Spanien: Zapatero und die Märtyrer. Eine Analyse der Nachrichtenagentur kipa.
498 "Märtyrer des spanischen Bürgerkriegs" werden am 28. Oktober in Rom selig gesprochen.
So viele Märtyrer des spanischen Bürgerkrieges hat sogar Papst Johannes Paul II. gesamthaft
nicht selig gesprochen – bei ihm waren es 468. Die in der Kirchengeschichte nahezu
beispiellose Massen-Seligsprechung findet genau an jenem Tag statt, an dem Spaniens
Sozialisten die Machtergreifung von Felipe Gonzales feiern. Gonzales wurde vor 25
Jahren zum Ministerpräsidenten ernannt. Ist die Terminkollision ein Zufall oder doch
mehr, fragt die Nachrichtenagentur kipa in ihrer Analyse, die wir hier dokumentieren.
Das
Aufeinandertreffen der beiden Termine verdeutlicht die Spaltung, die in der spanischen
Gesellschaft immer noch zwischen der Rechten und der Linken besteht. Hinter Spaniens
Rechten, der Erbin des diktatorischen Franco-Regimes, steht ein grosser Teil der katholischen
Kirchenführung. Die Linke wird dagegen von derselben Kirche verabscheut.
Das Klima zwischen der spanischen Linken und der Bischofskonferenz hat sich zusätzlich
verschlechtert, als der Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero im April 2004 Ministerpräsident
wurde. Mit der Massen-Seligsprechung stellt sich aber auch die Frage nach der demokratischen
Überleitung nach dem Bürgerkrieg (1936-39) und dem Umgang mit der Erinnerung an ihn.
"Nationalistische" Putschisten waren mit den Faschisten Mussolinis und Hitler-Deutschland
verbündet und eilten General Franco zu Hilfe. Ihnen gegenüber standen im spanischen
Bürgerkrieg die "Republikaner".
Wachsende Spannungen
Zapateros
Regierung will mit einem Gesetz, über das am 30. Oktober abgestimmt wird, die republikanischen
Opfer des Bürgerkrieges und des Franco-Regimes rehabilitieren. Die Kirche fordert
demgegenüber die Anerkennung der Märtyrer, die während des Bürgerkrieges im "Hass
auf den Glauben" verfolgt wurden.
Aufgrund des neuen Gesetzes müssten
alle Symbole des Franco-Regimes von staatlichen und öffentlichen Gebäuden entfernen
weden. Das gleiche gilt für Strassennamen. Zudem würden "privaten Eigentümern",
darunter der Kirche, die Subventionen entzogen, wenn sie diese Symbole nicht entfernen.
Die Massen-Seligsprechung vom 28. Oktober, hinter der längst nicht alle Spanier stehen,
verstärkt zusätzlich die Spannungen in dem Land.
"Es ist richtig, dass
sich die Kirche in Spanien mit ihrer eigenen Vergangenheit schwer tut. Und auch,
dass es ihr noch nicht gelungen ist, die Franco-Diktatur zu verurteilen, mit der
sie während des Bürgerkrieges gemeinsam auf Kreuzzug war", erklärte der baskische
Priester José Luis Aperribal vor einiger Zeit gegenüber der Presseagentur Kipa.
Er verwies auf 18 Priester, die im Baskenland wegen ihrer Sympathien zu den Republikanern erschossen
worden waren: "Die Kirche verweigert ihnen heute noch ein christliches Begräbnis."
Sieger und Besiegte
"Die Erinnerung der Sieger, die während der
Franko-Diktatur die absoluten Herrscher waren, nimmt immer noch einen herausragenden
Platz ein, wenn man sie mit jener der Besiegten vergleicht", sagt der spanische Historiker
Julián Casanova, der in Saragossa und New York Zeitgeschichte lehrt. Casanova hat
mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Titel "Die Kirche Francos".
Santos Juliá, Historiker an der spanischen Fernuniversität Uned, pflichtet
ihm bei. Seiner Ansicht nach sollte man vom Reden über "Sieger" und "Besiegte"
abkommen, um ein gemeinsames Feld zu finden. "Wenn man aber erneut von einer verfolgten
Kirche spricht, wie es gegenwärtig die Führung derselben Kirche tut, so führt uns
dies in eine dunkle Vergangenheit zurück." Mit ihrem Handeln giesse die spanische
Bischofskonferenz Öl ins Feuer.
In den Augen vieler Spanier belebt
die anstehende Seligsprechung den "Mythos" eines "wahren Spaniens" – jenes der
Militärs und der Kirche im Kampf gegen das Anti-Spanien "der Roten". Dieselben
Überlegungen hätten die spanischen Bischöfe dazu geführt, die Seligsprechung der
spanischen Königin "Isabella der Katholischen" (1451-1504) anzustreben, unterstreicht
der peruanische Soziologe Alvaro Castro.
Aus den zersplitterten spanischen
Fürstentümern schuf Isabella, für manche die "Mutter der spanischen Inquisition",
die wohl bedeutendste Macht des 16. Jahrhunderts. Sie vertrieb die Muslime nach
knapp 800 Jahren Besetzung von der iberischen Halbinsel und erhob den Katholizismus
zur Staatsreligion.
