Die Bibel muss wieder
mehr zum kulturellen Subtext unserer Zeit werden – das wünscht sich der päpstliche
Kulturminister Gianfranco Ravasi mit Blick auf die für Herbst anberaumte Bischofssynode
zum Thema Heilige Schrift. Zur Vorbereitung hat die katholische Bibelföderation nun
eine vergleichende Studie erstellt, die die Bibellektüre in verschiedenen europäischen
Ländern plus USA untersucht. Diese Studie wurde am Montag im Vatikan vorgestellt.
Ravasi:
„Bemerkenswerterweise sind in Italien 62 Prozent der Befragten
dafür, dass die Bibel in der Schule gelehrt wird. Dagegen gab es sogar Widerstände
im Klerus. Ich selbst habe die Bibelkunde in der Schule immer unterstützt, und an
meiner Seite wusste ich viele Mitstreiter aus dem Laienstand, mitunter sogar Nichtgläubige
oder Menschen fern von jedem religiösen Interesse. Es bleibt wahr, was Umberto Eco
dazu sagte: Warum müssen unsere Kinder alles über die Helden Homers wissen, aber nichts
über Moses?“
Die Bibel als kultureller Text, das erschöpft sich für Ravasi
nicht bloß im ikonografischen Aspekt – also etwa künstlerisch wertvolle antike Buchmalereien.
„Denken wir vielmehr an den Ethos! Ununterbrochen hat die Bibel das 20.
jahrhundert und darüber hinaus geformt, und nicht nur die westliche Welt. Denken Sie
daran, was die Zehn Gebote bis heute bedeuten. Der polnische Filmemacher Krzysztof
Kieslowski hatte Recht, als er seine zehn Filme über die Gebote machte und
sagte: Wenn wir die zehn Gebote als überholt zurückweisen, tun wir ihnen systematisch
Gewalt an. Denn – wie er sagte - diese zehn Sterne im Himmel unseres Menschseins
sind unauslöschlich. Und Kieslowski war nicht gläubig. Erkennen wir also die Bedeutung
der Bibel in den Schulen an, damit sie uns erlaubt, unsere Identität zu verstehen.
Wenn wir diese christlichen Bezüge verlieren, dann geht nicht nur unsere Kultur verloren,
sondern auch unser Antlitz.
Dabei wirkte und wirkt die Bibel nicht nur
identitätsstiftend, betont Ravasi. Sondern sie prägt bis heute unsere Sprache – gerade
im deutschsprachigen Raum.
„Vergessen wir nicht, dass das Hochdeutsche
sich aus der deutschen Bibelübersetzung von Luther 1533 entwickelte. Was beispielsweise
mit dem Italienischen nicht geschehen ist. Zwar gab es eine ganze Menge italienischer
Bibelübersetzungen zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert, eine davon in 19 Auflagen.
Aber es ist den italienischen Übersetzungen nicht geglückt, eine Norm zu gründen,
einen echten Bezugstext zu schaffen. Etwas Ähnliches müssen wir heute in unseren Gemeinden
schaffen. Man sagte von den Kirchenvätern: Sie sprechen nicht über die
Bibel, sondern sie sprechen die Bibel. Augustinus hat 60.000
Bibelzitate in seinem Werk untergebracht. Die Heilige Schrift war der ganz gewohnheitsmäßige
Bezugstext seines Denkens. Und der Turiner Servitenpater und Dichter David Maria Turoldo
sprach von der Muschel der Erinnerung und des Geistes, in der der Ozean des Wortes
Gottes nachklingt.“
Der Päpstliche Kulturminister – und seine Art zu reden
macht es deutlich - gilt als ein geradezu versessener Bücherfreund. Seine private
Bibliothek soll 5.000 Werke umfassen. Kein Wunder, dass Erzbischof Ravasi auch auf
die materielle Komponente der Heiligen Schrift hinweist.
„Die Bibel ist
ein Text. Wir wissen: Die göttliche Offenbarung ist mehr als der biblische Text. Aber
zweifellos bezieht sie sich ganz grundsätzlich auf einen Text – wobei auch dessen
Materialität eine Rolle spielt. Es ist ein Text, der alle möglichen Ebenen der Materialität
durchlaufen hat. Von der Fragilität des Papyrus über die Macht des Kodex, von dort
über den Druck und heute bis hin zu elektronischen Blättern, online.“
Trotz
aller technischen Möglichkeiten der Jetzt-Zeit: Eine der Voraussetzungen, um die Bibel
zu kennen, ist, die Bibel zu Hause zu haben. In einem ganz materiellen Sinn. Ein Aspekt,
dem die Kirchen Rechnung tragen müssen, meint Erzbischof Ravasi.
„Einerseits
sehen wir die Sache mit den Bibel-Prachtausgaben. Da besteht die Tendenz, dass die
Heilige Schrift zum bloßen Zierstück wird, zu einem statischen, zu einem toten Vorhandensein.
Man muss aber auch den entgegen gesetzten Faktor berücksichtigen: Ein Viertel oder
ein Drittel der Europäer besitzt heute noch keine Bibel. In den USA haben nur sieben
Prozent keine Bibel, materiell, als Buch zu Hause. Darüber freuen sich katholische
Verlagshäuser – es gibt noch einen Markt für die Heilige Schrift. Jedenfalls: eine
Bibel sollte in jeder noch so minimalen Hausbibliothek stehen. Machen wir uns dafür
stark, dass ALLE einen Text haben.“
Bei der Art der Annäherung an die
Heilige Schrift gibt es ein Grundproblem: Zu viele Gläubige nehmen die Texte wörtlich.
In anderen Worten, sie neigen zu einer fundamentalistischen Bibellektüre. Doch sind
auch Gegentendenzen zu beobachten, freut sich Ravasi.
„Es beruhigt, dass
die Hälfte der Interviewten in Italien und den USA eine Interpretation der Schrift
für unerlässlich hält. Die hermeneutische Komponente wird als Grunderfordernis wahrgenommen.
Im Gegenzug dazu steht die fundamentalistische Tendenz, doch war ich überrascht davon,
dass sie weniger einschneidend ist, als ich dachte, und auch die Gründe dafür von
außen kommen. Dazwischen ist noch eine reduktionistische Lesart der Bibel beobachtbar,
die die Schrift auf eine Collage von Mythen oder historischen Elementen reduziert.
Heute gibt es ja eine Reihe von Interpretationsmethoden - rhetorisch, soziologische,
anthropologische, semiotische Analysen – es gibt aber auch die der Annäherung des
Gläubigen an die Schrift. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen
und die Notwendigkeit einer Schriftinterpretation lebendig halten.“
Nachsatz:
Die Studie über Bibellektüre wurde im Hinblick auf die im Herbst tagende Weltbischofssynode
erstellt. Diese tritt vom 5. bis 26. Oktober im Vatikan zusammen und steht unter dem
Motto „Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche“.