Es war eine Premiere:
Der päpstliche Laienrat hat vergangene Woche den ersten internationalen Kongress seiner
Geschichte zum Thema Frauen in Kirche und Gesellschaft veranstaltet. Die Erwartungen
waren hoch. „Etwas abgehoben“, „viel Anthropologie, wenig Praxis“, „mehr christlicher
Mut in der Auseinandersetzung mit heutigen Denkströmungen“, „mehr Laien-Frauen
auf dem Podium anstelle von Schwestern und konsekrierten Jungfrauen wäre schön gewesen“
– solche Anregungen konnte man von manchen Teilnehmerinnen entgegennehmen. Der Kongress
„Frau und Mann, die Menschheit als Ganze“ war angelegt als Reflexion 20 Jahre nach
dem päpstlichen Lehrschreiben „Mulieris Dignitatem“ über die Würde der Frau. Einen
Mittelpunkt dieser philosophischen Überlegungen bildete die christliche Opposition
zur so genannten Gender-Theorie.
„Wir haben seit der Weltfrauenkonferenz
in Peking den Begriff Gender in der europäischen und weltweiten Politik implementiert“,
erklärt Susanne Kummer, die Gesandte der österreichischen Bischofskonferenz.
„Der Begriff betont, dass es zum einen als Gegensatz zum biologischen Geschlecht,
der im Englischen mit dem Begriff Sex bezeichnet wird, eben ein soziokulturelles Geschlecht,
also die Erwartungshaltungen, die Rollen, die man als Mann oder Frau einnehmen soll,
lernt abzugrenzen, besser zu definieren, und der wird bezeichnet mit dem Begriff Gender.“
Seit
mindestens zehn Jahren ist die Gender-Theorie Bestandteil aller geistes- und sozialwissenschaftlichen
Studiengänge an westlichen Universitäten. Die neue akademische Generation wächst mit
dem Gender-Begriff auf. Das heißt auch, dass der Begriff dauernd in Entwicklung ist
und in einer großen Bandbreite gebraucht wird.
„Die derzeit dominante scheint
mir ist jene, die für eine völlige Aufhebung der Geschlechter plädiert und überhaupt
das biologische Geschlecht für irrelevant erklärt, was soweit geht, dass manche Theoretikerinnen
der Gendertheorie meinen, dass auch das biologische Mann- und Frausein bloß ein soziokulturelles
Konstrukt sei. Ich glaube, da geht man zu weit, da ist es eine Aufgabe, das Pendel,
das zu weit ausgeschlagen ist, etwas in die Mitte zurückzuführen, was Aufgabe einer
christlichen Anthropologie wäre.“
Genau das hätte, meint Susanne Kummer,
auch Inhalt des vatikanischen Frauenkongresses sein können. Ihr und anderen schienen
allerdings die Berührungsängste mit der Gender-Theorie von vatikanischer Seite aus
zu groß. Dabei ist der Begriff eine Herausforderung für die Christen, erklärt die
Philosophin Sr. Cristiana Dobner.
„Ich denke nach, ich nähere mich an –
aber ich bin noch nicht zu Lösungen gekommen, höchstens zu Entwürfen. Zunächst muss
man die Ursprünge des Genderbegriffs untersuchen, denn Gender bedeutet in jeder Nation
etwas anderes. Diese Untersuchungen müssen aber immer in einer Dialektik mit dem Evangelium
stehen und mit dem Menschenbild, das uns dort entgegentritt. Meiner Meinung nach muss
man das in Angriff nehmen. Ich weiß nicht, zu welchen Schlüssen uns das bringen wird.
Aber eines weiß ich sicher: dass die Geschlechter-Identität aus dem Evangelium auch
von dieser Auseinandersetzung mit der Gendertheorie bestärkt und erleuchtet werden
kann – vorausgesetzt, man führt sie nicht durch, weil sie en vogue sind. Die Gendertheorie
ist entschieden en vogue! Daher riskieren wir, uns von einem Teilaspekt in beschlag
nehmen zu lassen und die Wurzeln aus dem Blick zu verlieren. Ich plädiere dafür, an
die Gendertheorie ohne Vorurteile, aber mit wachsamem Blick heranzugehen.“
Susanne
Kummer: „Es gibt blinde Flecke dieser Theorie, die dringend aufgearbeitet
werden müssen. Das eine ist, dass in der Gendertheorie der Mensch konzipiert ist als
ein allein fliehendes Atom im Universum, ohne Bindungen. Keine Bindung durch Vorgabe
der Natur, alles selbst konstruiert. Das ist ein Schwachpunkt. Das entspricht nämlich
nicht der Lebensrealität. Deshalb findet sich – das ist dann der zweite Punkt – der
blinde Fleck Vaterschaft und Mutterschaft. Sie werden im Rahmen der Gendertheorie
das Thema Elternschaft kaum in den Dokumenten behandelt finden. Das halte ich für
ein großes Manko.“
Noch etwas können und sollen christliche Denker, sagt
Susanne Kummer, in der Debatte um kulturelle Zuschreibungen von Frauen- und Männerrollen
einbringen: das rechte Maß zwischen einer Unter- und einer Überbewertung des menschlichen
Leibes.
