USA: Die politischen Implikationen des Papst-Besuchs
Die Papstreise ist
nicht nur eine rein religiöse Veranstaltung, sie hat auch politische Implikationen
– die Stichworte heißen da Wahlkampf, George Bush, UNO. Darüber sprach unser Korrespondent
Stefan Kempis mit dem New Yorker Verantwortlichen der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung,
die den Sozialdemokraten nahesteht. Erste Frage an Jürgen Stetten: Woher kommt dieses
überraschend große Interesse der Amerikaner am Papstbesuch? „Die
amerikanische Gesellschaft ist sehr stark von Religion beeinflusst, und Religion spielt
hier im öffentlichen Bewusstsein, aber auch im Leben der Menschen eine viel größere
Rolle als in Deutschland. Deshalb überrascht mich das überhaupt nicht, dass die Amerikaner
sehr emotional und auch sehr interessiert auf diesen Papstbesuch reagieren.“
Wie
kommt es zu dieser Rolle der Religion, auch in der öffentlichen Wahrnehmbarkeit? Es
gibt doch auch hier in den USA eigentlich die Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften.
„Das
mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, dass ausgerechnet dieses Land, das einerseits
historisch sozusagen aus der Abkehr von der Staatskirche in England entstanden ist,
der Religion so eine starke Rolle gibt… dass auch der Präsident persönlich den Papst
am Flughafen abholt, ein Privileg, das er keinem anderen Staatschef, der in seiner
Amtszeit die USA bereist hat, zuteil werden ließ. Doch man muss andererseits natürlich
sehen: Im Leben der Menschen spielt Religion eine sehr große Rolle, und die Engländer,
die damals nach Amerika ausgewandert sind, sind ja hierhin gekommen, um Freizügigkeit
in der Religionsausübung zu haben. Die Amerikaner sehen es auch nicht als Widerspruch
an, dass staatliche Funktionsträger gegenüber religiösen Praktiken oder Würdenträgern
keinerlei Berührungsängste haben. Aber sie nehmen insgesamt eine sehr offene Haltung
verschiedenen Religionen gegenüber ein. Man muss also auch berücksichtigen: Dass dieses
Privileg dem Papst zuteil wird, hat auch damit zu tun, dass man gleichzeitig auch
anderen Religionen gegenüber sehr, sehr offen ist.“
Sie beobachten hier
die Spätphase der Regierung Bush, und wie Sie gesagt haben, hat Bush den Papst mit
allen Honneurs empfangen, die nur möglich sind. Ist – paradox formuliert – der Papst
jetzt aus politischer Sicht so etwas wie Bushs letzter Verbündeter im Westen?
„Ja
– man kann es schon so sehen, dass Bush diese Gelegenheit nutzt, um auch mal wieder
in der Öffentlichkeit stark aufzutreten und sich als beliebter, von außerhalb der
USA von wichtigen Personen gefragter Gesprächspartner und Gastgeber zu präsentieren.
Er musste ja in den letzten Monaten und Jahren einige Kritik einstecken, nicht zuletzt
im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg, und solche Gelegenheiten hat er nicht allzu oft
– das spielt natürlich eine große Rolle. Aber ich glaube, dass auch jeder andere Präsident
einen solchen Besuch ähnlich genutzt hätte.“
Papstbesuch im Wahljahr, mitten
im Wahlkampf – kann es doch sein, dass eine Partei versuchen wird, diesen Besuch für
sich auszunutzen, oder sehen Sie dafür keine Anzeichen?
„Das glaube ich
nicht. Alle drei Kandidaten, die derzeit im Rennen sind, werden gleichwertig deutlich
machen und haben auch schon im Wahlkampf deutlich gemacht, dass Religion für sie eine
große Rolle spielt. Es gab ja erst vor wenigen Tagen eine große Debatte mit den beiden
demokratischen Kandidaten, bei denen es um religiöse Themen ging. Mac Cain (von den
Republikanern) hat dort nicht teilgenommen, aber das hatte eher damit zu tun, dass
er als Kandidat quasi feststeht. Ich glaube nicht, dass das einer instrumentalisieren
kann in dem Sinne: Ich bin dem Papst am nächsten, oder versuchen wird, daraus in irgendeiner
anderen Form politisch Kapital zu schlagen.“
Dass es im Fernsehen eine
Live-Debatte zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten gibt zum Thema Religion – wie
erklären Sie so etwas einem unbedarften deutschen Besucher?
