„Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig?" - der Wochenkommentar
von Paul Kirchhof
Kürzlich hat mir ein Freund seine moderne Fabrik gezeigt, in der die Waren – es ging
um Autozubehör – fast ausschließlich von Computern und Robotern produziert wurden.
Er sprach von der menschenlosen Fabrik. Ich habe ihn dann gefragt, wer denn den Gewinn
aus dieser Fabrik erhalte. Und seine Antwort war: Selbstverständlich der Eigentümer,
der die Computer und Roboter finanziert hat und deswegen Rendite erwartet. Diese Antwort
war nicht überraschend. Sie entspricht unserem geltenden System. Aber sie zeigt uns
auch ein grundsätzliches Problem, dass wir schon seit Gerhard Hauptmanns „Die Weber“
kennen.
Damals wurden die Handweber überflüssig, weil die Maschinenwebereien
feinere und verlässlichere Webstoffe herstellen konnten. Die Menschen waren plötzlich
arbeitslos, weil der technische Fortschritt eine bessere Form der Produktion hervorgebracht
hatte. Nun werden wir auch heute den technischen Fortschritt nicht aufhalten können,
und vor allem nicht aufhalten wollen. Wie verstehen ihn als Chance. Er gibt uns die
Möglichkeit, die menschliche Hand von der Arbeit zu entlasten und die Fülle der Arbeit,
die wir in Deutschland und Europa haben und kaum bewältigen können, zu leisten: In
der Wissenschaft und Forschung, bei Schule und Ausbildung, bei der Erziehung der Kinder,
der Begleitung der Jugendlichen, der Betreuung der Alten, bei der Entfaltung des religiösen
Lebens, bei Umweltschutz und Erhaltung der Schöpfung.
Wir haben auch viel
Geld, das diese Arbeit bezahlen könnte. Beim Geld empfinden wir allerdings immer,
dass es zu wenig sei. „Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig?“
Diese berühmte Frage von Nestroy macht uns bewusst, dass die Knappheit des Geldes
eine Bedingung seines Wertes ist. Das Streben nach Geld ist grenzenlos. Geld in eigener
Hand ist Anlass für Zufriedenheit, Geld in fremder Hand eher Anlass für Argwohn. Geld
in eigener Hand nennen wir Kapital, Geld in fremder Hand nennen wir Kapitalismus,
wir distanzieren uns. Eigenes Geld spricht für den wirtschaftlichen Erfolg, für Freiheitskraft
und Bürgerstolz. Fremdes Geld hingegen veranlasst den scheelen Blick, bedrängt uns
in der Frage, warum der andere und nicht ich selbst über das Geld verfüge.
Wir
müssen in der gegenwärtigen Situation über neue Regeln nachdenken, wie die Geldströme
zu organisieren seien. Wir brauchen ein fundamental neues Denken, das neue Verteilungsregeln
hervorruft. Wir können etwa daran denken, dass in der Genossenschaft der Kapitalgeber
und der Kunde identisch sind, dass also derjenige, der das Auto kauft, dann zugleich
im Kapital beteiligt ist bei der Produktion dieses Autos. Wir müssen die Kapitalbeteiligung
in Arbeitnehmerhand viel breiter streuen und viel elementarer, viel langfristiger
bedenken. Wir müssen das geistige Eigentum, das Wissen der Menschen, eine seiner schönsten
Tugenden, auch juristisch neu zur Entfaltung bringen. Wir müssen Alterssicherungssysteme
vielleicht auf die technische Produktion umstellen. Und dann werden sich die Menschen
wieder um mehr Geld bemühen, dann werden wieder Unterschiede entstehen – die sollen
auch in Freiheit entstehen – aber wir werden keinen ausgrenzen, es wird keiner fundamental
verarmen.
Und damit stellt sich die Frage, wer die Kraft zu solch elementaren
neuen Rechtsstrukturen hat. Wer berät die Demokratie, wer gibt ihr einen Impuls, damit
sie diese neuen Aufgaben bewältigen kann? In dieser Frage liegt erneut die These,
dass eine freiheitliche Demokratie ohne das Religiöse nicht denkbar ist. Wir brauchen
gerade jetzt die Verantwortlichkeit für den Nächsten, wir brauchen gerade jetzt den
Blick des Reichen auf den Armen, wir brauchen gerade jetzt soziale und ethische Maßstäbe
einer Verteilungsgerechtigkeit. Die Botschaften der Religion, der Kirche, sind aktueller
denn je.