Übersetzung der Papstansprache beim Ökumene-Treffen
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, Mein Herz ist voller Dankbarkeit gegenüber
Gott – „den Vater, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,6) – für
diese glückliche Möglichkeit, mich heute abend mit euch zum Gebet zu treffen. Ich
danke Bischof Dennis Sullivan für sein herzliches Willkommen, und ich grüße herzlich
alle, die die christlichen Gemeinschaften in allen Teilen der USA repräsentieren.
Der Friede unseres Herrn und Erlösers sei mit euch allen. Durch euch drücke ich
allen meine ehrliche Hochschätzung aus für die unschätzbare Arbeit aller, die sich
in der Ökumene engagieren: Der nationale Kirchenrat, die Gruppe „Christian Churches
Together“, das katholische bischöfliche Sekretariat für ökumenische und interreligiöse
Angelegenheiten und viele andere. Der Beitrag der Christen in den Vereinigten Staaten
für die ökumenische Bewegung wird in der ganzen Welt wahrgenommen. Ich ermutige euch
alle, darin fortzufahren im Vertrauen auf die Gnade des auferstandenen Christus, dem
wir zu dienen versuchen, indem wir den „Glaubensgehorsam zur Ehre seines Namens“ (Röm,
1.5) erlangen. Wir haben eben die Schriftstelle gehört, in der Paulus – „ein Gefangener
für den Herrn“ - seinen dringenden Appell an die Glieder der christlichen Gemeinde
in Ephesus richtet. „Ich ermahne euch - so schreibt er - ein Leben zu führen, das
eures Rufes würdig ist, indem ihr euch bemüht, die Einheit des Geistes zu wahren durch
den Frieden, der euch zusammenhält.“ (Eph 4,1-3) Dann - nach seinem leidenschaftlichen
Appell zur Einheit – erinnert Paulus seine Leser daran, dass der in den Himmel aufgefahrene
Jesus alle notwendigen Gaben für den Aufbau des Leibes Christi den Menschen geschenkt
hat. (Vgl. Eph 4, 11-13) Die Ermahnung des heiligen Paulus hallt auch heute wider
mit nicht geringerer Kraft. Seine Worte bringen uns die Gewissheit, dass der Herr
uns niemals verlassen wird bei unserer Suche nach Einheit. Sie laden uns vielmehr
ein, so zu leben, dass wir Zeugnis geben von dem „ein Herz und eine Seele“-Sein (Apg,
4.32), das immer der unterscheidende Zug der christlichen Koinonia (christlichen Einheit)
war. Es ist auch die Kraft, die jene anzieht, die noch draußen sind, um einzutreten
und teilzunehmen an der Gemeinschaft der Glaubenden, so dass auch sie die „unergründlichen
Reichtümer Christi“ (Eph, 3.8) teilen können. Die Globalisierung hat die Menschheit
zwischen zwei Extreme gesetzt: Einerseits ist der Sinn für die gegenseitigen Beziehungen
und Abhängigkeit unter den Völker gewachsen, auch wenn sie - in geographischer und
kultureller Hinsicht – weit von einander entfernt sind. Diese neue Situation eröffnet
die Möglichkeit, den Sinn für die globale Solidarität und die gemeinsame Verantwortung
für das Wohl der Menschheit zu verbessern. Andererseits kann man nicht leugnen, dass
die raschen Veränderungen, die in der Welt vor sich gehen, negative Zeichen einer
Fragmentierung und einer Rückkehr zum Individualismus sind. Der immer größere Einsatz
der Elektronik in der Welt der Kommunikation hat paradoxerweise vermehrte Isolierung
hervorgerufen. Viele - vor allem Jugendliche – suchen daher authentischere Formen
