Brasilien: „Lebensschutz ist keine religiöse Frage"
Sobald sich in Brasilien
der Strassenkarneval ausgetobt hat, kommt – in der Fastenzeit – die so genannte Kampagne
der Brüderlichkeit. Brasiliens Oberhirten denken sich jedes Jahr ein Schwerpunktthema
aus, um das die Fastenzeit kreist: die Rechte der Landlosen, das harte Leben der Indianer
am Amazonas... Dieses Jahr geht es um den Lebensschutz. Und das, weil in ganz Lateinamerika
immer mehr Linksregierungen die Dämme durchlöchern, die katholisch inspirierte Regime
im Lauf der Jahrhunderte aufgeworfen haben.
„Das Leben ist doch bedroht,
wo man nur hinsieht“, sagt Kardinal Odilo Scherer, der deutschstämmige Erzbischof
von Sao Paolo. „Man sieht es doch oft nur noch unter Nützlichkeits-Kriterien, ohne
an den Wert der Person zu denken. Die Kirche in Brasilien will die ganze Gesellschaft
dazu bringen, doch mal in aller Ruhe über dieses Thema nachzudenken. Wir wollen keine
Aggressionen gegen das menschliche Leben, also weder Abtreibung, Euthanasie noch Stammzell-Forschung
an Embryonen.“
Vor allem das Thema Abtreibung ist in Brasilien akut. Zwar
ist das Gesetz eindeutig: Abtreibung ist verboten. Dennoch steigt die Zahl der Abtreibungen
seit Jahren immer weiter an. Ärzte schätzen, dass in Brasilien bereits jede dritte
Schwangerschaft abgebrochen wird. Da die Patientinnen oftmals keine andere Wahl haben,
als sich in die Obhut von irgendwelchen dubiosen Hinterhofkliniken zu begeben, sterben
jährlich tausende Frauen als Folge der Eingriffe.
„Aber zu vielen Abtreibungen
kommt es nur, weil das Kind jetzt vielleicht in einem nicht ganz idealen Zeitpunkt
kommt, oder weil die Frau jetzt im Moment kein Kind will. Es gibt doch so viele Gründe,
aus denen heutzutage abgetrieben wird: weil das gerade bequem ist, weil das auch für
die Gesellschaft einfacher ist und für die Betroffenen. Aber das ist eine grobe Ungerechtigkeit
gegen die Person, die da ihr Leben verliert – gegen den Embryo, das ungeborene Kind.“
Kardinal
Scherer leugnet nicht, dass viele Frauen in großen Notlagen Abtreibung als letzten
Ausweg sehen, und dass das für viele Frauen und Männer große Gewissensnöte bedeutet.
Aber der Kardinal will doch am christlichen Traum vom Leben festhalten, am positiven
Entwurf, der jeden zu seinem Recht kommen lassen will, auch den Allerungeschütztesten.
Internationale Hilfsorganisationen weisen darauf hin, dass Brasilien trotz des Verbots
eine der höchsten Abtreibungsraten der Welt hat: Nach Angaben des Gesundheitsministers
rund 1,5 Millionen Eingriffe pro Jahr. Das Parlament debattiert derzeit über einen
Gesetzesentwurf, der Abtreibung bis zur zwölften Woche erlauben soll. Bei Vergewaltigungen
soll eine Obergrenze von maximal 20 Wochen gelten.
„Es geht hier nicht um
eine rein religiöse Frage“, sagt Kardinal Scherer – „das geht alle an. Auch
das Leben der Nichtchristen ist wichtig und muß in jeder Phase respektiert werden.
Und auch, wer nicht an Gott glaubt, muss das Leben der anderen respektieren. Hier
geht es nicht um Religion, sondern um Ethik. Es muss doch auch mal deutliche Worte
für das Leben geben, wo heutzutage doch sonst alle dem vorzeitigen Abbrechen des Lebens
das Wort reden...“