Der Vatikan hat nach
dem Machtantritt Hitlers keine Weisung gegeben, auf die Nationalsozialisten zuzugehen.
Das schreibt der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf in einem Beitrag für die
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Freitagsausgabe). Die deutschen Bischöfe und die
deutschen katholischen Parteien hätten im Frühjahr 1933 „selbstständig und nicht aufgrund
einer römischen Weisung“ entschieden, als sie am 28. März vor 75 Jahren ihre frühen
Warnungen vor dem Nationalsozialismus zurücknahmen, betont Wolf unter Berufung auf
Quellen im Vatikanischen Geheimarchiv. Katholiken konnten so „ohne Gewissenskonflikte“
in der Bewegung mitarbeiten. In der ersten Aprilhälfte 1933 begannen dann die Verhandlungen
über ein Reichskonkordat. Seit 1930 hatten die Bischöfe zuvor Katholizismus und Nationalsozialismus
für unvereinbar erklärt und den Rassismus als „unchristlich und unkatholisch“ verurteilt. Seit
Jahrzehnten wird darüber diskutiert, ob der Vatikan die erste deutsche Demokratie
verraten habe, um das langersehnte Reichskonkordat mit der Hitler-Regierung abschließen
zu können. Prominente Historiker argumentieren, dass der Vatikan die katholischen
Parteien - das Zentrum und die Bayerische Volkspartei - gedrängt habe, für das Ermächtigungsgesetz
zu stimmen und damit letztlich auch ihre Selbstauflösung zu beschließen. Nach einer
„gründlichen Sichtung“ von Aufzeichnungen, die in den Jahren 2003 und 2006 im Geheimarchiv
zugänglich wurden, sieht Wolf nun ausreichende Belege dafür, dass sowohl Papst Pius
XI. als auch Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII.,
und der Berliner Nuntius Cesare Orsenigo keinen direkten Einfluss in diesen Fragen
ausübten. Zwar habe die Kurie die deutschen katholischen Parteien durchaus kritisch
gesehen und eine Koalition des Zentrums mit den Deutschnationalen oder der NSDAP erwogen.
Auch sei Rom mit dem Vorgehen der deutschen Bischöfe inhaltlich einverstanden gewesen.
„Es gibt aber keinen Beleg dafür, dass der Vatikan Druck auf die katholischen Parteien
ausübte“, schreibt Wolf. Er zitiert Pacelli mit seiner Einschätzung gegenüber den
Bischöfen: „Eine Intervention des Papstes ist weder notwendig noch ratsam.“ Nuntius
Orsenigo habe zudem kritisiert, dass die Bischöfe der Reichsregierung nicht klare
Bedingungen gestellt und Gegenleistungen gefordert hätten. „Der gewiefte Diplomat
Pacelli hätte die kirchliche Verurteilung niemals ohne Gegenleistung aufgegeben“,
so der Kirchenhistoriker. Von einem Reichskonkordat sei vor April 1933 in den vatikanischen
Quellen nie die Rede. (faz/kna 29.03.2008 bp)