der Gemeinschaft. Ein große Sorge ist auch die Ausbreitung einer säkularistischen
Ideologie, die die transzendente Wahrheit bedroht oder gar verwirft. Selbst die Möglichkeit
einer göttlichen Offenbarung und damit des christlichen Glaubens überhaupt wird oft
von Denkweisen in Frage gestellt, die in universitären Kreisen, in den Massenmedien
und in der öffentlichen Meinung weit verbreitet sind. Daher ist ein treues Zeugnis
um so nötiger. Man erwartet daher von den Christen, Rechenschaft zu geben von der
Hoffnung, die in ihnen ist. (Vgl. 1 Petr, 3.15) Allzu oft sind Nichtchristen,
die die Fragmentierung der christlichen Gemeinschaften sehen, verständlicherweise
verwirrt, was die Botschaft des Evangelium selbst angeht. Christliche Glaubenslehren
und grundlegende Verhaltensweisen werden in den Gemeinschaften manchmal von so genannten
„prophetischen Aktionen“ modifiziert, die auf einer Hermeneutik gründen, die nicht
mit der Heiligen Schrift oder der Tradition übereinstimmen. In Folge dessen verzichten
die Gemeinschaften darauf, als ein geeinter Leib zu handeln. Sie ziehen es vielmehr
vor, nach den Prinzip der „Lokaloptionen“ zu handeln. Dabei geht dann die nötige „diachronische
Koinonia“ verloren – die Gemeinschaft mit der Kirche über die Zeiten hinweg – und
dies genau in dem Moment, in dem die Welt die Orientierung verloren hat und ein gemeinsames
und gewinnendes Zeugnis von der heilbringenden Macht des Evangeliums bräuchte. (vgl.
Rom 1,18-23) Angesichts dieser Schwierigkeiten müssen wir uns vor allem darauf
besinnen, dass die Einheit der Kirche von der vollkommenen Einheit der Dreifaltigkeit
herkommt. Das Johannes-Evangelium sagt uns, dass Jesus den Vater gebeten hat, dass
seine Jünger eins sein mögen wie „Du in mir und ich in Dir bin“ (Joh, 17.21). Dieser
Abschnitt spiegelt die feste Überzeugung der christlichen Urgemeinde wider, dass ihre
Einheit Frucht und Widerspiegelung der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen
Geistes ist. Das seinerseits zeigt, dass der Zusammenhalt der Gläubigen auf der vollständigen
Integrität ihres Glaubensbekenntnisses gründete (Vgl. Tim 1,3-11). Im ganzen Neuen
Testament sehen wir, dass die Apostel wiederholt aufgerufen waren, Rechenschaft von
ihrem Glauben zu geben - sei es gegenüber den Heiden (Apg, 17,16-34), sei es gegenüber
den Juden (Apg, 4,5-22; 5,27-42). Der zentrale Punkt ihrer Argumentation war immer
das historische Faktum der leiblichen Auferstehung des Herrn aus dem Grab. Die Wirksamkeit
ihrer Predigt hing nicht von „ausgesuchten Worten“ ab und von „menschlicher Weisheit“,
sondern vielmehr von der Wirksamkeit des Heiligen Geistes, der das authentische Zeugnis
der Apostel bestätigte. Der Kern der Predigt des Paulus und der ursprünglichen Kirche
war nichts anderes als Jesus Christus - und zwar als der „Gekreuzigte“ (1 Kor 2,2)
. Und diese Verkündigung musste garantiert werden durch die Reinheit der normativen
Lehre, die in den Glaubensformeln ausgedrückt war - den sog. Symbolen -, die das Wesen
des christlichen Glaubens zum Ausdruck brachten und die Grundlage der Einheit der
Getauften bildeten (Vgl. 1 Kor 15.3-5; Gal 1,6-9; Unitatis Redintegratio 2) . Meine
lieben Freude, die Kraft des Kerygmas hat nichts von seiner inneren Dynamik verloren.
