Vor der USA-Reise: „Papst trifft verjüngte Kirche"
Vom 15. bis 21. April
besucht Papst Benedikt XVI. die USA. Es ist die achte Auslandsreise des Papstes, der
am 16. April außerdem 81 Jahre alt wird. Was erwartet das Kirchenoberhaupt in Washington
und New York, den beiden Stationen des Besuchs? Der katholische Journalist und USA-Spezialist
Ferdinand Oertel berichtetet von einer multikulturellen, sich verjüngenden Kirche.
Bischöfe wie Laien erwarteten nach der Krise durch den Pädophilieskandal „ein neues
Pfingsten“, sagte der frühere Chef vom Dienst der Katholischen Nachrichtenagentur
im Gespräch mit Radio Vatikan.
Lesen und hören Sie das ganze Interview von
Birgit Pottler mit Ferdinand Oertel:
„Zunächst einmal muss man wirklich
sagen, dass die amerikanischen Katholiken, je näher der Besuch rückt, umso verrückter
spielen und regelrecht dem Papst entgegenfiebern. Sein Bild hat sich gewandelt. Er
ist früher stark abgestempelt gewesen als der ,Watch-dog’ des Vatikans, des Uffiziums,
und auch als ein ausschliesslich theologischer Kirchenmann. Das Bild hat sich sehr
stark geändert und zwar vorwiegend durch die beiden Enzykliken. Er ist jetzt der Botschafter
der Liebe und der Hoffnung. Sowohl die Bischöfe, als auch die Katholiken erwarten
von ihm geistige Inspiration – man hat sogar gesagt ,ein neues Pfingsten für die katholische
Kirche’ - nach diesem doch sehr schwerwiegendem Pädophilieskandal, der die Glaubwürdigkeit
der katholischen Kirche in Amerika sehr herabgesetzt hat.“
Gut ein Fünftel
der Amerikaner ist katholisch. Wie muss man sich das kirchliche Leben in den Vereinigten
Staaten vorstellen? Wo liegen die Schwerpunkte, welche Organisationen gibt es, die
repräsentativ sein könnten für die Stimmung unter den Katholiken? „Es ist auch
in den amerikanischen Medien schon darauf hingewiesen worden, dass dieser Papst eine
ganz andere katholische Kirche kennenlernt als noch Johannes Paul II. auf seinen vielen
Amerikareisen. Das liegt jetzt auch schon fast 15-20 Jahre zurück. Die katholische
Kirche in Amerika ist viel multikultureller geworden. Ein Universitätsprofessor sagte
jüngst, Benedikt wird diejenige Kirche der Weltkirche antreffen, die am stärksten
durch verschiedene nationale Traditionen geprägt wird. Er hat auch in seiner Video-Botschaft
schon teilweise spanisch gesprochen. Diese große Anzahl spanischer Zuwanderer verändert
auch das katholische Leben in den Gemeinden sehr stark. Die Volksfrömmigkeit der spanisch
geprägten Katholiken ist etwas anders, als die derjenigen, der sonst europäisch geprägten,
aus Italien oder aus Polen. Das bringt in den Gemeinden, wie Kardinal Georges gesagt
hat, eine neue vielfältige Vitalität.
Sie haben das Problem des sexuellen
Missbrauchs, des Pädophilieskandals angesprochen. Kardinalstaatssekretär Tarcisio
Bertone betonte jetzt im Vorfeld der Reise, Papst Benedikt wird über diese Problematik
sprechen. Nun ist es zwar eine große Erwartung in den USA, das dieses Thema angesprochen
wird, aber ist es nicht das einzige Problem oder die einzige Schwierigkeit der Katholiken
in den USA. In welcher Situation befindet sich diese Kirche derzeit? Welche sind die
Themen, die sie wirklich interessieren? „Das Hauptproblem ist zwar noch nicht
so stark wie hier in den westeuropäischen Kirchen, aber ist auch schon in Amerika
ausgeprägt: ein großer Priestermangel, der immer größer wird, auch unter den Ordenspriestern.
Er prägt das katholische Leben auch deshalb besonders, weil gerade die Orden in dem
weitverbreiteten katholischen Schulwesen und Gesundheitswesen, die katholischen Hospitäler,
sehr viel geleistet haben, jetzt aber schon weitgehend durch immer mehr Laien ersetzt
werden, die in den kirchlichen Dienst eintreten. Es ist gerade statistisch herausgekommen,
dass die Zahl, der im kirchlichen Dienst aktiven Laien mit 30.000 inzwischen schon
die Zahl der aktiven Priester übersteigt. Das ist der eine Punkt: Priestermangel
und Laienaktivität. Der andere ist, dass auch die Bischofskonferenz stark verjüngt
ist. In den meisten größeren Städten sind in den letzten Jahren neue Bischöfe ernannt
worden und die drängen darauf hin, dass der Episkopat doch mit einer Stimme spricht
und nicht, wie das in der Vergangenheit häufig war, als es die starken Auseinandersetzungen
zwischen Konservativen und Progressiven gab, mit unterschiedlichen Stimmen auch in
der Öffentlichkeit gegeneinander standen. Heute ist nicht mehr so stark der Gegensatz
zwischen Konservativen und Progressiven bestimmend, sondern eine große Kluft zwischen
der Vor-Konzils-Generation, die noch in den alten Glaubenstraditionen erzogen ist
und lebt, zwischen den reformistischen Nach-Konzils-Generationen und dann vor allem
zwischen einer kirchendistanzierteren Milleniums-Jugend. Die Frage, wie die Kirche
die Jugendlichen heute erreicht, ist eine der zentralen Fragen in der Pastoral der
Bischöfe. Wieviele Möglichkeiten hat Papst Benedikt, diese katholische
Kirche in den Vereinigten Staaten kennenzulernen? Es kreist ein wenig der Vorwurf
unter Beobachtern, dass dieser Papst als Lehrender, als Sprechender kommt und nicht
als Hörender. Kann er selbst dieses Vorurteil wiederlegen? „Ich denke schon.
