Vatikan: Die Papstrede - ein Beitrag zur Debatte um die Wissenschaftskultur
Eigentlich sollte
es nur ein Grußwort werden, dann ist es aber doch zu einer richtigen Vorlesung geworden,
die Rede die Papst Benedikt XVI. für seinen Besuch an der römischen Universität Sapienza
vorbereitet hatte. Ausgehend von der mittelalterlichen Universität mit ihren vier
Fakultäten Medizin, Rechtswissenschaften, Philosophie und Theologie ging Benedikt
der Frage nach, wie der Beitrag von Philosophie und Theologie für den Wissenschaftsdiskurs
aussehen könnte. Wir haben mit Ludger Honnefelder gesprochen. Er ist emeritierter
Professor für Philosophie an der Universität Bonn und zuletzt auch Inhaber des Guardini-Lehrstuhls
an der Humboldt-Universität in Berlin. „In meinen Augen stellt die Vorlesung,
die er jetzt für die römische Universität geschrieben hat, einen deutlichen Schritt
über die Regensburger Vorlesung hinaus dar. In der Regensburger Vorlesung knüpft er
gewissermaßen an die Antwort der Kirchenväter an, und gegenüber dieser patristischen
Antwort, betont er jetzt unter Berufung auf Thomas von Aquin und die mittelalterliche
Auseinandersetzung eine Zuordnung von Vernunft und Glaube, dass gerade in der Perspektive
der Theologie auch die Philosophie und die Wissenschaften eine autonome Eigenverantwortung
haben, eine wissenschaftstheoretische Eigenständigkeit und arbeitet dann mit Blick
auf diese säkulare Autonomie die Bedeutung und Rolle der Theologie und des Glaubens
heraus.“ Benedikt insistiert darauf, dass es eine den Religionen eigene Art
von „Vernünftigkeit“ gibt. „Deswegen genügt es nicht zu sagen, die Religionsgemeinschaften
haben ihren Platz in der Gesellschaft. Der Papst will für das Christentum mehr beanspruchen.
Er beansprucht, dass der christliche Glaube auch eine akkumulierte Vernünftigkeit
ist im Sinne dieser Vernünftigkeit, die über Jahrhunderte hinweg gewonnen worden ist,
und dass man diese Vernünftigkeit nicht unter Berufung unter die allgemeinverbindliche
Vernünftigkeit beiseite schieben kann.“ Honnefelder hält die Rede für eine
notwendige Wortmeldung. „Es ist ein Beitrag zu einer Debatte, die es auch schon
unabhängig von der Theologie gibt, in Deutschland beispielsweise die Debatte um die
Rolle der Geisteswissenschaften an der Universität. Warum braucht die Universität
Geisteswissenschaften? Warum genügen die empirischen und mathematischen Wissenschaften
nicht? Wir werden die Frage der Tragweite und der Grenzen der naturwissenschaftlichen
Deutung der Welt weiterführen müssen. Und in dieser Debatte muss die Theologie eine
Stimme bekommen, und die Rede des Papstes ist da sicherlich eine Ermutigung.“ In
der Vorlesung Benedikts XVI. ist von der „Unruhe der Wahrheit“ die Rede, die den Menschen
treiben müsse. Nach Meinung von Professor Honnefelder ist derzeit aber noch ganz anderes
an den Universitäten am Gären. „Auch völlig unabhängig von der mahnenden Stimme
der Theologie oder der Kirche ist ja im Bereich der Wissenschaften eine gewisse Unruhe
am Werk. Und das hängt damit zusammen, dass das Projekt der Wissenschaften und der
wissenschaftlichen Forschung nicht mehr einfach aus sich selbst plausibel ist. Die
moderne Wissenschaften haben durch ihre technischen Anwendungen Folgen nach sich gezogen,
die nicht mehr einfach beherrschbar sind, und die alte Legitimation, dass Wissenschaft
zum Fortschritt verhilft, ist nicht mehr so ohne weiteres einleuchtend. Für viele
ist Wissenschaft zugleich eine komplexe Überforderung der Menschheit geworden mit
Folgen und Handlungsmöglichkeiten, die ihrerseits nicht mehr beherrschbar sind. Es
muss deutlich gemacht werden, wo der Sinn der Wissenschaft liegt. Der kann nicht alleine
in der technischen Verfügbarkeit liegen und er kann nicht im wirtschaftlichen Potential
liegen. Diese Frage nach dem humanen Sinn der Wissenschaften wird auf Dauer für die
Scientific Community ein ganz wichtiges Thema sein, damit Wissenschaft ihre hohe Legitimität
und Autorität behält.“ (rv)