Dennoch müssen wir uns fragen, ob seine volle Kraft nicht durch einen relativistischen
Zugang zur christlichen Lehre abgeschwächt worden ist. Es wäre ein Zugang, den wir
auch in den säkularisierten Ideologien finden. Er behauptet, dass nur die Wissenschaft
„objektiv“ sei und die Religion in die subjektive Sphäre des Gefühls des Einzelnen
verweist. Die wissenschaftlichen Entdeckungen und ihre Verwirklichungen durch das
menschliche Genie bieten der Menschheit ohne Zweifel neue Möglichkeiten zu Verbesserungen.
Das bedeutet dennoch nicht, dass das „Erkennbare“ begrenzt ist auf das empirisch Verifizierbare,
noch bedeutet dies, dass die Religion beschränkt ist auf den veränderlichen Bereich
persönlicher Erfahrung. Wenn die Christen diese falsche Denkweise übernehmen, dann
verzichten sie darauf, den christlichen Glauben als objektive Wahrheit vorzustellen,
denn man müsste dann nur dem persönlichen Gewissen folgen und die Gemeinschaft wählen,
die dem persönlichen Geschmack am besten entspricht. Das Ergebnis davon findet man
in der ständigen Entstehung neuer Gemeinschaften, die oftmals institutionelle Strukturen
meiden und die Bedeutung des Lehrinhalts für das Leben hintanstellen. Auch innerhalb
der ökumenischen Bewegung stehen die Christen in Gefahr, die Rolle der Lehre hintanzustellen
aus Furcht, sie vertiefe eher die Wunden der Spaltung als sie zu heilen. Dennoch muss
sich ein klares und überzeugendes Zeugnis für das Heil in Christus gründen auf eine
normative, apostolische Lehre. Es muss eine Lehre sein, die das inspirierte Wort Gottes
unterstreicht und das sakramentale Leben der Christen heute stützt. Nur wenn wir
fest stehen in der sicheren Lehre (Vgl. 2 Tess 2,15), wird es uns gelingen, auf die
Herausforderungen zu antworten, mit denen wir uns in einer sich ändernden Welt auseinandersetzen
müssen. Nur so geben wir ein sicheres Zeugnis für die Wahrheit des Evangeliums und
für seine moralische Lehre. Diese Botschaft erwartet die Welt von uns. Ebenso wie
die ersten Christen haben wir die Verantwortung, ein transparentes Zeugnis zu geben
von dem Grund unserer Hoffnung. So können die Augen der Menschen guten Willens sehen,
dass Gott sein Antlitz gezeigt hat und uns erlaubt hat, durch Jesus Christus hinzutreten
zu seinem göttlichen Leben. Er allein ist unsere Hoffnung. Gott hat seine Liebe
zu allen Völkern durch das Geheimnis des Leidens und der Auferstehung seines Sohnes
offenbart. Er hat uns berufen, zu verkünden, dass er wirklich auferstanden ist und
sich zur Rechten des Vaters gesetzt hat und dass er wiederkommen wird zu richten die
Lebenden und die Toten. Möge das Wort Gottes, das wir heute abend gehört haben,
unsere Herzen auf dem Weg der Einheit mit Hoffnung entflammen. Dieses Gebetstreffen
möge ein Beispiel dafür sein, dass das Gebet das Herz der ökumenischen Bewegung ist.
Ohne Gebet wären die Strukturen, die Institutionen, die ökumenischen Programme herz-
und seelenlos. Danken wir Gott für die Fortschritte, die wir im Heiligen Geist gemacht
haben. Erkennen wir dankbar die geistlichen Opfer an der vielen, die hier anwesend
sind, und auch der zahlreichen Menschen, die uns vorausgegangen sind. Gehen wir
auf ihren Spuren, und setzen wir unsere Hoffnung nur auf Gott. So bin ich voll Zuversicht,
dass wir - indem ich mir die Worte von Pater Paul Wattson zu eigen mache - zu jener
Einheit der Hoffnung, des Glaubens und der Liebe gelangen, die allein die Welt überzeugen
kann, dass Jesus vom Vater für das Heil aller gesandt worden ist. (rv 19.04.2008
mc)
Gehalten am Freitag, 18.4.2008 in der St. Josephs-Kirche in New York