„In der Gendertheorie findet eher eine Unterbewertung des Leibes
statt, indem man ihn quasi für nicht relevant, für sinnlos hält. Wir erleben aber
in einer stark naturwissenschaftlich geprägten Kultur leider auch die umgekehrte Tendenz,
dass aufgrund biologischer Daten gleichsam Rollenfixierungen zugeschrieben werden,
unter Schlagwörtern wie „Die Macht der Gene“ – also eine Art von biologischem Determinismus.
Da ist der christliche Ansatz für mich ein Lösungsansatz, diese Spannung auszuhalten
zwischen Naturwesen und UND Kulturwesen. Wir sind beides, dh wir gestalten unser Leben,
aber nicht einfach aus dem Nichts heraus, sondern es gibt Vorgaben, die Aufgaben sind.“
Dass Frauen in vielerlei Hinsicht andere Bedürfnisse haben als Männer, ist eigentlich
noch immer nicht genug Gegenstand der Gender-Forschung, merkt Susanne Kummer an. Beispiel:
Flüchtlingspolitik. Immerhin, die UNO propagiert hier mittlerweile einen frauenspezifischen
Ansatz, weil Frauen verwundbarer sind als Männer. Anderes Beispiel: Medizin.
„Wir
wissen, dass in der Medikamentenforschung für klinische Studien zu 90 Prozent Männer
als Probanden genommen werden. Frauen lässt man lieber draußen beim Testen von Medikamenten,
weil hier zu wenig Konstanz da ist, weil sie ausfallen oder schwanger werden können,
und weil sie einen Biorhythmus mit Auf und Ab haben. Die lässt man lieber weg und
nimmt nur die linear gebauten, anstatt zu sagen, die Welt IST nun einmal nicht nur
linear, sondern mit Auf und Ab und linear, also Mann und Frau gemeinsam.“
Die
Christen, regt Susanne Kummer an, müssten sich hier geistig mehr anstrengen,
„dem
Genderbegriff jetzt nicht einfach seinen Lauf zu lassen und von verschiedenen Ideologien
füllen zu lassen, die glaub ich nicht zum Wohl des Menschen sind, aber sehr wohl im
Sinn von “prüft alles, behaltet das Gute“ die Ansätze durch diese gleichzeitige Betrachtung
von Mann und Frau oder die Verschiedenheit der Bedürfnisse besser zu beleuchten. Das
sollten wir in einer christlichen Anthropologie und auch Politik mit hinein nehmen.“
Stichwort Politik: Davon war beim vatikanischen Frauenkongress wenig zu
hören. Allein die frühere Vize-Außenministerin Finnlands, Janne Haaland Matlary, durfte
aus der Praxis einer frauen- und familienfreundlicheren Gesellschaft – der skandinavischen
– berichten. Sie regte ihre Mit-Vortragenden übrigens bei der Gelegenheit an, nicht
so viel zu jammern. Das sei nämlich nicht katholisch. Viele Teilnehmerinnen hätten
sich vom und im vatikanischen Frauenkongress konkretere gesellschaftliche Aussagen
gewünscht, aber auch eine Standortbestimmung für ihre Zukunft in der Kirche. Chantal
Götz, Geschäftsführerin der Luxemburgischen Fidel-Götz-Stiftung, die den Kongress
mitfinanziert hat:
„Die Frauen kommen nur zu einer bestimmten Stufe – das
ist klar. In Amerika sprechen sie gern von Frauen als Priester, und ich denke, das
ist für uns nicht das Grundproblem. Aber man könnte mehr dazu beitragen, Frauen in
gewissen Entscheidungspositionen zu fördern. Wir haben viele talentierte katholische
Frauen, die in Entscheidungsfragen mehr beitragen könnten. Das müsstedie Kirche, die
Hierarchie sich auf die Fahnen schreiben.“
Papst Benedikt XVI. empfing
die Teilnehmerinnen des Kongresses am Samstag in Audienz. Dabei kritisierte er abermals
einen gesellschaftlich immer noch verbreiteten Chauvinismus. Manche Kongressteilnehmerin
fand freilich, auch in der Kirche sei das Denken aus ausschließlicher Männersicht
noch allzu sehr verbreitet. Die Philosophin Sr. Cristiana Dobner:
„Das
stimmt, und davon war jeweils bei Tisch und in den Kaffeepausen die Rede. Wir stellen
uns hier nicht gegen Priester oder Bischöfe, sondern sagen ganz klar: Sprecht mit
uns. Wir sind Teil der lebendigen Kirche! Und gesteht uns das nicht aus einer Perspektive
des Mächtigen zu. Macht uns Platz, um unsere weibliche Persönlichkeit in der Kirche
zu leben.“
Ist es eine Generationenfrage, wollen wir von Sr. Cristiana
wissen? Die Philosophin nickt.
„Langsam ändern sich die Dinge. Wenn nicht
in dieser Generation, dann in der nächsten.“
Deshalb war der vatikanische
Frauenkongress, im Rückspiegel betrachtet, ein Erfolg. Er diente dazu, die Frauenfrage
auf höchster kirchlicher Ebene im Gespräch zu halten. (rv 13.02.2008 gs)