2008-04-11 17:41:35

D: Stammzellen - Kirche enttäuscht


RealAudioMP3 Kein guter Tag für den Lebensschutz. Katholische Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sind enttäuscht über die Entscheidung des deutschen Bundestags zur Änderung des Stammzellgesetzes. Künftig darf in Deutschland mit embryonalen Stammzellen geforscht werden, die vor dem 1. Mai 2007 im Ausland gewonnen wurden. Bislang galt der Stichtag 1. Januar 2002. Ein Hintergrundbericht:

Eine erste Reaktion von Prälat Karl Jüsten, Leiter des katholischen Büros in Berlin:
„Wir sagen, dass der Embryo nicht zu Forschungszwecken missbraucht werden darf, und dass keine Anreize geschaffen werden dürfe, dass Embryonen zu Forschungszwecken getötet werden. Immerhin haben wir auch weit über das katholische Lager hinaus Zustimmung für unsere Position bekommen, gleichwohl ist es Niederlage für den Lebensschutz.“

59 Prozent der Abgeordneten stimmten in namentlicher Abstimmung am Freitag Vormittag in Berlin für eine „einmalige Stichtagsverschiebung“. Ältere Zellen ließen nach Ansicht der Forscher qualitativ keine Spitzenforschung mehr zu. Der Schutzmechanismus des Stammzellgesetzes bleibe bestehen, es werde jedoch an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst. Außerdem bleibe gewährleistet, dass von Deutschland aus nicht die Gewinnung embryonaler Stammzellen oder die Erzeugung von Embryonen zu diesem Zweck veranlasst wird, hieß es in der Begründung des fraktionsübergreifenden Antrags.

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Der Bundestag hatte am Freitag in zweiter Debatte insgesamt vier Gesetzentwürfe beraten. Zur Abstimmung standen ein völliger Verzicht auf die Stichtagsregelung, eine einmalige Aktualisierung, die Bewahrung der bisherigen Rechtslage oder ein völliges Verbot der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen.
„Eine Verschiebung des Stichtags kann, ja muss ethisches Misstrauen erzeugen“, betonte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse von der SPD. „Nicht wenige reden von der ethischen Wanderdüne. Ich bleibe dabei: Da es kein mich überzeugendes Argument für eine Verschiebung oder Aufhebung des Stichtages gibt, plädiere ich für die Beibehaltung des 2002 vereinbarten und vertretbaren Kompromisses, zumal es mit der Forschung an adulten Stammzellen eine aussichtsreiche unterstützenswerte Möglichkeit gibt, die ethisch unproblematisch ist.“
Thierse, Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken, ist in diesem Punkt ganz auf Linie der deutschen Bischofskonferenz. Der Vorsitzende Robert Zollitsch hatte im Vorfeld gegen eine Aufweichung des Embryonenschutzgesetzes votiert: „Schon als das letzte Mal ein Datum eingeführt wurde, war das ein Sündenfall.“ Leben sei nicht verfügbar und Forschungsfreiheit könne nicht gegen den fundamentalen Lebensschutz abgewogen werden.
Die wissenschaftliche Begründung überzeuge nicht, erklärt auch der Mediziner und Bioethik-Experte der Christdemokraten im Europaparlament, Peter Liese, direkt nach der Abstimmung im Bundestag: „Es ist eine falsche Entscheidung, aber sie hat sich ja angedeutet. Das ist sehr bedauerlich, weil die Argumente überhaupt nicht stichhaltig sind. Die so genannten alten embryonalen Stammzellen sind zur Grundlagenforschung durchaus noch zu gebrauchen, und alles andere steht sowieso nicht an.

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Anders argumentierte am Freitag Morgen in Berlin Bundesjustizministerin Brigitte Zypries:
„Eine Verschiebung des Stichtags im Stammzellgesetz ist verfassungsrechtlich zulässig. Für den Schutz des Embryos in vitro sorgt bereits das Embryonenschutzgesetz. Beim Stammzellgesetz geht es dagegen nicht um Embryonen, das dürfen wir nicht vergessen. Es geht um embryonale Stammzellen, und die sind nicht in der Lage, sich zu einem kompletten Organismus zu entwickeln, und sie sind auch keine Träger von Grundrechten.“
Menschenwürde könne Stammzellen nicht zugeschrieben werden, so die deutsche Justizministerin. Unter den Verfassungsjuristen sei diese Einschätzung eine „ganz singuläre Einzelmeinung“.

