Er gilt als einer
der letzten Universalgelehrten Europas – der deutsche Jesuit Athanasius Kircher, der
im 17. Jahrhundert lebte und mehr als 50 Jahre in Diensten der Päpste stand. In Rom
hatte er eine weithin berühmte Wunderkammer eingerichtet, Geologie, Mathematik oder
Altphilologie sind nur einige Felder, denen sich Kircher widmete. Eine Konferenz vergangene
Woche am Schweiz-Institut in Rom widmete sich dem Einfluss, den Athanasius Kirchers
musikwissenschaftliches Opus Magnum, die „Musurgia Universalis“, im Lauf der Jahrhunderte
ausübte.
„Wenn man die irdische Musik versteht, kann man hochklettern zu
einem Wissen über den Kosmos, die Welt, eigentlich die Gedanken Gottes.“
So
fasst die in Zürich lehrende Musikwissenschaftlerin und Kircher-Forscherin Melanie
Wald die Idee zusammen, die der „Musurgia Universalis“ des gelehrten Jesuitenpaters
zugrunde liegt.
„Gott denkt musikalisch!“
Athanasius Kircher
stammte aus Fulda. Im Dreißigjährigen Krieg floh der Ordensmann vor den angreifenden
Protestanten nach Frankreich und landete schließlich auf ausdrücklichen Wunsch des
Papstes in Rom. Dort wurde er Professor am Collegium Romanum, wirkte als Erfinder,
entfaltete eine außerordentlich reiche wissenschaftliche Tätigkeit und blieb bis an
sein Lebensende 1680.
„Er hat, obwohl Deutscher, fast 50 Jahre in Rom gewirkt
und ganz viele Bücher zu fast allen Themen, die in seiner Zeit interessierten, geschrieben,
darunter auch über die Musik.“
Dabei ist für Athanasius Kircher die Musik
- wie für das 17. Jahrhundert allgemein - nicht nur das, was in Notenform vorliegt,
das, was man komponiert, singt und auf der Laute spielt, sondern Musik ist etwas wie
die Formel, nach der Gott die Welt geschaffen hat. Diese Formel zu entschlüsseln,
nimmt sich die „Musurgia Universalis“ vor.
„Das ist eines der dicksten
Bücher, die je über Musik geschrieben wurden, über 1000 Seiten auf Latein, Griechisch
und Hebräisch und allen möglichen anderen Sprachen…“
Das Werk ist systematisch
in zehn einzelnen Büchern aufgebaut, von den akustischen und physiologischen Grundlagen
von Schall und Gehör bis hin zur Weltharmonie – eine Art Aufstieg von der untersten
Welt in den Himmel.
„Es gibt die Musik der Tiere, der Vögel, ein singendes
Faultier im indianischen Urwald, natürlich die Musik der Menschen, da ist das Musiktheoretische
eingebettet; die Musik der Welt, dass Spinnen ihre Netze nach musikalischen Proportionen
bauen, dass Blumenstängel musikalischen Proportionen widerspiegeln – es wird die Musik
nacheinander auf allen Ebenen dargestellt und dabei eine Art Aufstieg vom untersten
zum obersten vollzogen, um zu zeigen, dass alles mit allem zusammenhängt und man die
ganze Welt durch Musik erklären kann.“
Diese Auffassung spiegelt deutlich
das Weltbild des 17. Jahrhunderts. Danach kommen Aufklärung und Empirie, Gott in der
Wissenschaft spielt keine Rolle mehr. Die einzelnen Fächer differenzieren sich, die
Gestalt des Universalgelehrten stirbt aus. Daraus schlussfolgerte die heutige Wissenschaft,
dass Kirchers Gedanken im 18. und erst recht 19. Jahrhundert keine Rolle mehr spielten.
Aber gerade in Rom lassen sich zahlreiche Spuren seines Wirkens finden, betont Melanie
Wald.
„Kircher war ein großer Freund der römischen Komponisten und hat
die "promotet" in der Musurgia und Notenbeispiele abgedruckt von Komposition, die
sonst nicht gedruckt wurden, dadurch wurden die in der ganzen Welt bekannt.“
Der
Jesuitenorden hatte im 17. Jahrhundert eine umfangreiche Missionsarbeit in Asien und
Lateinamerika entfaltet. Musik war den Patres dabei eine wichtige Hilfe, etwa in den
Indianersiedlungen des Neuen Kontinents. Nicht nur Bratschen und Flöten aus Europa,
sondern auch die Musurgia Universalis des Athanasius Kircher wanderte in hunderten
Exemplaren in den Urwald. Ein Export, der bis heute noch nicht ansatzweise untersucht
ist. Besser erforscht ist das Nachleben von Kirchnerschen Erfindungen in Wien. Der
Jesuit hatte nämlich eine erste Form von Musikautomat, einen Vorläufer des Computers
entwickelt, das so genannte Komponierkästchen.
