Was ist Wahrheit?
Diese Grundfrage stellt Benedikt XVI. in dem nicht gehaltenen Vortrag an der römischen
Sapienza-Universität und betont gleichzeitig den laizistischen Charakter der Universität.
Er fragt auch: Was kann und soll der Papst in der Universität sagen? Die geplante
Ansprache wurde nach den Protesten gegen die Einladung des Papstes zur Eröffnung des
Akademischen Jahres an der Sapienza und der Absage Benedikts auf dessen Wunsch dem
Rektor der Universität übermittelt. Am späten Mittwoch Nachmittag veröffentlichte
der Vatikan den Text. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone hatte ausdrücklich betont,
der Text sei vom Papst persönlich vorbereitet worden. Der Wissenschaftler Benedikt
beleuchtet darin wie erwartet erneut den Zusammenhang von Glaube und Vernunft, betont
aber, dass er - anders als in Regensburg - an der römischen Universität in erster
Linie als Bischof von Rom sprechen sollte. Benedikt nimmt Abstand von kirchlichen
Fehlhandlungen im Laufe der Geschichte - ohne jedoch Namen wie Galileo Galilei oder
Giordano Bruno zu nennen.
Hier Kernsätze der Ansprache: „Der Mensch will
erkennen – er will Wahrheit. Aber Wahrheit meint mehr als Wissen: Die Erkenntnis der
Wahrheit zielt auf die Erkenntnis des Guten. Manches, was von Theologen im Laufe
der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von
der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute. Aber zugleich gilt, dass
die Geschichte der Heiligen, die Geschichte der vom christlichen Glauben her gewachsenen
Menschlichkeit diesen Glauben in seinem wesentlichen Kern verifiziert und damit auch
zu einer Instanz für die öffentliche Vernunft macht. Die christliche Botschaft
sollte von ihrem Ursprung her immer Ermutigung zur Wahrheit und so eine Kraft gegen
den Druck von Macht und Interessen sein. Die Gefahr der westlichen Welt – um nur
davon zu sprechen – ist es heute, dass der Mensch gerade angesichts der Größe seines
Wissens und Könnens vor der Wahrheitsfrage kapituliert. Und das bedeutet zugleich,
dass die Vernunft sich dann letztlich dem Druck der Interessen und der Frage der Nützlichkeit
beugt, sie als letztes Kriterium anerkennen muss. Von der Struktur der Universität
her gesagt: Die Gefahr ist, dass die Philosophie sich ihre eigentliche Aufgabe nicht
mehr zutraut und in Positivismus abgleitet; dass die Theologie mit ihrer an die Vernunft
gewandten Botschaft ins Private einer mehr oder weniger großen Gruppe abgedrängt wird. Aber
wenn die Vernunft aus Sorge um ihre vermeintliche Reinheit taub wird für die große
Botschaft, die ihr aus dem christlichen Glauben und seiner Weisheit zukommt, dann
verdorrt sie wie ein Baum, dessen Wurzeln nicht mehr zu den Wassern hinunterreichen,
die ihm Leben geben. Damit kehre ich zum Ausgangspunkt zurück. Was hat der Papst
an der Universität zu tun oder zu sagen? Er darf gewiss nicht versuchen, andere in
autoritärer Weise zum Glauben zu nötigen, der nur in Freiheit geschenkt werden kann.
Über seinen Hirtendienst in der Kirche hinaus und vom inneren Wesen dieses Hirtendienstes
her ist es seine Aufgabe, die Sensibilität für die Wahrheit wach zu halten; die Vernunft
immer neu einzuladen, sich auf die Suche nach dem Wahren, nach dem Guten, nach Gott
zu machen und auf diesem Weg die hilfreichen Lichter wahrzunehmen, die in der Geschichte
des christlichen Glaubens aufgegangen sind und dabei dann Jesus Christus wahrzunehmen
als Licht, das die Geschichte erhellt und den Weg in die Zukunft zu finden hilft.“