Frankreich/Schweiz: Sterbebegleitung aus der Praxis
In Frankreich hat
der Selbstmord der Krebspatientin Chantal Sebire eine emotional geführte Debatte über
Sterbehilfe ausgelöst. In Umfragen manifestierte sich ein massiver Meinungsumschwung
zugunsten der aktiven Sterbehilfe, um die Chantal Sebire öffentlich gebeten hatte.
Dazu dürften die Aufnahmen der Patientin in ihrem letzten Stadium beigetragen haben.
Die 52-jährige Französin litt an einer seltenen, schmerzhaften Tumorerkrankung, die
ihr Gesicht entstellte. Diese Bilder begleiteten die Berichterstattung im Fernsehen
und im Internet. Gudrun Sailer hat über den Fall Chantal Sebire mit der Schweizer
Sterbebegleiterin und Theologin Monika Renz gesprochen, die am Kantonsspital St. Gallen
die Abteilung Psychoonkologie leitet. "Solche Bilder sehen so schrecklich
aus, man sieht von außen an das Leid heran und weiß nicht, dass es sich innerlich
unter Umständen anders anfühlt. Ein großes Problem ist auch, dass aus einem Einzelfall
ein Politikum gemacht wird - eine Machtfrage."
Vielleicht ist der erste
Reflex, wenn man so ein Bild sieht, tatsächlich der, zu sagen: wenn ich selbst so
entstellt wäre, würde ich auch sterben wollen – daher: Ja zur aktiven Sterbehilfe.
Sie halten entgegen, dass die Debatte über Sterbehilfe Folgen für die Patienten hat
– dass ihnen damit etwas weggenommen wird …
"Ganz wichtig ist wirklich die
Einsicht: Leiden sieht von außen in der Regel schlimmer aus als es sich von innen
anfühlt. Ich muss das Angehörigen immer wieder mitteilen. Ich habe gerade heute einen
Mann erlebt, der mir von dem einen großen Licht erzählt, das alle Menschen an sich
zieht. Das war seine Erfahrung inmitten von ganz schrecklichem Leid. Chantal Sebire
hat das nicht so wahrgenommen. Es gibt diese Durchgangszeiten von Leiden. Und die
dürfen wir nicht verharmlosen, da gebe ich Ihnen recht: Ich weiß nicht, wie es mir
ergehen würde, ob ich nicht auch zur Verzweiflungstat greifen würde. Hingegen ist
genau das der Unterschied: Die Verzweiflungstat können wir verstehen. Aber in der
aktiven Sterbehilfe, in der Suizidbeihilfe, geht der Mensch aus der Position des Ichs
in eine Machtposition hinein und bestimmt quasi - wie das Patienten dann sagen: Leiden
werde ich nie, das passiert mir nicht. Gerade dann sind aber ihre Schmerzen stärker.
Sie sind in einer Spannung, sie haben eine größere Zerrissenheit, sie können gerade
nicht jenen inneren Durchgangsweg gehen hin zu einer spirituellen Öffnung, wie ich
das etwa in meinem Forschungs- und Buchprojekt „Zeugnisse Sterbender" ausführe. Sie
können diesen Weg nicht gehen. Und das ist auch ein Betrug für diese Sterbenden. Da
nimmt man ihnen eine ganz große spirituelle Erfahrung oder Gottnähe, auch das Abrunden
von Leben, einfach weg. Und meine Erfahrung ist die, wenn ich dann den Angehörigen
ausdeutsche, was etwa bestimmte Reaktionen der Sterbenden bedeuten, dann sind die
Angehörigen ergriffen und bezeichnen ein solches Erlebnis ähnlich einer Geburt."
Kann
man von jedem todkranken Menschen bei der richtigen Behandlung verlangen, dass er
nicht nach aktiver Sterbehilfe ruft? Oder gibt es auch solche, die mit einen Sich-Selbst-Sterben-Lassen
tatsächlich überfordert wären?
"Meine Erfahrung ist die, dass der Entscheid
zur aktiven Sterbehilfe VOR dem Leiden gefällt wird. Wir schauen auf das Leiden von
außen und erschrecken, zu Recht, und entscheiden uns so. Im Leiden drin ist nur noch
die Frage verzweifelter Hilferuf oder etwas wunderbar Schönes. Ich erlebe sehr häufig,
wenn es den Menschen gelingt, wenn sie loslassen und sich auch führen lassen von jemandem,
oder von selbst in die Öffnung hineinfinden, dass sie unendlich dankbar sind, dass
man ihnen das Todesgift gerade nicht gegeben hat, nach dem sie vielleicht wenige Stunden
oder Tage zuvor geschrieben haben."
Sie haben bisher rund 600 Menschen
beim Sterben begleitet. Dass Ihre Patienten in der letzten Lebensphase oft in einen
breiten inneren Frieden hineingleiten, haben Sie dabei oft beobachtet. Was können
Lebende von Sterbenden lernen?
"Das Allerwichtigste ist das Staunen. Der
Respekt über ein letztes Geheimnis, das Geheimnis bleibt, über das wir uns nicht hinwegsetzen
können. Ich habe gerade gestern wieder im Kontakt mit einer Frau dieses Wort Geheimnis
angesprochen, und da hat sie aufgeschaut und war so berührt, dass das gefallen ist.
Überhaupt die Einstellung zu lernen. Nicht nur zu geben, sondern auch zu nehmen, das
macht diese Patienten reich."
Kommen wir auf die Sterbehilfe-Debatte in
der Schweiz zu sprechen. Von außen betrachtet, fällt auf, dass eine Organisation wie
„Dignitas“ mit ihrer Hilfe zum Selbstmord in den Medien breite Beachtung findet. Seltener
ist von Entwicklungen und Erfolgen der Sterbebegleitung zu hören, wie Sie sie betreiben.
Woran liegt das?
"Das liegt daran, dass von der Politik an das Leiden herangeschaut
wird und nicht im Leid drin über diese Debatte nachgedacht wird. Es sind nicht diejenigen
Menschen, die wirklich mit den Sterbenden zu tun haben, die da zu Wort kommen, sondern
man möchte das Leid gar nicht aufkommen lassen. Es wird zuvor schon abgewürgt, bevor
man überhaupt fragt, was ist die Chance, was sind die Aussagen dieser Menschen, was
brauchen sie. Man kann auch die Frage der würde anders stellen: Welche Würde haben
gerade Leidende, was können wir von ihnen lernen? Das wird gar nicht gestellt."