2008-03-20 12:18:42

Predigt Benedikts XVI. in der Chrisammesse am 20.3.2008 in der Petersbasilika


Liebe Brüder und Schwestern,

jedes Jahr fordert uns die Chrisammesse dazu auf, wieder in jenes „Ja“ zum Ruf Gottes einzutreten, das wir am Tag unserer Priesterweihe gesprochen haben. „Adsum – Hier bin ich!“, haben wir wie Jesaja gesagt, als jener die Stimme Gottes hörte, die ihn fragte: „Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen?“ „Hier bin ich, sende mich!“ antwortete Jesaja (Jes 6,8). Daraufhin hat der Herr selbst, durch die Hände des Bischofs, uns die Hände aufgelegt, und wir haben uns seiner Sendung hingegeben. Danach sind wir zahlreiche verschiedene Wege gegangen im Kontext seines Rufs, der an uns ergangen ist. Können wir von uns immerzu das behaupten, was Paulus nach Jahren des oft anstrengenden und von Leid geprägten Dienstes am Evangelium an die Korinther schrieb: „Daher erlahmt unser Eifer nicht in dem Dienst, der uns durch Gottes Erbarmen übertragen wurde.“ (Vgl. 2 Kor 4,1)? „Unser Eifer erlahmt nicht“- Bitten wir an diesem Tag, dass dieser Eifer immer neu entfacht und auf diese Weise neu genährt werde von der lebendigen Flamme des Evangeliums.

Zugleich ist der Gründonnerstag auch eine Gelegenheit, uns immer wieder neu zu fragen: Wozu haben wir „Ja“ gesagt? Was ist dieses „Priester Jesu Christi sein“? Das zweite Hochgebet unseres Messbuchs, das wahrscheinlich schon am Ende des zweiten Jahrhunderts in Rom redigiert wurde, beschreibt das Wesen des priesterlichen Dienstes mit den Worten, mit denen im Buch Deuteronomium (18,5.7) das Wesen des alttestamentlichen Priestertums beschrieben worden ist: astare coram te et tibi ministrare. Es sind also zwei Aufgaben, die das Wesen des Priesteramts ausmachen: Zuallererst das „vor dem Herrn stehen“. Im Buch Deuteronomium ist dies im Zusammenhang mit der vorausgehenden Bestimmung zu lesen, nach der die Priester keinen Anteil am Heiligen Land erhalten – sie lebten von Gott und für Gott. Sie gingen nicht den notwendigen Beschäftigungen für den täglichen Lebensunterhalt nach. Ihre Beruf war es, „vor dem Herrn zu stehen“ – auf Ihn zu schauen, für Ihn da zu sein. Auf diese Weise bezeichnete dieses Schriftwort definitiv ein Leben in der Gegenwart Gottes und auch einen stellvertretenden Dienst für die anderen. So wie die anderen das Land bewirtschafteten, von dem auch der Priester lebte, so hielt dieser die Welt offen auf Gott hin, er hatte mit dem Blick auf Ihn hin zu leben. Wenn sich nun dieses Wort im Hochgebet gleich nach der Wandlung der Gaben wiederfindet, nachdem der Herr in die betende Gemeinschaft eingetreten ist, so weist es uns darauf hin, dass wir gegenwärtig vor Gott stehen, es verweist also auf die Eucharistie als Mitte des priesterlichen Lebens. Aber auch hier reicht die Bedeutung weiter. Im Hymnus des Stundengebets, der während der Fastenzeit die Lesehore einleitet – die Hore, die einst bei den Mönchen zu nächtlicher Stunde gebetet wurde vor Gott und für die Menschen –, wird eine der Aufgaben in der Fastenzeit mit folgendem Imperativ umschrieben: arctius perstemus in custodia – wachsam und lauter sei der Geist. In der Tradition des syrischen Mönchtums werden die Mönche als diejenigen bezeichnet, die „stehen“, ihr Stehen war Ausdruck ihrer Wachsamkeit. Was hier als Aufgabe der Mönche angesehen wird, können wir berechtigterweise auch als Ausdruck der priesterlichen Sendung ansehen und als richtige Deutung des Wortes aus dem Buch Deuteronomium: Der Priester muss jemand sein, der wacht. Er muss wachsam sein angesichts der bedrängenden Mächte des Bösen. Er muss die Welt wach halten für Gott. Er muss einer sein, der steht: aufrecht gegen die Strömungen der Zeit. Aufrecht in der Wahrheit. Aufrecht im Einsatz für das Gute. Das Stehen vor Gott muss im Innersten auch ein Eintreten für den Menschen beim Herrn sein, der seinerseits für uns eintritt beim Vater. Und es muss ein Eintreten sein für Ihn, für Christus, für sein Wort, für seine Wahrheit und seine Liebe. Aufrecht muss der Priester sein, unerschrocken und dazu bereit, für den Herrn Schmähungen hinzunehmen, wie es die Apostelgeschichte berichtet: „Sie freuten sich, dass sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden.“ (Apg 5,41)

