2007-10-19 14:35:00

Spanien: Zapatero und die Märtyrer. Eine Analyse der Nachrichtenagentur kipa.


498 "Märtyrer des spanischen Bürgerkriegs" werden am 28. Oktober in Rom selig gesprochen. So viele Märtyrer des spanischen Bürgerkrieges hat sogar Papst Johannes Paul II. gesamthaft nicht selig gesprochen – bei ihm waren es 468. Die in der Kirchengeschichte nahezu beispiellose Massen-Seligsprechung findet genau an jenem Tag statt, an dem Spaniens Sozialisten die Machtergreifung von Felipe Gonzales feiern. Gonzales wurde vor 25 Jahren zum Ministerpräsidenten ernannt. Ist die Terminkollision ein Zufall oder doch mehr, fragt die Nachrichtenagentur kipa in ihrer Analyse, die wir hier dokumentieren.

Das Aufeinandertreffen der beiden Termine verdeutlicht die Spaltung, die in der spanischen Gesellschaft immer noch zwischen der Rechten und der Linken besteht. Hinter Spaniens Rechten, der Erbin des diktatorischen Franco-Regimes, steht ein grosser Teil der katholischen Kirchenführung. Die Linke wird dagegen von derselben Kirche verabscheut.

Das Klima zwischen der spanischen Linken und der Bischofskonferenz hat sich zusätzlich verschlechtert, als der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero im April 2004 Ministerpräsident wurde. Mit der Massen-Seligsprechung stellt sich aber auch die Frage nach der demokratischen Überleitung nach dem Bürgerkrieg (1936-39) und dem Umgang mit der Erinnerung an ihn. "Nationalistische" Putschisten waren mit den Faschisten Mussolinis und Hitler-Deutschland verbündet und eilten General Franco zu Hilfe. Ihnen gegenüber standen im spanischen Bürgerkrieg die "Republikaner".

Wachsende Spannungen

Zapateros Regierung will mit einem Gesetz, über das am 30. Oktober
abgestimmt wird, die republikanischen Opfer des Bürgerkrieges und des
Franco-Regimes rehabilitieren. Die Kirche fordert demgegenüber die
Anerkennung der Märtyrer, die während des Bürgerkrieges im "Hass auf den
Glauben" verfolgt wurden.

Aufgrund des neuen Gesetzes müssten alle Symbole des Franco-Regimes von
staatlichen und öffentlichen Gebäuden entfernen weden. Das gleiche gilt für
Strassennamen. Zudem würden "privaten Eigentümern", darunter der Kirche, die
Subventionen entzogen, wenn sie diese Symbole nicht entfernen. Die
Massen-Seligsprechung vom 28. Oktober, hinter der längst nicht alle Spanier
stehen, verstärkt zusätzlich die Spannungen in dem Land.

"Es ist richtig, dass sich die Kirche in Spanien mit ihrer eigenen
Vergangenheit schwer tut. Und auch, dass es ihr noch nicht gelungen ist, die
Franco-Diktatur zu verurteilen, mit der sie während des Bürgerkrieges
gemeinsam auf Kreuzzug war", erklärte der baskische Priester José Luis
Aperribal vor einiger Zeit gegenüber der Presseagentur Kipa. Er verwies auf
18 Priester, die im Baskenland wegen ihrer Sympathien zu den Republikanern
erschossen worden waren: "Die Kirche verweigert ihnen heute noch ein
christliches Begräbnis."

Sieger und Besiegte

"Die Erinnerung der Sieger, die während der Franko-Diktatur die
absoluten Herrscher waren, nimmt immer noch einen herausragenden Platz ein,
wenn man sie mit jener der Besiegten vergleicht", sagt der spanische
Historiker Julián Casanova, der in Saragossa und New York Zeitgeschichte
lehrt. Casanova hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Titel "Die
Kirche Francos".

Santos Juliá, Historiker an der spanischen Fernuniversität Uned,
pflichtet ihm bei. Seiner Ansicht nach sollte man vom Reden über "Sieger"
und "Besiegte" abkommen, um ein gemeinsames Feld zu finden. "Wenn man aber
erneut von einer verfolgten Kirche spricht, wie es gegenwärtig die Führung
derselben Kirche tut, so führt uns dies in eine dunkle Vergangenheit
zurück." Mit ihrem Handeln giesse die spanische Bischofskonferenz Öl ins
Feuer.

