Im Kreuzfeuer: Gemischte Gefühle im und für den Kosovo
Kosovo ist unabhängig.
Einseitig erklärte die Region an der Grenze zu Albanien am 17. Februar die Unabhängigkeit.
Um 15 Uhr 50 verlas Fatmir Sejdiu das entsprechende Dekret. Serbien sprach von einem
unbegreiflichen Schritt, bar jeder Rechtsgrundlage. Mit sehr gemischten Gefühlen wird
die Unabhängigkeitserklärung in der orthodoxen Kirche verfolgt. Der Heilige Stuhl
ist zurückhaltend in der politischen Debatte, Papst Benedikt rief zu Besonnenheit
und gegenseitigem Respekt. Das aktuelle „Kreuzfeuer“ von Birgit Pottler liefert
Hintergründe.
Auszüge daraus:
Schrittweise in die EU Das
Vorgehen Kosovos sei nicht normal, kritisierte der Außenamtsleiter des Moskauer Patriarchats.
Es könne die Welt- und Europapolitik auf die Zeit vor und nach der Kosovo-Frage teilen,
sagt Metropolit Kyrills. Der etablierte Weltkonsens nun gebrochen. In der Tat: Die
USA waren und sind für die Unabhängigkeit, Russland und China dagegen. Serbien zieht
seine Botschafter aus Ländern ab, die den Kosovo als Staat anerkennen. Szenarien,
die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs der Vergangenheit anzugehören schienen. Doch
EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering will keine weltpolitischen Kriegszenarien
heraufbeschwören: „Mein Eindruck ist, dass die Botschafter zur Berichterstattung
nach Belgrad gebeten worden sind. Meine Empfehlung an die serbischen Partner ist,
dass sie die Botschafter auch von anderen Ländern, die den Kosovo anerkennen, nicht
dauerhaft abziehen, sondern nur zur Berichterstattung, was ja durchaus verständlich
wäre. Aber die Botschafter sollen ihre Arbeit in den Hauptstädten dann wieder aufnehmen,
in denen sie Aufgaben wahrzunehmen haben.“ Das Europäische Parlament hatte
am Mittwoch eine ausführliche Debatte zur am Sonntag erfolgten Unabhängigkeitserklärung
des Kosovo geführt. Die Europaabgeordneten bezeichneten diesen Schritt mehrheitlich
als unausweichlich, riefen gleichzeitig aber zu Besonnenheit auf beiden Seiten auf. „Wir
müssen den Serben sagen, dass sie natürlich jetzt in einer schwierigen Situation sind,
und dass wir natürlich auch für die serbische Position Verständnis haben. Wir müssen
auch sagen, dass die serbische Zukunft in der Europäischen Union liegt, ebenso wie
die Zukunft des Kosovo. Aber das ist natürlich ein weiter Weg. Es ist jetzt wichtig,
dass wir Sympathie gegenüber beiden Seiten zum Ausdruck bringen.“ Sympathie
alleine reiche zwar nicht, sei aber ein wichtiger Bestandteil der politischen Psychologie. „Ohne
eine solche positive Haltung gegenüber Serbien und dem Kosovo werden die Dinge sich
schwer entwickeln. Jetzt muss man ein konkretes Angebot gegenüber Serbien machen,
in Schritten an die Europäische Union zu kommen, und die Serben sollten bereit sein,
diese Angebote zu akzeptieren.“
Kosovo als Zentrum Serbiens Seit
Entstehen des serbischen Staates um 1300 war das Kosovo fester Bestandteil des serbischen
Staates. Ein geschichtlicher Abriss - auch um die ersten Funken des Kreuzfeuers nachzuvollziehen:
Am
28. Juni 1389, in der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo polje) war das serbische
Heer und seine Verbündeten unter der Führung von Fürst Lazar den türkischen Truppen
unterlegen. Kosovo, das Zentrum des mittelalterlichen serbischen Reiches, geriet im
Jahre 1455 endgültig unter osmanische Herrschaft. Die Einnahme Kosovos 1912 wurde
von den Serben als Wiedergutmachung eines historischen Unrechts empfunden. Nach den
Balkankriegen von 1912/1913 wurde Kosovo in den serbischen Staat eingegliedert und
kam 1918 als Teil Serbiens zum Königreich der Serben Kroaten und Slowenen, dem späteren
Jugoslawien.
Mit der Entwicklung des Patriarchats von Pesch 1346 lag im
Kosovo auch das kirchliche Zentrum Serbiens. Niederlage und der Tod des Fürsten Lazars
wurden zum Kern serbischer Erinnerung. Das betont der langjährige deutsche Europa-Bischof
Josef Homeyer: „Lazar wird als Märtyrer für das Reich Gottes außergewöhnlich
verehrt und gilt im historischen Bewusstsein des serbischen Volkes gleichsam als Stifter
der serbischen Identität, die das serbische Volk während der 500-jährigen Osmanenherrschaft
immer wieder aufgerichtet und zusammengehalten hat.“ Die Lazar-Verehrung und
der sich um den Fürsten rankende Mythos gehören auch zu den geistigen Grundlagen für
die Wiedererrichtung des serbischen Staates nach dem Zerfall des Osmanenreiches zu
Beginn des 18. Jahrhunderts, sagt Hohmeyer. „Entsprechend hat es im Kosovo hunderte
von serbisch-orthodoxen Klöstern gegeben, und es gibt ja auch heute noch über 400
serbisch-orthodoxe Klöster im Kosovo, die die reiche geistliche Tradition Serbiens
weiter tragen.“
„Auf der anderen Seite muss man einfach sehen, in
den 500 Jahren osmanischer Herrschaft sind immer mehr muslimische Albaner in den Kosovo
gekommen, ob freiwillig oder gezwungen. Als in den Balkankriegen 1912/13 Kosovo wieder
dem serbischen Staat eingegliedert wurde, war die Bevölkerung des Kosovo inzwischen
mehrheitlich muslimisch-albanisch. Es war unglücklich, dass es dann zu zunehmenden
Ausgrenzungen, Verdrängungen der muslimischen Albaner kam. Das führte zu Protesten,
Aufständen und Unabhängigkeitsbestrebungen der muslimischen Albaner im Kosovo. Als
es dann 1999 unter Milosevic zu massiven Gegenmaßnahmen und schließlich zur Vertreibung
der Albaner kam, intervenierte bekanntlich die NATO, das Kosovo wurde zum Protektorat
der UNO.“ Wie viele Vertreter katholischer Organisationen in den in den vergangen
Monaten ruft Hohmeyer zum Schutz der serbischen Minderheit und wirbt um Verständnis
für beide Seiten. „Zusammengefasst: Einerseits verständlich, dass Serbien das
für seine Identität so ungemein bedeutsame Kosovo nicht aufgeben will. Andererseits
muss man aber sehen, dass die Bevölkerungsmehrheit der muslimischen Albaner im Kosovo
sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit den Serben von Serbien bedroht fühlt
und auf Unabhängigkeit drängt, ja besteht.“