„Eine Art Karteikarten,
wo Notenfolgen chiffriert sind in Zahlen. Man kann das benutzen und hat dann eine
vierstimmige Komposition, auch wenn man gar keine Ahnung hat vom Komponieren.“
So
ein Komponier-Kästchen gab Kircher dem Wiener Hoforganisten Johann Jakob Froberger,
der ihn in Rom besuchte und bei ihm studierte, zum Abschied mit nach Hause, wo es
ungeahnte Wirkung bei Hof entfaltete.
„Froberger hat das Kästchen Kaiser
Ferdinand III. gegeben und ihn einige Stunden eingeführt in die Benutzung, da gibt
es einen Brief von Froberger, in dem er davon erzählt. Und ein Forscher hat sich einmal
die Mühe gemacht, die Kompositionen von Ferdinand, die wir noch haben, mit diesen
Karteikärtchen aus dem Komponierkästchen abzugleichen und hat herausgefunden, dass
einige damit komponiert sind.“
Ein letztes großes Aufleben war Kirchers
musikalischem Werk um 1800 beschieden. Die beginnende Frühromantik hatte große Sympathie
für den Gedanken an eine harmonische Welt, in der alles mit allem auf unsichtbare
Weise zusammenhängt und Musik in Form von Stimmungen und Schwingungen eine große Rolle
spielt. Die deutschen Romantiker bauten sogar eine Erfindung von Kircher nach, die
so genannte Äolsharfe.
„Das ist ein Kästchen aus Holz, das vorn und hinten
offen ist, dazwischen ein paar Saiten, man hängt das Kästchen in den Luftstrom, und
der setzt die Saiten in Schwingung. Die sind gleich gestimmt, aber durch die wechselnde
Stärke des Luftstroms kommen die Grundtöne und die Obertöne. Es hat einen sphärischen
Klang, ganz körperlos, es ist quasi die Polyphonie der Natur, die sich da äußert.
Ein sehr emblematischer Gegenstand, diese Äolsharfe. Die Möglichkeit, die Musik der
Natur zum Klingen zu bringen, spielt eine große Rolle für Empfindsamkeit, Frühromantik,
die Idee der Wiederverzauberung der Welt, an der etwa Novalis sehr gelegen war.“
In
Rom war Kircher eine schillernde Figur des 17. Jahrhunderts, als die Ewige Stadt noch
als Nabel der Welt galt. Mit vielen Päpsten, unter denen er arbeitete, war der umtriebige
Pater befreundet, einem brachte er Hieroglyphen bei, für Bernini entzifferte er die
Schriftzeichen auf den Obelisken, er führte einen unvorstellbar reichen Briefwechsel
mit zahlreichen europäischen Gelehrten – und er gründete ein europaweit bekanntes
Museum, die typische Wunderkammer seiner Zeit.
„Da haben ihn Leute besucht
und ihm die Tür eingerannt. Drin waren ethnologische Dinge von den Indianern, aus
China, Naturwunder, Versteinerungen, aber auch seine eigenen Apparate, etwa die Äolsharfe.
Es gibt eine sehr hübsche Beschreibung in einem Reisebericht, die Führung begann im
ersten Raum und dann habe Kircher nebenbei ein Fenster geöffnet und es kamen diese
himmlischen Klänge, sie hätten das für ein Wunder gehalten! Kircher hoffte, dass man
durch das Sich-Wundern zur Erkenntnis Gottes kommt, und dann erklärt er aber dieses
Wunder, um aus dem reinen, nichtwissenden Glauben einen wissenden Glauben zu machen.“
Umberto Eco sagte über den deutschen Jesuiten, sein Leben sei wohl glücklich
gewesen, und doch verrate es eine latente Unzufriedenheit, so als litte Kircher darunter,
dass die Wissenschaft nicht phantastisch genug und die Phantasie nicht wissenschaftlich
genug sei. Eco steht nicht allein: Im 21. Jahrhundert ortet Melanie Wald ein neues
Interesse für Athanasius Kircher.
„Oft sind es die Dinge, die er erfunden
hat, man sagt er sei ein Urvater des Computers, einerseits Denken in Maschinen, Automaten,
und die ganz tollen Visualisationen in seinen Büchern, sie sind reich ausgestattet
mit Bildern, die auf die Gegenwart eine Faszination ausüben, weil sich da Denken quasi
sinnlich niederschlägt, und dieser sehr anregenden sinnlichen Umsetzung heute wie
Kunst wahrgenommen werden, weniger in ihren Inhalten, aber vielleicht auf ein Interesse
der Gegenwart antworten, dass man nicht nur die nackten Fakten haben will, und was
die nackten Fakten angeht, kann der normale Mensch ja nicht folgen, sondern die Dinge
wieder in einen Sinn und Zusammenhang bringen, den Zusammenhang der Dinge.“ (gs
11.06.2008 gs)