In den Augen vieler Spanier belebt die anstehende Seligsprechung den
"Mythos" eines "wahren Spaniens" – jenes der Militärs und der Kirche im
Kampf gegen das Anti-Spanien "der Roten". Dieselben Überlegungen hätten die
spanischen Bischöfe dazu geführt, die Seligsprechung der spanischen Königin
"Isabella der Katholischen" (1451-1504) anzustreben, unterstreicht der
peruanische Soziologe Alvaro Castro.

Aus den zersplitterten spanischen Fürstentümern schuf Isabella, für
manche die "Mutter der spanischen Inquisition", die wohl bedeutendste Macht
des 16. Jahrhunderts. Sie vertrieb die Muslime nach knapp 800 Jahren
Besetzung von der iberischen Halbinsel und erhob den Katholizismus zur
Staatsreligion.

Alvaro Castro ergänzt: "Die gleiche Spaltung wie in Spanien finden wir
in Lateinamerika, wo der Klerus zum Nachteil der Basiskirchen dem immer
stärker präsenten Opus Dei angehört. Dies zur grössten Freude der Sekten."

Extreme Rechte wird hofiert

Diese Einschätzung wird durch eine Erklärung des Erzbischofs von
Pamplona (Navarra), Fernando Sebastián Aguilar, bestärkt. Im vergangenen
Mai hatte er erklärt, dass auch kleine Parteien der extremen Rechten, "die
der Soziallehre der Kirche treu sind", der "Achtung und Unterstützung"
würdig sein könnten.

Aguilar verwies unter anderem auf die "Phalange espagnole des Jons",
eine faschistische Bewegung, die durch José Antonio Primo de Riva, Francos
ideologischen Ratgeber, gegründet worden war. Franco schloss mit der
spanischen Kirchenführung vor siebzig Jahren einen "Blutpakt", welcher der
francistischen Sache diente.

Im vergangenen Juni riss der Erzbischof von Valencia, Agustin Garcia
Gasco, alte Wunden wieder auf, als er den Bau eines Heiligtums für die
"Märtyrer von Valencia" ankündigte. Damit soll die Erinnerung an jene 226
Einwohner Valencias wach gehalten werden, die während des Bürgerkrieges
Opfer des "Hasses gegen den Glauben" geworden waren und am 11. März 2001
durch Papst Johannes Paul II. selig gesprochen wurden. Das Heiligtum mit
einer Fläche von 3.233 Quadratmetern entsteht im Herzen der Stadt. Mit dem
Bau wurde bereits begonnen.

Die Rolle von Papst Johannes Paul II.

Im Buch "Opfer der Bürgerkrieges" schreiben mehrere Autoren, unter ihnen
Julián Casanova, die Kirche habe nicht damit aufgehört, Druck auszuüben, um
die Erinnerung an ihre Märtyrer wach zu halten. Dies sei nicht nur mit
Feiern zum Gedenken an die Toten und mit Denkmälern, sondern auch über
Seligsprechungen geschehen. Doch trotz Unterstützung durch die Francisten
musste die Kirche mehrere Jahrzehnte auf die Erfüllung ihrer Wünsche warten,
paradoxerweise bis nach dem Tod Francos (1975).

Offensichtlich widersetzte sich Papst Pius XII. wahllosen und massiven
Seligsprechungen. Diese Haltung nahmen auch seine Nachfolger Johannes XXIII.
und Paul VI. ein. Letzterer hatte übrigens angeordnet, dass laufende Selig-
und Heiligsprechungsprozesse eingestellt werden sollten. Unter Papst
Johannes Paul II. sollte sich das ändern.

Im März 1982 kündete Johannes Paul II. den spanischen Bischöfen an, er
werde sich für die Seligsprechung der "Märtyrer der religiösen Verfolgung"
einsetzen. Am 6. Oktober 2002 sprach der polnische Papst den Gründer des
Opus Dei, den Spanier Josemaria Escriva de Balaguer, heilig. Der schnellsten
Heiligsprechung der Kirchengeschichte war eine lebhafte Polemik
vorausgegangen. Der junge Escriva de Balaguer hatte den Bürgerkrieg als
Kampf zwischen Katholiken und Kommunisten erlebt, und letztere erschienen
ihm als Verkörperung des Bösen.

