D: Marx als „politischer Bischof" in München eingeführt
Reinhard Marx ist
an diesem Samstag in sein Amt als Erzbischof von München und Freising eingeführt worden.
Weil die Botschaft der Menschwerdung Gottes allen Menschen gelte und in die Mitte
der Gesellschaft gehöre, müsse sich die Kirche „gesellschaftlich und politisch einmischen“,
betonte der 54-Jährige in seiner ersten Predigt als Oberhirte des wichtigsten bayerischen
Bistums.
„Weil Du, verehrter Bruder, die erforderlichen Fähigkeiten
besitzt und als Bischof von Trier schon Erfahrung in der Leitung einer Diözese hast,
wurdest Du für geeignet befunden, dieses Amt zu übernehmen und es fruchtbringend auszuüben“,
verlas Dompropst und Weihbischof Engelbert Siebler aus der päpstliche Ernennungsurkunde,
im Original handschriftlich abgefasst und auf Latein. Bei dem Festgottesdienst im
Münchner Liebfrauendom wurde Marx von seinem unmittelbaren Amtsvorgänger, Kardinal
Friedrich Wetter, und dem Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude
Périsset, zum Bischofssitz geleitet. Wetter überreichte ihm den barocken Bischofsstab
von 1700, sonst verwahrt im Domschatz. Um 9 Uhr 57 ließ Marx sich auf der Kathedra,
dem antiken Lehr- und Richterstuhl nachempfunden, nieder. Erst damit ergriff er offiziell
von seinem Erzbistum Besitz. Vertreter aller Stände, Bischöfe, Priester, Ordensleute
und Laien versprachen ihm Treue im Dienst.
Damit ist Marx nun Oberhirte
von 1,8 Millionen Katholiken in 755 Pfarrstellen. 1.200 Priestern, rund 2.800 Ordensschwestern
und 890 Ordensmänner wirken in seiner Ortskirche. Der Etat des Erzbistums betrug im
Jahr 2006 mehr als 400 Millionen Euro. Marx ist der 73. Nachfolger des Hl. Korbinian,
der als Wanderbischof im 8. Jahrhundert den Glauben nach Altbayern brachte. Seit Franziskus
von Bettinger (1909 bis 1917) ist der Münchner Bischofsstuhl mit der Kardinalswürde
verbunden. Marx wird also wohl zum nächsten Konsistorium nach Rom reisen. Bereits
am kommenden Fest Peter und Paul erhält er aus der Hand seines Vorvorgängers in München
das Pallium als Zeichen der besonderen Verbindung der Erzbischöfe zum Papst in Rom.
Der Westfale ist jetzt gleichzeitig geborener Vorsitzender der Freisinger Bischofskonferenz
und damit oberster Vertreter des Katholizismus in Bayern. Zwei Drittel der Bevölkerung
im größten deutschen Bundesland sind katholisch.
In der modernen Gesellschaft
sei Religion präsent und fänden religiöse Fragen und Auseinandersetzungen verstärkt
Interesse, sagte Marx in seiner ersten Predigt. Er sei dankbar dafür, dass die Diskussion
um Glaube und Religion auch in den Medien große Aufmerksamkeit finde. „Ist das
nicht alles etwas übertrieben? Ist ein katholischer Bischof in dieser Kirche noch
von so großer Bedeutung?“ Doch Religion, die Frage nach dem Sein, verschwindet
nicht, betonte der Sozialethiker. Eine Feier wie diese, sei daher niemals bloßer Personenkult
oder Selbstdarstellung der Kirche: „Die Festlichkeit in diesen Tagen, aller Glanz
der Liturgie, ja auch der Bischof selbst, ist Mittel zum Zweck. Die Kirche selbst
versteht sich als ein Zeichen, Werkzeug und Instrument, damit den Menschen geholfen
werde, Gott zu suchen und zu finden, die Frage nach Gott neu zu stellen.“ Ohne
diese Überzeugung sei auch kein interreligiöser Dialog möglich, so Marx. Als neuer
Bischof stehe er in dieser Verpflichtung. Marx’ Bischofspruch stammt aus dem 2. Korintherbrief:
„Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.“ Auch diese Überzeugung kam in der
ersten Predigt zu Gehör: „Und wenn der Mensch frei sein soll, kann sich Gott nicht
aufzwingen mit Gewalt, sondern er muss einen Weg gehen, die Freiheit des Menschen
zu respektieren und zu fördern. … Er bindet sich an Menschen, die in voller Freiheit
den Weg des Glaubens gehen wollen, die von seinem Heiligen Geist gestärkt, eine neue
Familie Gottes bilden.““ In Interviews hatte Marx angekündigt, ein politischer
Bischof sein zu wollen. Auch am Samstag Morgen betonte er das gesellschaftliche und
öffentliche Engagement der Kirche: „Gerade in der Verkündigung des Menschgewordenen
Gottes bringt die Kirche das in die Gesellschaft, was Grundlage wahrer Humanität ist:
Der Mensch hat eine Würde, die nicht vom Menschen abhängt, die vielmehr von Gott selbst
gegeben ist. Und so muss sich ein Bischof und die Kirche in gewisser Weise politisch
und gesellschaftlich einmischen und zu Wort melden. Die Kirche ist nicht nur für sich
selber da. Ich empfinde meinen Dienst auch für alle Menschen, die in diesem Erzbistum
wohnen, für alle Menschen, die auf das Wort des Evangeliums hören möchten.“ Die
Kollekte während des Festgottesdienstes gab erstes Zeugnis seines Engagements: Sie
soll zur Resozialisierung straffällig gewordener Jugendlicher beitragen.
Mehr
als 56 Bischöfe waren zur Amtseinführung gekommen, Vertreter aus Ökumene, Politik
und Gesellschaft. Der erste neue Erzbischof nach einem Vierteljahrhundert war nicht
nur einen Stabwechsel, sondern bedeutet auch einen historischen Einschnitt. Marx:
„Jeder Bischof ist durch Persönlichkeit und Charakter verschieden, aber die Sendung
ist dieselbe. … Als neuer Erzbischof von München und Freising werde ich sicher nicht
allen Erwartungen entsprechen können und dürfen.“ Wie eine Antwort wirkte das
Grußwort von Kardinal Karl Lehmann, rund eine Woche vor seinem Abschied als Vorsitzender
der Deutschen Bischofskonferenz: „Erzbischof Reinhard bringt viele Gaben in diesen
Dienst mit. Er ist bestens vorbereitet für die Aufgaben, sowohl in der Kirche als
auch für unser vielfältiges Zeugnis in der Gesellschaft. … Mit seiner Offenheit und
seiner Lebensfreude, seiner Bodenhaftung und seiner Menschlichkeit wird er auch als
Westfale schnell einen Zugang zu den Menschen in Bayern gewinnen.“ Seine ökumenische
Offenheit und Kompetenz sei auch im Blick auf den für 2010 in München geplanten 2.
Ökumenischen Kirchentag wichtig.
Vor dem Dom warteten Schützenabordnungen
aus Bayern, Westfalen und Rheinland-Pfalz. Ein Festzug führte zur Residenz und einem
Empfang mit dem Ministerpräsidenten. Der erste öffentliche Auftritt für den sozial-politischen
Bischof. Am Freitag hatte er den laut Bayern-Konkordat von 1924 vorgeschriebenen Treueid
auf die bayerische Verfassung abgelegt. Dieser Staatskirchenvertrag räumt dem Freistaat
auch ein indirektes Mitspracherecht bei der Ernennung eines Erzbischofs ein – in der
Regel jedoch reine Formsache.