie ausgewählt hat und als sein Eigentum geheiligt hat. Auf das Verhältnis „Heiligkeit und Mission“ wird eure Ortskirche, liebe Brüder und Schwestern, im Augenblick geprüft, bei der Diözesansynode. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daran zu erinnern, dass auch die zwölf Apostel nicht perfekt waren und dass sie keineswegs wegen ihrer tadellosen moralischen und religiösen Seiten ausgewählt wurden. Sie waren sicherlich Gläubige, voll des Enthusiasmus und Eifers, doch gekennzeichnet durch die Grenzen ihrer Menschlichkeit, die manchmal sehr schlimm waren. Jesus rief nicht, weil sie bereits Heilige waren, sondern damit sie es werden konnten. Das gilt auch für uns. Für uns Christen alle. In der Zweiten Lesung haben wir die Zusammenfassung des Apostels Paulus gehört: „Gott zeigt uns seine Liebe - als wir noch Sünder waren, ist Christus für uns gestorben.“ Die Kirche ist die Vereinigung der Sünder, die aber an die Liebe Gottes glauben und sich von ihm verändern lassen, und somit werden sie heilig.

„Christliches Mitleid ist keine Frömmelei“

Im Lichte dieses von der Vorsehung vorbestimmten Wortes Gottes bestätige ich heute mit Freude den Weg eurer Kirche. Es handelt sich um einen Weg des Heiligseins und der Mission, über den nachzudenken euer Erzbischof euch eingeladen hat, in seinem jüngsten Hirtenbrief: es ist ein Weg, den er selber ausgiebig erprobt hat im Lauf seiner Pastoralbesuche und die er nun bei der Diözesansynode einbringen möchte. Das heutige Evangelium sagt uns, wie die Mission aussehen sollte, das heißt die innere Ansicht, die sich dann im gelebten Sein widerspiegelt. Das kann nur von Jesus kommen: der Stil des „Mitleides“. Der Evangelist unterstreicht dies, indem er auf das Erbarmen Christi für das Volk hinweist: Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und nach der Berufung der Zwölf kehrt diese Haltung nochmals zurück...: Er gehe zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. In diesen Worten hört man die Liebe Christi für sein Volk, insbesondere für die Kleinen und Schwachen. Das christliche Mitleid hat nichts zu tun mit Frömmelei, mit der Ausnutzung. Vielmehr ist es ein Synonym für Solidarität und Teilen und ist von der Hoffnung getragen. Entsteht nicht aus der Hoffnung jenes Wort Jesu an die Aposteln: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe“? Dies ist die Hoffnung, die auf der Ankunft Christi beruht und die in letzter Hinsicht mit seiner Person übereinstimmt und mit seinem Geheimnis der Errettung, wie das in hervorragender Art und Weise der vierte italienische Kirchenkongress herausgearbeitet hat, der in Verona stattfand: Der auferstandene Christus ist „die Hoffnung der Welt“.

„Die Kirche – ein großes Seminar“

Von der Hoffnung getragen, in der ihr gerettet worden seid, auch ihr, Brüder und Schwestern dieser alten Kirche von Brindisi, seid Zeichen und Mittel des Mitleids, der Barmherzigkeit Christi. Dem Bischof und den Priestern wiederhole ich mit Inbrunst die Worte des göttlichen Meisters: Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben. Dieser Auftrag ist auch heute in erster Linie an euch gerichtet. Der Geist, der in Christus und in den Zwölf herrschte, ist derselbe, der in euch wirkt und der euch ermöglicht, bei eurem Volk und in diesem Territorium die Zeichen des Reiches der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens zu verbreiten, die kommen, oder besser gesagt, die bereits in der Welt sind. Doch die Mission Jesu kann für das Volk Gottes auf verschiedene Arten geschehen, und zwar durch die Gnade der Taufe und der Firmung. Ich denke an die geweihten Personen, die Armut, Jungfräulichkeit und Gehorsam geschworen haben; ich denke an die christlichen Paare und an euch, gläubige Laien, die im täglichen Kirchenleben mitmachen, aber auch im Alltagsleben als Einzelne oder als Mitglieder eines Vereins. Liebe Brüder und Schwestern, ihr alle seid die Empfänger des Wunsches Christi, den Herrn der Ernte zu bitten, Arbeiter für seine Ernte auszusenden. Dieser Wunsch, der ein Gebet sein möchte, lässt uns an die Seminaristen und an das neue Bistumsseminar erinnern; das lässt uns dazu hinleiten, dass die Kirche gewissermaßen ein großes Seminar ist, beginnend bei der Familie bis hin zu den Pfarreien, den Vereinen und den Bewegungen im apostolischen Dienst. Alle in der Wahrheit der Charismen und der Dienste sind dazu gerufen, im Weinberg des Herrn zu arbeiten.