Niemand hindere die Kirche daran, ihre Märtyrer zu ehren, meinen die
Verfasser des Buches "Opfer des Bürgerkrieges". Doch: "Mit diesen
Seligsprechungen will Spaniens Kirche die Erinnerung an die Sieger des
Bürgerkrieges wach halten und dadurch das Land spalten. So demütigt sie
Zehntausende von Familien, die Opfer des Francismus wurden."

Mit rund 10.000 Vorschlägen für Seligsprechungen führe Spaniens Kirche
den "Katalog" der Märtyrer des 20. Jahrhunderts an, schrieb kürzlich die
spanische Tageszeitung "El Pais". Der Vatikan präzisierte gegenüber dem
Blatt: Es handle sich um genau 12.692 Märtyrer.



Separat 1:

Keine Stellungnahme der spanischen Bischöfe

Die spanische Bischofskonferenz will zu den Vorwürfen der beiden namhaften
spanischen Historiker Julián Casanova und Santos Juliá nicht Stellung
nehmen. Der Präsident der Bischofskonferenz, Ricardo Blazquez, Bischof von
Bilbao, liess Kipa über seinen Sprecher ausrichten, er habe nicht die
Absicht, in diese Debatte einzugreifen.

Das Sekretariat der Bischofskonferenz verweist jedoch auf einen
Hirtenbrief vom 1. Oktober. Darin mahnt der Bischof, man solle "die Märtyrer
weder mit den Soldaten verwechseln, die auf dem Schlachtfeld fielen, als sie
gegeneinander kämpften, noch mit den Opfern der politischen Repression, die
gnadenlos war". Die Märtyrer würden "gegen niemanden" seliggesprochen, und
dies geschehe auch nicht mit der Absicht, "alte Wunden aufzureissen".



Separat 2:

Kardinal kritisiert geplantes Gesetz der sozialistischen Regierung

Kardinal Carlos Amigo Vallejo, Erzbischof von Sevilla, hat das geplante
"Gesetz zur historischen Erinnerung" der sozialistischen Regierung Zapatero
hart kritisiert. Dieses wolle ausschliesslich "eine Ideologie fördern und
unter gar keinen Umständen die Versöhnung Spaniens". Das Schlimmste am
vorgeschlagenen Gesetz sei, dass dieses insofern eine "partielle Erinnerung"
darstelle, als es nur für eine Gruppe einstehe. In einer von der spanischen
Presseagentur Efe verbreiteten Erklärung sagte der Kardinal, er habe "den
Eindruck, jemand wolle einen Krieg gewinnen, den wir alle so schnell wie
möglich vergessen wollen". Er sei dafür, die Geschichte aufzuarbeiten, "aber
nicht zugunsten einer ideologischen Erinnerung".



Separat 3:

Christliches Netzwerk in Spanien kritisiert Seligsprechungen

Ein bedeutendes spanisches Netzwerk christlicher Basisbewegungen und
Gemeinschaften übt Kritik an der bevorstehenden Seligsprechung von 498
Märtyrern des spanischen Bürgerkrieges am 28. Oktober in Rom. Dem Netzwerk
gehören 147 Gruppen aus dem ganzen Land an.

Das Netzwerk fordert von den spanischen Bischöfen ein Schuldbekenntnis,
weil diese sich im spanischen Bürgerkrieg auf die Seite Francos schlugen.
Weil die katholische Kirche nicht um Vergebung gebeten habe, seien die
Seligsprechungen "unangebracht" und "diskriminierend". Sie zeugten von der
Unfähigkeit der Kirchenführung, auf ihre Positionen vor 70 Jahren
zurückzukommen.

In der von der Tageszeitung "El Pais" verbreiteten Mitteilung erinnert
das Netzwerk an die Opfer des Bürgerkrieges und an jene der nachfolgenden
Diktatur Francos. "Um eine Zukunft in Frieden aufzubauen, ist es notwendig,
dass die Parteien die eigenen Irrtümer eingestehen, die sie in diesen Krieg
geführten haben, und dass sie um Vergebung bitten." Das Netzwerk bedauert
auch die Haltung der Bischöfe gegenüber dem "Gesetz zur historischen
Erinnerung".

Dem Netzwerk gehören christliche Basisgemeinschaften, die Bewegung "Wir
sind Kirche", Arbeiterbewegungen, der Frauen- und Theologenbund und auch
Justitia et pax an.

(kipa)








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