2008-01-26 09:57:52

Die Betrachtung zum Sonntagsevangelium


RealAudioMP3 Von Sr. Dr. Aurelia Spendel OP
Menschliches Versagen ist ein oft genannter Entschuldigungsgrund, wenn ein Unglück geschehen ist, das nicht hätte geschehen dürfen. Wenn ein Schaden entstanden ist, der vermeidbar gewesen wäre. Wenn Umstände eingetreten sind, an denen Menschen Anteil haben, für deren unglückliches Tun oder Lassen es jedoch nachvollziehbare Erklärungen gibt.

Menschliches Versagen kann bei jedem und bei jeder von uns zu finden sein. Denn wer wäre perfekt, hundert Prozent zuverlässig, allwissend, immer auf dem neuesten Stand, immer top in Form? Niemand, Sie nicht, ich nicht, Ihre Chefin nicht, nicht Ihr Mann, nicht Ihre Frau, nicht Ihr Hausarzt und Ihre Nachbarin auch nicht.

Wenn also etwas geschieht, das uns betrifft, etwas, an dem wir nicht unschuldig sind, das uns aber auch nicht in seiner ganzen Schwere und Bedeutung anzulasten ist – wie gehen Menschen damit um?

Die einen stecken den Kopf in den Sand: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Sich unsichtbar machen. Dann bin ich aus dem Schneider. Die anderen zeigen mit dem Finger: Der da, die da, die waren es. Die waren zumindest auch dabei. Nicht nur ich. Die Dritten zucken die Schultern: Da kann man nichts machen. Schicksal. Ist eben so. Und gehen zur Tagesordnung über.

Ist es menschliches Versagen, wenn die schöne, junge und dumme Salome auf ihre hasserfüllte Mutter Herodias hört und von ihrem Stiefvater Herodes den Kopf Johannes, des Täufers, fordert, als der König schwört, verzückt von diesem Mädchen, ihr alles, was sie will, zu Füßen zu legen? Oder ist es das Schicksal, dem Johannes nicht ausweichen kann und dessen todbringender Fortgang ihm klar ist, als er sich mit den Mächtigen im Namen Gottes anlegt? Wie auch immer, Johannes geht seinen Weg und sein Cousin Jesu geht ihn mit, aus der Ferne zwar, aber erschüttert und angerührt. Die Gefangennahme des Johannes kann und will er nicht mit einem bedauernden Kommentar versehen und danach so tun, als sei nichts gewesen. Sie geht auch ihn an – aber in welcher Weise? Was folgt für seinen eigenen Weg daraus? Was bedeutet es für ihn, dass der Rufer in der Wüste, der Herold des nahenden Gottesreiches nicht mehr predigen, nicht mehr taufen, nicht mehr öffentlich Position beziehen kann?

Als Jesus vom Kerkeraufenthalt des Johannes erfährt, zieht er sich zurück an den See nach Kafarnaum, wo er zu Hause ist. Er muss allein sein, geborgen, in Sicherheit. Dabei war es nicht nur die Gefangennahme des Täufers, die ihm zusetzte. Es war vielleicht auch noch Nachdenken notwendig über seine dreimalige Versuchung während des vierzigtätigen Aufenthaltes in der Wüste, deren Bedeutung ihm nun in einem neuen Licht aufging. Zeit der Stille, Zeit des Betens, Zeit der Trauer und Zeit der Entscheidung. Jesus weiß: Nun muss er Stellung beziehen. Jetzt ist seine Zeit gekommen.

Was hat seinen Entschluss zum Aufbruch in die Welt beeinflusst? Matthäus erzählt in seinem Evangelium nichts darüber. Seine Antwort auf diese Frage ist wie der Schatten eines Baumes, wie das Echo eines Rufes. Nicht direkt, nur gespiegelt und mittelbar legt der Evangelist eine Spur, wenn er die Vision des Propheten Jesaja zitiert:
Das Volk, das im Dunklen lebte, hat ein helles Licht gesehen. Denen, die im Schatten des Todes wohnten, ist ein Licht erschienen.