Liebe Brüder und Schwestern aus Brindisi, geht den bisherigen Weg weiter in diesem Geist. Es beschützen euch eure Patrone, der Heilige Leucio und der Heilige Oronzo, die beide im zweiten Jahrhundert aus dem Orient herkamen, um dieses Land zu befruchten mit dem Wort Gottes. Die Reliquien des Heiligen Theodor von Amasea, die in der Basilika von Brindisi aufbewahrt sind, mögen euch daran erinnern, das Leben Christus zu schenken, was die effektivste Predigt ist. Der Heilige Lorenz, Sohn dieser Stadt, wurde ein Gefährte von Franz von Assisi, Apostel des Friedens in einem vom Krieg getränkten Europa; er möge euch die wahre Brüderlichkeit schenken. Für euch alle bete ich um den Schutz der seligen Jungfrau Maria, Mutter der Hoffnung und Stern der Evangelisierung. Die Heilige Jungfrau möge euch immer beschützen in der Liebe Christi, damit ihr reiche Früchte bringt, zum Ruhme Gottes, des Vaters, und für die Rettung der Welt. Amen.“

Zum Schluss der Messfeier betete Papst Benedikt mit den Anwesenden noch das Angelus-Mittagsgebet. Dabei sagte er nach unserer eigenen Übersetzung:

„Liebe Brüder und Schwestern,

bevor wir den Gottesdienst beenden, möchte ich meinen Dank all jenen aussprechen, die mit so grosser Sorgfalt und durch die musikalische Umrahmung mitgeholfen haben. Ich danke all jenen, die meine Reise hierher organisiert haben und ihren Beitrag leisten, damit alles gut geht: ich denke da an die verschiedenen Lokalbehörden, die Sicherheitskräfte, die Freiwilligen und euch, Einwohner von Brindisi. Euch alle lade ich ein, wie jeden Sonntag, mich beim Angelus-Gebet zu begleiten. Dem Ort, wo wir uns befinden, der Hafen, hat viele symbolische Bedeutungen. Jeder Hafen bedeutet Empfangsbereitschaft, Schutz, Sicherheit; er spricht von einer langerwarteten Anlegestelle nach einer Fahrt, die vielleicht lang und schwierig war. Doch er spricht auch von Abfahrten, von Projekten und Erwartungen, von der Zukunft. Insbesondere ist der Hafen von Brindisi ein wichtiger Knotenpunkt im Mittelmeerraum und gegenüber dem Orient - und darum ist er auch ein Stützpunkt der Vereinten Nationen, die hier wichtige Aufgaben im humanitären Bereich durchführen.
 
„Für die Zusammenarbeit der Völker“ - Friedensappell des Papstes

Von diesem so malerischen Ort aus, nicht weit weg von jenem Land, das von Calimera als „Guten Tag“ Italiens bezeichnet wurde, möchte ich nochmals meine christliche Botschaft erneuern, dass die Völkern zusammenarbeiten und Frieden stiften, insbesondere jene Regionen, die sich an den äußeren Enden des Mittelmeeres befinden: Ich meine die alte Wiegestätte des Nahen und Mittleren Ostens. Und es gefällt mir, dies mit den Worten zu tun, die ich vor zwei Monate in New York vor der UNO-Vollversammlung gesagt habe: „Der Einsatz der internationalen Gemeinschaft und ihrer Institutionen, gestützt auf den Respekt der Prinzipien, die das Fundament der internationalen Ordnung sind, darf nie als unerwünschter Eingriff in die Souveränität verstanden werden. Im Gegenteil – es ist die Gleichgültigkeit oder der fehlende Einsatz, die einen wahren Schaden anrichten. Was man wahrlich braucht, ist eine tiefere Suche, um die Konflikte zu verhindern, indem alle diplomatischen Wege erforscht werden...“

Von dieser Ecke Europas aus, die auf das Mittelmeer blickt, zwischen Orient und Okzident, wenden wir uns nochmals dem Angesicht Marias zu, der Mutter, die den „Weg - Odegitria – zeigt, uns Jesus schenkt, dem Weg des Friedens. Wir bitten sie mit all jenen Titeln, die in den Wahlfahrtsorten Apuliens angebracht sind; und insbesondere hier, von diesem antiken Hafen aus, beten wir zu ihr als dem „Hafen der Rettung“ für jeden Menschen, für die gesamte Menschheit. Ihr mütterlicher Schutz möge die Stadt und die Region, Italien, Europa und die gesamte Welt vor den Stürmen bewahren, die den Glauben und die echten Werte bedrohen; möge sie den jungen Generationen die Ängste nehmen, um den Weg des Lebens mit christlicher Hoffnung zu gehen. Maria, Hafen der Rettung, bitte für uns!“

(Übersetzung: Mario Galgano, Radio Vatikan)

(rv 15.06.2008 sk)







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