Das Gebet ist die
Mitte christlicher Existenz; das ist unbestritten. Aber immer mehr Menschen können
nicht mehr beten, weil sie es niemals gelernt haben oder weil sie falsche Vorstellungen
davon haben, wie Beten „funktioniert“. Die Sehnsucht nach Beten ist aber ungebrochen
und scheint sogar noch zu wachsen. Prof. Marianne Schlosser ist Professorin für
Theologie der Spiritualität an der Universität Wien. Wir haben sie gefragt, wie man
Beten lernen kann. Ein Beitrag von Pater Max Cappabianca OP.
„Man lernt
die Sprache des Gebetes, indem man Gebete anderer Menschen zunächst einmal nachspricht.
Zum Beispiel die Psalmen: Man tritt ein in eine Gemeinschaft von Betern über die Jahrhundert
und Jahrtausende hinweg, und das hilft vielen Menschen, wenn sie beginnen, die Sprache
und das Sprechen mit Gott zu lernen. Aber Gebet ist auch etwas anderes als die Imitation
des Verhältnisses eines anderen zu Gott! Im Gebet steht man vor Gott ohne Maske. Und
das bedeutet, dass man zum Gebet auch Mut aufbringen muss.“
Allerdings
– man kann tatsächlich im Gebet auf Schwierigkeiten stoßen. Zum Beispiel dann, wenn
man sich falsche Vorstellungen darüber macht, worum es im Gebet geht: „Viele
Menschen glauben, scheint mir – ich habe das auch einmal gedacht –, dass man nur dann
andächtig betet, wenn man die einzelnen Worte, die man spricht, wirklich geistig präsent
hat. Die großen Meister und auch die großen Theologen wie Thomas oder Bonaventura
haben aber gesagt, dass die höchste Form der Andacht im Gebet darin besteht, dass
man an den denkt, zu dem man spricht und nicht unbedingt jeden Satz und jedes Wort
präsent hat als Begriffe im Geist. Darauf kommt es an: Diesem mir zugewandten Angesicht
Gottes sich zu stellen.“
Aber was tun, wenn das Beten nicht gelingen will
und man nur noch stumm bleibt? Marianne Schlosser: „Es gibt eine Tür in jedem
Menschen, die ist für Gott reserviert. Da kommt kein anderer mit noch so vielen klugen
Worten oder noch so viel persönlicher Autorität hindurch. Man kann einem Menschen
in vielen Dingen helfen. Aber im letzten ist die höchste Form der Nächstenliebe, den
Nächsten in das Licht Gottes zu halten und für ihn zu beten.“
Ein unausschöpfbarer
Schatz für das Gebet ist das Vaterunser. „Wenn man über die einzelnen Bitten
nachdenkt, kommt man an kein Ende. Sie offenbaren wie Türen, die in Räume führen,
immer neue Aspekte auch des Verhältnisses zu Gott, des einzelnen Menschen – aber auch,
weil es ein Gebet der Gemeinschaft der Kinder Gottes ist, also derer die an der Sohnschaft
Jesu Christi Anteil haben, des Verhältnisses untereinander.“
Am Ende dieses
Beitrags, drei ganz konkrete Tipps von Frau Professor Schlosser.
Erstens:
„Lerne beten mit Hilfe der Psalmen. Versuche, in diese jahrtausendealten Gebete,
die zu Gott aufgestiegen sind, dich in diese Gemeinschaft einzufügen. Erwarte nicht
sofort, dass du Antworten und Gefühle hast, sondern lerne, das, was dich bewegt, mit
Hilfe dieser vielfältigen Situationen, die sich in den Psalmen finden, auszudrücken.“
Zweitens:
„Vergleich dich nicht mit anderen, die vielleicht große innere Erfahrungen gemacht
haben. Wenn das für dich gut ist, wirst du Erfahrungen haben, aber ansonsten: Denke
einfach dran, dass das, was du in deiner tiefsten Seele Gott geben kannst, dass das
ihm kein anderer geben kann. Für Gott ist jeder Mensch undvergleichbar und unersetzbar.“
Drittens:
„Die Gegenwart musst Du nicht herbeirufen, die ist schon da. Werde einfach dessen
bewusst. Gott freut sich mehr, Dich zu hören, als du dich jemals freuen wirst mit
ihm zu sprechen. Ganz auf den Punkt gebracht: Dass man nicht das Gefühl hat, man erledigt
jetzt eine Pflicht, sondern: Beten ist ein Privileg, ein Geschenk!“