Man muss zwei Ebenen sehen. Einmal werden ihn nicht nur die Katholiken, die ihn wirklich
in Realität an der Ostküste sehen, erleben, sondern die Katholiken in ganz Amerika
werden ihn erleben. Das ist das erste Mal in der Geschichte eines Papstbesuches: Er
findet nämlich auch online statt. In allen Diözesen und auch von der Bischofskonferenz
aus, von Orden, von katholischen Zeitschriften aus sind Internetauftritte des Papstes,
von seiner Ankunft bis zum Schluss, vorgesehen. Wenn man weiß, dass alle Diözesen
eine bestimmte Anzahl von Karten für die großen Messen in Washington und New York
zugeteilt bekommen haben und weiß, dass sie Sonderflüge nach Washington und New York
organisiert haben, dann darf man annehmen, dass der der Papst von allen Katholiken
in Amerika bestimmt sehr gut wahrgenommen wird. Inwieweit er selbst mit
allen Gruppierungen offen und länger sprechen kann, hängt von der Grundstruktur solcher
Papstbesuche oder solcher Besuche überhaupt ab. Die haben ein festes Programm und
Gelegenheit zum Gespräch mit allen Gruppen gibt es kaum. Man muss aber dazu sagen,
dass er nicht nur Gelegenheit hat, mit den Bischöfen zu sprechen, sondern er wird
auch mit führenden Theologen sprechen können, wenn er die Präsidenten der Colleges
und Universitäten trifft. Er wird vor allen Dingen auch im interreligiösen Bereich
in New York bestimmt nicht nur vor den Vertretern referieren, sondern er wird auch
– wie er das auf anderen Reisen gemacht hat – mit ihnen ins Gespräch kommen. Laien
sind weniger repräsentiert, weil es in der amerikanischen Kirche auch keine direkte
Laienrepräsentanz gibt. Eine wichtige Rolle spielen die ,Knights of Colombus’, die
Kolumbusritter. Das ist die größte Laienoragnisation, und einige deren Vertreter werden
bestimmt auch zu Gesprächen mit dem Papst kommen.“
Sie
haben angedeutet, der Papst wird in den ganzen Vereinigten Staaten, an Ost-und Westküste
präsent sein. Kann aber seine Botschaft an der Ostküste auch für die Menschen der
Westküste gelten? Sind die Situationen, die probleme, die Gegebenheiten in diesem
land nicht viel zu unterschiedlich? „Im religiösen Bereich eigentlich nicht.
Die katholische Kirche steht in SanFransisco vor denselben Problemen wie in Chicago
und auch wie an der Ostküste. Darin sehe ich nicht das Hauptproblem.“ Das heißt,
der Wunsch des Papstes, den er in seiner Botschaft zum Ausdruck gebracht hat, er tätige
einen Besuch für alle US-Bürger, kann durchaus Wirklichkeit werden? Das könnte
Wirklichkeit werden, weil die Hauptcharakteristika für die katholische Kirche in Amerika,
diese doch sehr vitale Frömmigkeit unterschiedlicher nationaler Prägung, überall kennzeichnend
ist. Es ist zu hoffen, dass er das auch als Sehender und Hörender kennenlernt. Ein
zweites: Amerika ist eine demokratische Gesellschaft, in der Freiheit, Dialog und
Respekt voreinander die höchsten Güter sind. Diese Wesenszüge der Amerikaner und der
katholischen Kirche sind von Ost bis West diegleichen, deshalb kann er die bei diesem
Besuch ganz bestimmt kennenlernen.
Der Besuch beginnt politisch. Ein Besuch
im Weißen Haus mit Stastspräsident Bush, dann am Freitag die Rede vor der UNO-Vollversammlung.
Wie weit besteht denn die Gefahr, dass diese Pastoralreise von den politischen Themen
– die Vereinigten Staaten stehen im Wahlkampf – überlastet wird? Überlastet
werden dürften sie bestimmt nicht. Kardinal Stafford hat auch darauf hingewiesen,
dass es nicht zu vermeiden ist in dieser Vor-Wahlsituation, dass das was der Papst
sagt politisch ausgemünzt wird. Aber der Grundtenor wird sein, dass er das moralische
Urteil der Menschen gegenüber der Politik schärfen will. Der Besuch bei Bush und bei
der UNO werden wahrscheinlich in der amerikanischen, allgemein säkularen Öffentlichkeit
am ehesten wahrgenommen. Ansonsten wird leider darauf hingewiesen, dass die Öffentlichkeit
kurz nachdem der Papst abgereist ist, wieder viel stärker auf die nächsten entscheidenen
Vor-Wahlen in Pennsylvania konzentriert sein wird.
Sehen
Sie die Gefahr eines Missbrauchs des Papst Besuchs für den einen oder anderen Kandidaten? Für
Kandidaten ganz bestimmt nicht. Es kann höchstens etwas der Besuch bei Bush, dem Repräsentanten
der Republikaner, ausgedeutet werden. Aber ich glaube, da ist Benedikt XVI. versiert
genug, um dem entsprechend vorzubeugen. (rv 13.04.2008 bp)