2008-01-05 14:08:08

D: Kirchhof, Familie geht vor


RealAudioMP3 Wahlrecht für Kinder, mehr Rente für Eltern, Ermunterung junger Leute zur frühen Familiengründung, Gratis-Kindergarten für alle: Das sind die Vorschläge von Paul Kirchhof zur Familienpolitik – die „wichtigste Frage gegenwärtiger Rechtsentwicklung“, wie der Verfassungsrechtler in unserem Kommentar der Woche festhält.

Wir beobachten, wir haben zu wenig Kinder, und wir haben zu wenig gut erzogene Kinder. Von dieser Frage hängt unser Zukunft ab. Wir hoffen auf ein Wirtschaftswachstum, aber Wachstum beginnt mit den Kindern. Wenn wir zu wenige Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben, zu wenig Erfinder oder Firmengründer, wird die Wirtschaft in Zukunft einen schmaleren Markt vorfinden. Wir hoffen auf die Sicherung unseres Alters, aber der Generationenvertrag braucht einen Schuldner. Braucht junge Menschen, die bereit und in der Lage sind, in 20 Jahren das zu leisten, was wir heute leisten, damit wir zur finanziellen Sicherung unseres Alters daran teilhaben können. Wir erwarten eine Zukunft für die Demokratie in Deutschland und in Europa, brauchen dafür aber Staatsvölker, also junge Menschen, die eine für die Demokratie notwendige Hochkultur mitbringen. Und wir setzen auf die Kontinuität unserer Kultur, der Wissenschaft und der Kunst, der Religion, der Sprache, der Verfassungsstaatlichkeit, müssen diese deshalb an Kinder, die ebenso denken, weitergeben können.

Die zentrale Frage also lautet, ob es uns gelingt, unsere Errungenschaften von Politik von Wirtschaft, Wissenschaft, Religion, Kunst und Sport an die nächste Generation weiterzugeben. Das setzte voraus, dass diese Jugend existiert, und dass die jungen Menschen gut erzogen sind. In dieser Aufgabe stehen wir vor einem Zielkonflikt. Erstens: die jungen Menschen wollen – das ist statistisch glücklicherweise belegt – Kinder. Zweitens: Die jungen Menschen, Mann und Frau, wollen berufstätig sein, um die Begegnung, die Anerkennung, das Einkommen zu erleben, das mit der Beruftätigkeit verbunden ist. Drittens wollen die Kinder die Zeit ihrer Eltern. Alle drei Anliegen sind berechtigt, lassen sich allerdings nicht so leicht harmonisieren. Deswegen müssen wir alle unsere Fantasie anstrengen, um diesen Rechts- und Wirtschaftsstaat so zu erneuern, dass das Kind wieder im Mittelpunkt der Gesellschaft steht.

Lassen Sie mich dazu vier praktische Konsequenzen nennen:

Erstens: In dieser Leistungsgesellschaft müssen wir die Leistungsträger wieder neu definieren. Brauchen wir mehr Autos? Mag sein. Brauchen wir mehr Computer? Eventuell. Brauchen wir mehr Kinder? Unbedingt! Die wichtigsten Leistungsträger sind die Eltern, und deshalb müssen wir diese Leistungsträger erkennen und – das entspricht unserer Gesellschaft – durch Teilhabe an den Einkommensströmen anerkennen. Wir müssen insbesondere diese Leistungsträger, also herkömmlich die Mütter, in Zukunft vielleicht auch mehr die Väter, in den Generationenvertrag bei der Rente, dem Grunde und der Höhe nach als Erste berechtigen, weil sie diesem Vertrag das Wichtigste, nämlich den Schuldner, gegeben haben.

Meine zweite Überlegung betrifft den Verlauf der Ausbildungs- und Erwerbsbiografie. Die jungen Menschen sind heute vielfach schon 30 Jahre alt, wenn sie erstmals vor der Frage einer Familiengründung stehen. Das ist viel zu spät. Der junge Mensch hat dann bereits zehn Jahre, vom 20. bis zum 30. Lebensjahr, also in der Phase der Selbstidealisierung, über den idealen Partner nachgesonnen und -gegrübelt und die Anforderungen immer höher definiert. Und nach zehn Jahren stellt er plötzlich fest: eine so wunderbare Frau, einen solchen Helden, wie ich es mir erhoffe, gibt es im Diesseits gar nicht. Und dann zieht er die Folgerung, dass er zwar eine Familie gründen wollte, der geeignete Partner sich jedoch nicht gefunden habe. Hier müssen wir unsere Ausbildungs- und Erwerbsbiografie überdenken und so organisieren, dass der junge Mensche etwa mit 17 Abitur macht, dann fünf Jahre studiert, mit 22 oder 23 eine Familie gründet und damit wieder freudig und beherzt das tut, was die Natur von ihm erwartet. Und anschließend sollten die Jungen Eltern, WEIL sie Kinder haben, bessere Chancen zur Fortbildung und am Arbeitsplatz erringen können.

Die dritte Erwägung betrifft das Wahlrecht. Demokratie lebt von dem Prinzip, ein Mensch – eine Stimme. Ein Kind ist ein Mensch! Ein Kind ist sogar der Mensch, der von der Politik von heute im Bildungswesen, bei der Umweltpolitik, in der Staatsverschuldung, noch 80 Jahre lang betroffen ist, während andere nur 50 oder zehn Jahre betroffen sein werden. Und warum sollte in diesem demokratischen System gerade der hauptbetroffene Mensch nicht wählen dürfen? Jeder Elternteil, Vater und Mutter, erhält pro Kind eine halbe Stimme dazu, übt dieses Stimmrecht in der geheimen Wahlkabine aus und gibt damit den Familien ein größeres Gewicht. Die Parteien werden sich wieder mehr auf die Familien ausrichten, weil dort Stimmen zu gewinnen sind.

Die letzte Überlegung schließlich betrifft die Durchlässigkeit von Beruf und Familie. Das beginnt mit familienfreundlichen Arbeitszeiten, fordert dann eine Fortsetzungsgarantie für den Elternteil, der um der Erziehung der Kinder willen das Erwerbsleben unterbrochen hat, nach Erfüllung des Erziehungsauftrags aber in seinen Beruf zurückkehren will. Das meint einen Kindergartenplatz für alle, unentgeltlich wie die Schule, das veranlasst behutsame Überlegungen zum Kinderhort für die Ein- bis Dreijährigen, wobei wir da allerdings nach Rat der Kinderpsychologen, der Gehirnforscher, der Kinderärzte, sehr vorsichtig sind, weil wir wissen, dass die Umstellung des Kindes auf eine Ersatzmutter, die sie dann persönlich wickeln, persönlich ernähren, jeden Gesprächsversuch persönlich beantworten muss, für das Kind eine Stresssituation bedeuten kann, die wir dem Kind nur zumuten, wenn dagegen keine fachlichen Bedenken bestehen.

Wir haben ein großes, ein dramatisches Grundsatzthema. Die Lösungsmöglichkeiten bieten sich an. Die Politik muss nachdenklich die Anliegen des Erwerbslebens und der Familie gegeneinander wägen und gewichten, vor allem aber die Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen.
(rv 05.01.2008 gs)








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