In einem "Appell von Neapel" verurteilen hochrangige Vertreter des Christentums und
der großen Religionen jede Gewaltanwendung im Namen Gottes als "ansteckende Krankheit"
und "Blasphemie". Dialog zwischen Konfessionen und Religionen dürfe Unterschiede nicht
einebnen, heißt es weiter in dem Text. Stattdessen trage der Dialog dazu bei, "Pessimismus
zu überwinden" und "im Anderen nicht länger eine Bedrohung zu sehen". Der Appell wurde
gestern Abend zum Abschluß des großen Religionsgipfels nach getrennten Gebeten der
Religionen auf einer großen Abschlußkundgebung im Zentrum von Neapel veröffentlicht. (rv
24.10.2007 sk)
Wir dokumentieren hier den "Appell von Neapel" in seiner
offiziellen deutschen Fassung.
"Aus vielen Teilen der Welt sind wir, Männer
und Frauen aus verschiedenen Religionen, in Neapel zusammen gekommen, um das Band
unserer Geschwisterlichkeit zu stärken und Gott um die große Gabe des Friedens zu
bitten. Der Name Gottes ist der Friede. In dieser besonderen Stadt am Mittelmeer,
der das Elend wie auch die Großzügigkeit gut vertraut sind, haben wir uns den Wunden
der Menschheit ausgesetzt. Die Gewalt ist eine Krankheit, die alles vergiftet. Täglich
begleitet und verdunkelt sie das Leben vieler Männer und Frauen dieser Erde. Sie bringt
Kriege, Terror, Armut und Verzweiflung hervor und führt zur Ausbeutung unseres Planeten.
Sie entsteht aus Verachtung und aus blindem Hass, sie lässt die Hoffnung sterben und
sät Angst, sie trifft Unschuldige und entstellt die Menschheit. Die Gewalt führt das
menschliche Herz in Versuchung und flüstert ihm ein: "Nichts kann sich ändern". Aus
diesem Pessimismus erwächst die Überzeugung, dass ein Zusammenleben unmöglich ist. Von
Neapel aus können wir heute mit größerer Kraft sagen: Wer den Namen Gottes missbraucht,
um andere zu hassen, Gewalt auszuüben oder Krieg zu führen, verflucht den Namen Gottes. "Keiner,
der den Namen Gottes anruft, darf das Böse und die Gewalt rechtfertigen". Mit diesen
Worten wandte sich Papst Benedikt XVI. an uns. Auf dem Hintergrund unserer religösen
Traditionen haben wir uns dem Schmerz des Südens der Welt gestellt. Wir haben die
Last des Pessimismus verspürt, ein Erbe der Kriege und der zerbrochenen Illusionen
des Zwanzigsten Jahrhunderts. Nur der kraftvolle Geist der Liebe kann uns helfen,
die gespaltene Menschheit neu zu vereinen. Die Stärke des Geistes verwandelt das Herz
des Menschen und die Geschichte. In der Tiefe unserer religiösen Traditionen haben
wir von Neuem entdeckt, dass es ohne Dialog keine Hoffnung gibt, sondern nur die Verdammung
zur Angst vor den Mitmenschen. Der Dialog räumt die Unterschiede nicht aus. Vielmehr
bereichert er das Leben und vertreibt den Pessimismus, der die anderen Menschen als
Bedrohung sieht. Der Dialog ist nicht die Illusion der Schwachen, sondern die Weisheit
der Starken, die sich der schwachen Kraft des Gebetes anvertrauen. Das Gebet verändert
die Welt und das Schicksal der Menschheit. Der Dialog schwächt nicht die Identität,
sondern ruft alle dazu auf, das Beste am Anderen zu sehen. Nichts ist verloren durch
den Dialog, alles ist möglich durch den Dialog. Wer immer noch tötet, Terror sät
und Krieg im Namen Gottes führt, dem sagen wir erneut: "Lasst ab davon! Tötet nicht!
Die Gewalt ist immer eine Niederlage für alle". Wir verpflichten uns, die Angehörigen
unserer Religion die Kunst des Zusammenlebens zu lehren. Es gibt keine Alternative
zur Einheit der Menschheitsfamilie. In allen Kulturen und allen Religionen sind mutige
Menschen nötig, die das Zusammenleben fördern. Wir brauchen eine Globalisiserung des
Geistes, die uns erkennen lässt, was wir aus den Augen verloren haben: die Schönheit
des Lebens und des Menschen, auch in den schwierigsten Situationen. Unsere religiösen
Traditionen lehren uns, dass das Gebet eine historische Kraft ist, die Völker und
Nationen bewegt. Demütig stellen wir diese alte Weisheit in den Dienst aller Völker
und aller Menschen für eine neue Zeit der Freiheit von Angst und Verachtung. Es ist
der Geist von Assisi, der sich hier in Neapel mit Kraft und Mut dem Geist der Gewalt
widersetzt und nicht zulässt, dass die Religion als Vorwand für Gewalt missbraucht
wird. In der Gewissheit, dass auf diesem Weg der Welt Frieden geschenkt werden
kann, vertrauen wir uns dem Höchsten an. Neapel, 23. Oktober 2007."