Schauen wir nun weiter auf das zweite Wort, dass das zweite Hochgebet dem Alten Testament entnimmt – „vor dir zu stehen und dir zu dienen“. Der Priester muss eine aufrichtige Person sein und wachsam, eine Person, die unbeirrt standhaft ist. Zu all dem kommt dann noch das Dienen hinzu. Im Text des Alten Testaments hat dieses Wort eine ganz wesentlich rituelle Bedeutung: den Priestern kamen alle die vom Gesetz vorgesehenen Kulthandlungen zu. Dieses Handeln gemäß dem Ritus wurde dann aber als Dienst angesehen, als ein Dienstamt, und so wird deutlich, in welchem Geist diese Handlungen vollzogen werden sollten. Durch die Aufnahme des Wortes „Dienen“ in das Hochgebet wird die die liturgische Bedeutung dieses Begriffs in gewisser Weise adaptiert – gemäß der Neuheit des christlichen Kultes. Was der Priester im Augenblick der Feier der Eucharistie tut ist Dienen, einen Dienst erfüllen für Gott und einen Dienst an den Menschen. Der Kult, der Christus dem Vater erwiesen hat, besteht in seiner Hingabe an die Menschen bis zuletzt. In diesen Kult, in diesen Dienst muss der Priester sich einfügen. In diesem Sinne umfasst das Worte „Dienen“ zahlreiche Facetten. Sicherlich gehört dazu in allererster Linie die rechte und mit innerer Anteilnahme vollzogene Feier der Liturgie und der Sakramente im Allgemeinen. Wir müssen lernen, immer mehr die Heilige Liturgie in ihrem ganzen Wesen zu verstehen, eine lebendige Vertrautheit mit ihr zu entwickeln, damit sie so zur Seele unseres täglichen Lebens wird. Wenn wir in rechter Weise zelebrieren, entsteht von selbst die ars celebrandi, die Kunst der Gottesdienstfeier. In dieser Kunst darf es nichts Künstliches geben. Sie muss eins werden mit der Kunst, recht zu leben. Wenn die Liturgie eine der zentralen Aufgaben des Priesters ist, dann bedeutet das auch, dass das Gebet eine vordringliche Sache ist, die gelernt werden muss, immer wieder neu und immer tiefer in der Schule Christi und der Heiligen aller Zeiten. Da die christliche Liturgie wesentlich immer auch Verkündigung ist, müssen wir Personen sein, die mit dem Wort Gottes vertraut sind, es lieben und es leben: Nur dann können wir es angemessen auslegen. „Dem Herrn Dienen“ – der priesterliche Dienst bedeutet vor allem lernen, den Herrn in seinem Wort kennenzulernen und Ihn all denen bekannt zu machen, die Er uns anvertraut hat.


