2008-01-28 14:04:33

„Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig?" - der Wochenkommentar von Paul Kirchhof


Kürzlich hat mir ein Freund seine moderne Fabrik gezeigt, in der die Waren – es ging um Autozubehör – fast ausschließlich von Computern und Robotern produziert wurden. Er sprach von der menschenlosen Fabrik. Ich habe ihn dann gefragt, wer denn den Gewinn aus dieser Fabrik erhalte. Und seine Antwort war: Selbstverständlich der Eigentümer, der die Computer und Roboter finanziert hat und deswegen Rendite erwartet. Diese Antwort war nicht überraschend. Sie entspricht unserem geltenden System. Aber sie zeigt uns auch ein grundsätzliches Problem, dass wir schon seit Gerhard Hauptmanns „Die Weber“ kennen.

Damals wurden die Handweber überflüssig, weil die Maschinenwebereien feinere und verlässlichere Webstoffe herstellen konnten. Die Menschen waren plötzlich arbeitslos, weil der technische Fortschritt eine bessere Form der Produktion hervorgebracht hatte. Nun werden wir auch heute den technischen Fortschritt nicht aufhalten können, und vor allem nicht aufhalten wollen. Wie verstehen ihn als Chance. Er gibt uns die Möglichkeit, die menschliche Hand von der Arbeit zu entlasten und die Fülle der Arbeit, die wir in Deutschland und Europa haben und kaum bewältigen können, zu leisten: In der Wissenschaft und Forschung, bei Schule und Ausbildung, bei der Erziehung der Kinder, der Begleitung der Jugendlichen, der Betreuung der Alten, bei der Entfaltung des religiösen Lebens, bei Umweltschutz und Erhaltung der Schöpfung.

Wir haben auch viel Geld, das diese Arbeit bezahlen könnte. Beim Geld empfinden wir allerdings immer, dass es zu wenig sei. „Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig?“ Diese berühmte Frage von Nestroy macht uns bewusst, dass die Knappheit des Geldes eine Bedingung seines Wertes ist. Das Streben nach Geld ist grenzenlos. Geld in eigener Hand ist Anlass für Zufriedenheit, Geld in fremder Hand eher Anlass für Argwohn. Geld in eigener Hand nennen wir Kapital, Geld in fremder Hand nennen wir Kapitalismus, wir distanzieren uns. Eigenes Geld spricht für den wirtschaftlichen Erfolg, für Freiheitskraft und Bürgerstolz. Fremdes Geld hingegen veranlasst den scheelen Blick, bedrängt uns in der Frage, warum der andere und nicht ich selbst über das Geld verfüge.

Wir müssen in der gegenwärtigen Situation über neue Regeln nachdenken, wie die Geldströme zu organisieren seien. Wir brauchen ein fundamental neues Denken, das neue Verteilungsregeln hervorruft. Wir können etwa daran denken, dass in der Genossenschaft der Kapitalgeber und der Kunde identisch sind, dass also derjenige, der das Auto kauft, dann zugleich im Kapital beteiligt ist bei der Produktion dieses Autos. Wir müssen die Kapitalbeteiligung in Arbeitnehmerhand viel breiter streuen und viel elementarer, viel langfristiger bedenken. Wir müssen das geistige Eigentum, das Wissen der Menschen, eine seiner schönsten Tugenden, auch juristisch neu zur Entfaltung bringen. Wir müssen Alterssicherungssysteme vielleicht auf die technische Produktion umstellen. Und dann werden sich die Menschen wieder um mehr Geld bemühen, dann werden wieder Unterschiede entstehen – die sollen auch in Freiheit entstehen – aber wir werden keinen ausgrenzen, es wird keiner fundamental verarmen.

Und damit stellt sich die Frage, wer die Kraft zu solch elementaren neuen Rechtsstrukturen hat. Wer berät die Demokratie, wer gibt ihr einen Impuls, damit sie diese neuen Aufgaben bewältigen kann? In dieser Frage liegt erneut die These, dass eine freiheitliche Demokratie ohne das Religiöse nicht denkbar ist. Wir brauchen gerade jetzt die Verantwortlichkeit für den Nächsten, wir brauchen gerade jetzt den Blick des Reichen auf den Armen, wir brauchen gerade jetzt soziale und ethische Maßstäbe einer Verteilungsgerechtigkeit. Die Botschaften der Religion, der Kirche, sind aktueller denn je.

(rv 28.01.2008 ag / mc)








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