Alles andere als „singulär“ betrachtet der Europapolitiker Liese die jetzt beschlossene Lockerung des deutschen Stammzellengesetzes. Er befürchtet eine negative Signalwirkung für andere europäische Staaten und hofft, dass es bei dieser „einmaligen Verschiebung“ des Stichtags bleibt: „Viele mittel- und osteuropäische Staaten sind d und war Deutschland bisher ein Vorbild. Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass wir jetzt auf keinen Fall weitere Liberalisierungen zulassen. Es wird ohnehin schon schwierig, den Menschen in anderen europäischen Ländern zu erklären, wie wir es verantworten können, dass wir selbst sehr strenge Regel zum Umgang mit Embryonen haben, bei dem Import embryonaler Stammzellen jetzt aber doch sehr liberal sind. Das ist eine gewisse Doppelmoral.“ Jüsten, Vertreter der Bischofskonferenz in Berlin: „Natürlich hätte es schlimmer kommen können. Wenn es gar keine Stichtagsregelung mehr gegeben hätte, dann wäre die vollkommene Forschungsfreiheit gegeben und von Deutschland aus der Anreiz zur Tötung von Embryonen gegeben worden. Dieser Antrag ist Gott sei Dank mit Pauken und Trompeten durchgefallen.“
„Sehr gut, sehr interessant“, nannte der Augsburger Weihbischof Anton Losinger die Bundestagsdebatte. Losinger ist Mitglied im heute erstmals zusammengetretenen Ethikrat. „Allerdings ist damit das eigentliche Problem, ob damit nicht weiteren Forderungen nach Änderungen des Stichtages und damit weiteren Möglichkeiten embryonenverbrauchender Forschung nicht Tür und Tor geöffnet sind - diese Frage ist nicht beantwortet.“ Auch wenn der Bundestag über das Stammzellgesetz und nicht über das Embryonenschutzgesetz beraten hat, Losinger sieht hier einen Pferdefuß und eine gefährliche Weichenstellung.

„Viele Menschen haben mit dem hehren Schutz der Menschenwürde argumentiert, Argumente, die ja auch die unseren sind, haben aber dann gesagt: Im letzten muss man es nicht ganz so ernst nehmen.“ Während Karl Jüsten bei aller öffentlichen Diskussion hier klar von einer Niederlage spricht, relativiert der Europapolitiker. Die ethischen Positionen der katholischen Kirche blieben keineswegs ungehört, betont Liese, selbst Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. „Was der Bundestag heute gemacht hat, ist eine Entscheidung gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Das kann man machen, wenn die einzelnen Abgeordneten zu einem anderen Schluss kommen als ihre Wähler. Aber das muss man dann auch sehr gut begründen können. Ich glaube aber, dass das viele Verantwortliche auch gespürt haben, und zwar dass sie eigentlich keine Unterstützung für diese Entscheidung hatten. Deswegen würde ich nicht sagen, dass katholische oder kirchliche Positionen keine Relevanz mehr haben. Wir müssen sie vielmehr jeden Tag neu in die politische Debatte einbringen.“

Die Kirche werde bei ihrer Position bleiben und sich weiterhin für die Forschung mit adulten Stammzellen einsetzen, so der Mainzer Kardinal und langjährige Bischofskonferenz-Vorsitzende Karl Lehmann schon vor der Abstimmung. Hier müsse der Schwerpunkt liegen, meint CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. „Was ich besonders wichtig finde, ist, dass wir nun nicht als Bremser der Forschung auftreten, sondern dass wir ganz bewusst die Alternativen unterstützen. Das ist zum Beispiel in kirchlichen Krankenhäusern möglich, die die Therapie der adulten Stammzellen vorantreiben. Wir müssen uns alle gemeinsam – also katholische Laien und die Amtskirche –für diese positiven Möglichkeiten einsetzen. Dies müssen wir nicht nur mit Worten sondern auch mit praktischen Taten tun.“

War es von Schaden, dass katholische und evangelische Kirchenvertreter in Deutschland nicht mit einer Stimme sprachen? Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, hatte die einmalige Stichtagsverschiebung für ethisch vertretbar gehalten. Ein gemeinsames Zeugnis wäre überzeugender gewesen. „Ja, das haben ja auch unsere Bischöfe verschiedentlich deutlich gemacht. Erzbischof Zollitsch hat auch noch einmal darauf hingewiesen, dass es sicher schwierig und problematisch war, dass der Ratsvorsitzende der EKD als prominenter evangelischer Christ sich dafür ausgesprochen hatte. Es gibt ja auch viele andere evangelische Christen, die unsere Position teilen. Aber die Erfahrung mache ich hier in Berlin mehr und mehr: Wenn wir als Kirchen in ethischen Fragen, in Lebensschutzfragen nicht mit einer Stimme sprechen, dann schwächen wir unsere Position, und das kann eigentlich keiner der beiden Kirchen recht sein.“

(pm/rv/domradio 11.04.2008 bp)








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