Schließlich gehören noch zwei weitere Aspekte zum Dienen dazu. Niemand ist seinem Herrn so nah wie der Diener, der Zugang hat zum privatesten Bereich seines Lebens. In diesem Sinne bedeutet „Dienen“ Nähe und bedarf der Vertrautheit. Diese Vertrautheit birgt auch eine Gefahr: Dass das Heilige, dem wir laufend begegnen, für uns zur Gewohnheit wird. Durch die Gewöhnung nehmen wir nicht mehr das Große, Neue und Überraschende der Tatsache wahr, dass er gegenwärtig ist, zu uns spricht, sich uns schenkt. Gegen diese Gewöhnung an diese besondere Wirklichkeit, gegen die Gleichgültigkeit des Herzens müssen wir ohne Unterlass kämpfen, indem wir unser Ungenügen bekennen und es als Gnade ansehen, dass er sich auf diese Weise in unsere Hände gibt. Dienen heißt Nähe, aber es bedeutet vor allem auch Gehorsam. Der Diener steht unter dem Wort; „Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen!“ (Lk 22,42). Mit diesem Wort hat Jesus im Garten am Ölberg den entscheidenden Kampf gegen die Sünde gekämpft, gegen die Rebellion des gefallenen Herzens. Die Sünde Adams bestand nämlich darin, seinen Willen verwirklichen zu wollen und nicht den Willen Gottes. Die Versuchung der Menschheit ist allezeit die, völlig autonom sein zu wollen, allein dem eigenen Willen zu folgen und zu glauben, dass wir nur so frei seien; dass nur dank einer solch grenzenlosen Freiheit der Mensch vollständig Mensch sei und göttlich werde. Aber so stellen wir uns genau gegen die Wahrheit. Denn Freiheit bedeutet, dass wir diese Freiheit mit anderen teilen müssen, und wir können nur in Gemeinschaft mit ihnen frei sein. Diese mit anderen geteilte Freiheit kann nur dann wahre Freiheit sein, wenn wir eintreten in das, was das Maß der Freiheit bestimmt, wenn wir nämlich eintreten in den Willen Gottes. Dieser grundlegende Gehorsam, der zum Menschsein gehört, wird im Priester noch konkreter: Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern ihn und sein Wort, das wir uns nicht selber haben ausdenken können. Wir erfinden uns die Kirche nicht, wie wir sie gerne hätten, sondern wir verkündigen das Wort Christi in rechter Weise nur in Gemeinschaft mit seinem Leib (der die Kirche ist). Unser Gehorsam ist ein Glauben mit der Kirche, ein Denken und Sprechen mit der Kirche und ein Dienen mit ihr. Dazu gehört auch, was Jesus Petrus vorausgesagt hat: „Ein anderer wird dich führen, wohin du nicht willst.“ (Joh 21,18) Dieses Sich-führen-Lassen, wohin wir nicht wollen, ist eine wesentliche Dimension unseres Dienens, und genau die macht uns frei. In dieser Art von Führung, die unseren Ideen und Vorstellungen widerspricht, erfahren wir Neues – den Reichtum der Liebe Gottes.
Vor ihm zu stehen und Ihm zu dienen“: Jesus Christus hat als der wahre Hohepriester der Welt diesen Worten eine zuvor unvorstellbare Tiefe verliehen. Er war und ist als Sohn der Herr, und als solcher hat er der Diener Gottes werden wollen, den die Vision im Buch Jesaja angekündigt hatte. Er wollte der Diener aller sein. Er hat das Gesamt seines hohenpriesterlichen Amtes abgebildet in der Geste der Fußwaschung. Mit dieser Geste der Liebe bis zum Ende wäscht Er uns die schmutzigen Füße, mit der Demut seines Dienens reinigt er uns von der Krankheit unseres Hochmuts. Auf diese Weise macht er uns fähig, Tischgenossen Gottes zu werden. Er ist hinabgestiegen, und der wahre Hinaufstieg des Menschen verwirklicht sich nunmehr im Hinabsteigen mit Ihm und zu Ihm hin. Seine Erhöhung ist das Kreuz. Und der tiefste Abstieg ist – als Liebe, die bis zur Vollendung drängt – zugleich der Höhepunkt des Aufstiegs, die wahre „Erhebung“ des Menschen. „Vor Ihm zu stehen und Ihm zu dienen“ – das bedeutet nunmehr, in die Berufung zu Diener Gottes einzutreten. Die Eucharistie als Vergegenwärtigung von Herabstieg und Aufstieg Christi verweist immerdar – über sich selbst hinaus – auf die vielfältigen Weisen des Liebesdienstes am Nächsten. Bitten wir den Herrn an diesem Tag um die Gabe, in diesem Sinne erneut „Ja“ zu seinem Ruf sagen zu können: „Hier bin ich. Sende mich, Herr“ (Jes 6,8). Amen.

Übersetzung: P. Max Cappabianca OP, Radio Vatikan








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