 
Das ist es! Das ist der ausschlagende Impuls. Von da an begann Jesus zu verkünden: Kehrt um! – so Matthäus. Jesus kann nicht schweigen, wenn der Täufer nicht mehr reden darf. Er kann sich nicht bewahren, kann diese Botschaft vom Reich Gottes nicht aufgeben, wenn der andere dafür in den Tod geht. Von da an begann Jesus zu verkünden, er, der Gottes Wort und Gottes Zeuge ist, redet und schweigt nicht mehr.

Die Botschaft Jesu entfaltet sich in einem inneren und in einem äußeren Dialog. Seine Worte sind auf die Menschen ausgerichtet, die sie hören und die ihnen folgen. Aber diese Worte stehen auch in einer inneren Beziehung zueinander, sie kommunizieren in sich. Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe – das ist der Ruf an alle. Kommt her, folgt mir nach – das ist die Berufung der intimen Freunde, der Jünger, unmittelbar nach dem Entschluss Jesu, öffentlich zu wirken. Umkehr und Berufung gehören zusammen. Nachfolge ist Ausdruck der Hinwendung zum Himmelreich. Wenn dieses Reich nahe ist, werden Menschen, Frauen und Männer, zu Menschenfischern werden. Damit Blinde sehen werden und Tote aufstehen, gibt es Menschen, die wie Licht in der Dunkelheit und wie Heilkraft in der Krankheit sind.

Es bleibt nicht bei den ersten vorsichtigen Anfängen. Nicht nur Petrus und Andreas werden gerufen, zwei Männer, die sich verstehen, zwei, die zusammenarbeiten können, Brüder mit einer gemeinsamen Geschichte, mit der gleichen Herkunft, der gleichen Sprache, der gleichen Religion. Auch andere werden angesprochen von diesem neuen Propheten aus Nazareth: zwei weitere Brüder, Jakobus und Johannes, auch sie eingebunden in einen Generationen alten Kontext, in die gleiche Verpflichtung, in die gleiche Arbeit. Donnersöhne, Heißsporne wie Petrus, die es den Menschen nicht leicht machen und sich selber wohl auch nicht. Menschliches Versagen wird es bei allen vieren geben, Verrat, Anspruchsdenken, Feigheit und Angst. Aber sie werden – so die Geschichte der ersten Christen nach Tod und Auferstehung Jesu – aufrecht als Blutzeugen sterben, so wie Johannes für seine Überzeugung starb und wie ihr Meister sterben wird. Aus dem ersten Anruf wird eine Nachfolgegemeinschaft geboren, die wie alle menschliche Gemeinschaft zwischen den einen und den anderen, zwischen Erfolg und Desaster, Reichtum und Not hin und her gehen muss. Und vor allem: Die immer wieder neu wird aufbrechen und die Netze und Boote, das Lebensnotwendige eben, wird verlassen müssen.

Menschliches Versagen und die Ungerechtigkeit des Schicksals werden nicht aus dieser Welt und nicht aus dem Lauf der Zeiten herauskatapultiert durch die, die sich anrühren lassen von den Blinden und den Todgeweihten. Sie werden nicht weggezaubert von denen, die berufen sind und die Menschen rufen ins Reich des Vaters. Menschliches Versagen und die Ungerechtigkeit des Schicksals werden bleiben, so lange es Tun und Lassen, geboren werden und sterben auf dieser Erde gibt. Aber sie können getragen und dürfen nicht verschwiegen werden. Ihnen soll Gerechtigkeit und aber auch Widerstand widerfahren. In allem Versagen und aller Ungerechtigkeit des Schicksals holt Gottes Leben, unter uns erschienen, aus den gewohnten Kontexten heraus und nimmt die einen wie die anderen in Dienst für das Evangelium.

Ich wünsche Ihnen einen ruhigen Sonntag, ohne menschliches Versagen. Einen gesegneten Sonntag, erfüllt vom Duft des Reiches Gottes. Einen heilenden Sonntag, getragen von der Gewissheit Ihrer eigenen einmaligen Berufung.

(rv 26.01.2008 mc)








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