„Für die Amerikaner
ist Religion nun einmal ein ganz wichtiger Teil ihres eigenen Lebens, und sie erwarten
auch von ihren Präsidenten, dass es gestandene Persönlichkeiten sind, und achten nicht
nur auf die politischen Programme. Zum Persönlichkeitsprofil eines Kandidaten aber
gehört hier eben auch sehr stark das private Leben der Kandidaten, der Familie, und
was sie sonst privat machen und an Engagement einbringen. Und natürlich auch die Art
und Weise, wie sie ganz persönlich mit Religiösität umgehen. Das hat nicht zuletzt
die sehr starke Debatte deutlich gemacht, was die Kirche von Barack Obama und den
Pastor dieser Kirche anbelangt – eine Debatte, die ja hier den Wahlkampf über Wochen
dominiert hat.“
An diesem Freitag hat Papst Benedikt vor der Generalversammlung
der UNO gesprochen. Kann es Rückwirkungen auf die amerikanische Gesellschaft haben,
dass der Papst nach New York kommt, um dort zunächst die UNO zu besuchen?
„Das
glaube ich eher nicht, dass die amerikanische Öffentlichkeit der Tatsache, dass der
Papst in der UNO auftritt, eine so große Bedeutung beimisst. Ich glaube vielmehr,
dass es für die UNO selber eine gute Gelegenheit ist, eine gewisse Ausstrahlung wiederzufinden,
die sie in letzter Zeit nicht in dem Maße hatte – insbesondere nicht in dem Maße wie
unter ihrem früheren Generalsekretär Kofi Annan. Insgesamt, glaube ich, haben wir
immer noch das Phänomen, dass die UNO sehr stark unter der Irak-Debatte leidet, die
ihrem Image hier in den Vereinigten Staaten großen Schaden zugefügt hat. Diese Wunde
ist immer noch nicht verheilt, aber ich befürchte, dass auch der Besuch des Papstes
und seine Rede vor der Generalversammlung da nur einen kleinen Beitrag leisten können.
Wahrscheinlich wird es erst unter einem neuen US-Präsidenten eine neue, größere Annäherung
zwischen den Vereinigten Staaten und den Vereinten Nationen geben.“
Auf
den Fernsehbildern aus dem UNO-Hauptgebäude wirkte Generalsekretär Ban Ki-Moon etwas
hilflos lächelnd neben dem ebenfalls etwas verlegen wirkenden Papst. Ist Ban Ki-Moon
der richtige Generalsekretär für die UNO in einer so schwierigen Zeit, und wie könnte
der Mann noch überraschen?
„Ich glaube, dass sowohl der derzeitige Papst
als auch der derzeitige Generalsekretär zwei Personen sind, die in ihrer medialen
Präsenz hinter das zurückfallen, was ihre Vorgänger geleistet haben. Insofern ist
diese etwas merkwürdige Szene, die Sie gerade gezeichnet haben, wahrscheinlich sehr
symbolträchtig für den Zustand oder die Amtsführung, die diese zwei Personen haben.
Ich denke, dass Ban Ki-Moon weiterhin sehr darunter leidet, dass er es anders als
sein Vorgänger nicht geschafft hat, in der Öffentlichkeit eine klare Linie zu präsentieren,
und ich glaube, dass auch der Papstbesuch ihm dabei wahrscheinlich nicht allzu viel
helfen wird.“
Benedikt XVI. wird auch an Ground Zero in Manhattan beten,
dem Ort der Terroranschläge vom 11. September 2001. Was, glauben Sie, wird das für
ein Bild sein, und wie wird es auf die amerikanische Öffentlichkeit wirken?
„Ich
halte es für eine sehr gute Entscheidung, dass er dort auftreten wird. Wir haben eben
über das Thema Emotionalität gesprochen – natürlich ist der Anschlag vom 11. September
2001 das größte, emotionalste Thema, was die amerikanische Öffentlichkeit nach wie
vor bewegt. Ich denke, er war gut beraten, dort ein Zeichen zu setzen, und ich denke,
dass das von der Öffentlichkeit hier sehr positiv wahrgenommen wird.“
Sie
sind vor allem politischer Beobachter hier in den USA: Wohin steuert das Land jetzt
im Moment?
„Das Land steuert vor allem in eine große Ungewissheit – Ungewissheit
darüber, wie es weitergeht im Irak. Ungewissheit darüber, wie es mit der amerikanischen
Wirtschaft weitergehen wird. Ungewissheit darüber, wie es weitergeht mit dieser einzig
verbliebenen Supermacht und ihrem Selbstbewusstsein als Supermacht. Ich glaube, die
Amerikaner sind momentan sehr ungewiss, in welche Richtung sie das Land steuern wollen
und was sie von einem neuen Präsidenten erwarten – in welche Richtung er das Land
dann steuern soll. Wir haben wohl selten in der amerikanischen Geschichte, wahrscheinlich
nicht mehr seit dem Ende und der Niederlage in Vietnam, ein so ich sich unsicheres
und von Selbstzweifeln geplagtes Land gesehen, und das kann man an vielen, vielen
Beispielen festmachen. Ich denke, diese Debatte wird auch die anstehenden Präsidentschaftswahlen
sehr stark dominieren – und dann eine riesige Aufgabe für den neuen Präsidenten (oder
die neue Präsidentin) sein.“