So etwas passiert
nur alle Jubeljahre einmal: In Erfurt sind sechs bisher unbekannte Predigten des Kirchenlehrers
Augustinus entdeckt worden. Das teilte die Universität Erfurt mit. Drei Forscher der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien identifizierten die Texte in
einer mehr als 800 Jahre alten Handschrift der 'Biblioteca Amploniana', die in Erfurt
aufbewahrt wird.
Die Forscherin Isabella Schiller entdeckte zuerst den Widerspruch
zwischen der Inhaltsangabe in einem Katalog des 19. Jahrhunderts und den tatsächlich
in dem Band vorhandenen Texten, erklärt Thomas Bouillon, der Leiter dieser Spezialabteilung
der Bibliothek:
„Während der Bearbeitung fiel ihr auf, dass in einem Band
– das ist ein kleines, aber dickes Duodezbändchen – Texte mit Augustinuspredigten
vorhanden sind, die sie in ihrer Datenbank nicht nachweisen konnte.“
Die
Handschrift kam wohl bereits im 15. Jahrhundert in die Sammlung des bibliophilen Mediziners
und Theologen Amplonius Rating aus Rheinberg († 1435). Dieser hatte 1412 seine umfangreiche
Handschriftensammlung von über 600 Bänden an das von ihm in Erfurt gegründete 'Collegium
Amplonianum' gegeben.
In drei der Predigten geht es um die tätige Nächstenliebe
in Form von Almosen. Augustinus spricht über die materielle Unterstützung, die die
Gemeinde ihrem Bischof gewährt, und der von ihm zu leistenden geistlichen Gegengabe
in Form pastoraler Betreuung.
Drei weitere der jetzt entdeckten Predigten
hat Augustinus anlässlich von Märtyrerfesten gehalten. Interessant besonders die Predigt
mit dem wissenschaftlichen Fachnamen „Sermo Erfurt 6“:
„Da handelt es sich
um eine Predigt gegen die Unsitten bei solchen Festen, es gab nämlich damals die Sitte,
sich umfänglich zu betrinken und Party zu feiern. Dies geißelt Augustinus.“
Eine
andere Predigt (Sermo Erfurt 5) handelt von der Wirklichkeit der Auferstehung der
Toten. In ihr fordert der Kirchenvater dazu auf, an die Wahrheit der biblischen Weissagungen
zu glauben.
Wissenschaftlich gesehen ist die Neuentdeckung jedenfalls ein Glücksfall,
sagt Bouillon:
„Der Fund ist nach meiner Einschätzung sehr bedeutend, denn
soweit mir bekannt ist, ist die letzte Anzahl von Predigten – so um die zwanzig bislang
unbekannte Predigten des Augustinus – in den frühen achtziger Jahren in Mainz gemacht
worden. Davor noch einmal eine um 1970. So etwas passiert höchstens alle zwanzig,
dreißig Jahre.“
Bis die Forscher mit der Neuigkeit an die Presse gegangen
sind, haben sie lange gewartet: Denn man wollte sicher sein, dass es auch wirklich
authentische Predigten sind. Festmachen können die Forscher das am Stil, der völlig
dem der anderen Augustinus-Predigten entspricht, zweitens an der Tatsache, dass man
von den Texten aufgrund von antiken Verzeichnissen wusste und drittens daran, dass
die Textüberlieferung sehr glaubwürdig ist, obwohl die Handschrift aus dem 12. Jahrhundert
ihrerseits mehr als 700 Jahre nach der Verfassung der Predigten entstanden ist. Als
man Gewissheit hatte, knallten bei den Wissenschaftlern natürlich die Sektkorken…
„Für die ist natürlich etwas wirklich Tolles. Ich kann schon sagen, dass die Aufregung
bereits begann kurz nach der vermutlichen Entdeckung im vergangenen Sommer. Das hat
sich ein halbes Jahr hingezogen, bis man sich sicher sein konnte, dass es sich um
echte Predigten handelte!“
Die neu entdeckten Predigten werden in der renommierten
österreichischen Fachzeitschrift 'Wiener Studien. Zeitschrift für Klassische Philologie
und Patristik und lateinische Tradition' veröffentlicht. In Band 121 erscheinen in
Kürze die Sermones Erfurt 1, 5, und 6, während die Sermones Erfurt 2, 3 und 4 im kommenden
Jahr vorgelegt werden.
Am Dienstag, dem 15. April 2008, werden I. Schiller,
D. Weber und C. Weidmann auf Einladung der Universität Erfurt ihre Entdeckung in einem
öffentlichen Vortrag der breiteren Öffentlichkeit in Erfurt vorstellen. Ort und Zeit
des Vortrags: Erfurt, Coelicum (Domstr. 10), 19.00 Uhr.