Alvaro Castro ergänzt: "Die gleiche Spaltung
wie in Spanien finden wir in Lateinamerika, wo der Klerus zum Nachteil der Basiskirchen
dem immer stärker präsenten Opus Dei angehört. Dies zur grössten Freude der Sekten."
Extreme Rechte wird hofiert
Diese Einschätzung wird durch eine
Erklärung des Erzbischofs von Pamplona (Navarra), Fernando Sebastián Aguilar,
bestärkt. Im vergangenen Mai hatte er erklärt, dass auch kleine Parteien der extremen
Rechten, "die der Soziallehre der Kirche treu sind", der "Achtung und Unterstützung" würdig
sein könnten.
Aguilar verwies unter anderem auf die "Phalange espagnole
des Jons", eine faschistische Bewegung, die durch José Antonio Primo de Riva, Francos ideologischen
Ratgeber, gegründet worden war. Franco schloss mit der spanischen Kirchenführung
vor siebzig Jahren einen "Blutpakt", welcher der francistischen Sache diente.
Im vergangenen Juni riss der Erzbischof von Valencia, Agustin Garcia Gasco,
alte Wunden wieder auf, als er den Bau eines Heiligtums für die "Märtyrer von Valencia"
ankündigte. Damit soll die Erinnerung an jene 226 Einwohner Valencias wach gehalten
werden, die während des Bürgerkrieges Opfer des "Hasses gegen den Glauben" geworden
waren und am 11. März 2001 durch Papst Johannes Paul II. selig gesprochen wurden.
Das Heiligtum mit einer Fläche von 3.233 Quadratmetern entsteht im Herzen der Stadt.
Mit dem Bau wurde bereits begonnen.
Die Rolle von Papst Johannes Paul
II.
Im Buch "Opfer der Bürgerkrieges" schreiben mehrere Autoren, unter
ihnen Julián Casanova, die Kirche habe nicht damit aufgehört, Druck auszuüben,
um die Erinnerung an ihre Märtyrer wach zu halten. Dies sei nicht nur mit Feiern
zum Gedenken an die Toten und mit Denkmälern, sondern auch über Seligsprechungen
geschehen. Doch trotz Unterstützung durch die Francisten musste die Kirche mehrere
Jahrzehnte auf die Erfüllung ihrer Wünsche warten, paradoxerweise bis nach dem
Tod Francos (1975).
Offensichtlich widersetzte sich Papst Pius XII. wahllosen
und massiven Seligsprechungen. Diese Haltung nahmen auch seine Nachfolger Johannes
XXIII. und Paul VI. ein. Letzterer hatte übrigens angeordnet, dass laufende Selig- und
Heiligsprechungsprozesse eingestellt werden sollten. Unter Papst Johannes Paul
II. sollte sich das ändern.
Im März 1982 kündete Johannes Paul II. den
spanischen Bischöfen an, er werde sich für die Seligsprechung der "Märtyrer der
religiösen Verfolgung" einsetzen. Am 6. Oktober 2002 sprach der polnische Papst
den Gründer des Opus Dei, den Spanier Josemaria Escriva de Balaguer, heilig. Der
schnellsten Heiligsprechung der Kirchengeschichte war eine lebhafte Polemik vorausgegangen.
Der junge Escriva de Balaguer hatte den Bürgerkrieg als Kampf zwischen Katholiken
und Kommunisten erlebt, und letztere erschienen ihm als Verkörperung des Bösen.
Niemand hindere die Kirche daran, ihre Märtyrer zu ehren, meinen die Verfasser
des Buches "Opfer des Bürgerkrieges". Doch: "Mit diesen Seligsprechungen will Spaniens
Kirche die Erinnerung an die Sieger des Bürgerkrieges wach halten und dadurch das
Land spalten. So demütigt sie Zehntausende von Familien, die Opfer des Francismus
wurden."
Mit rund 10.000 Vorschlägen für Seligsprechungen führe Spaniens
Kirche den "Katalog" der Märtyrer des 20. Jahrhunderts an, schrieb kürzlich die spanische
Tageszeitung "El Pais". Der Vatikan präzisierte gegenüber dem Blatt: Es handle
sich um genau 12.692 Märtyrer.
Separat 1:
Keine Stellungnahme
der spanischen Bischöfe
Die spanische Bischofskonferenz will zu den Vorwürfen
der beiden namhaften spanischen Historiker Julián Casanova und Santos Juliá nicht
Stellung nehmen. Der Präsident der Bischofskonferenz, Ricardo Blazquez, Bischof
von Bilbao, liess Kipa über seinen Sprecher ausrichten, er habe nicht die Absicht,
in diese Debatte einzugreifen.
Das Sekretariat der Bischofskonferenz verweist
jedoch auf einen Hirtenbrief vom 1. Oktober. Darin mahnt der Bischof, man solle
"die Märtyrer weder mit den Soldaten verwechseln, die auf dem Schlachtfeld fielen,
als sie gegeneinander kämpften, noch mit den Opfern der politischen Repression,
die gnadenlos war". Die Märtyrer würden "gegen niemanden" seliggesprochen, und dies
geschehe auch nicht mit der Absicht, "alte Wunden aufzureissen".
Separat
2:
Kardinal kritisiert geplantes Gesetz der sozialistischen Regierung
Kardinal
Carlos Amigo Vallejo, Erzbischof von Sevilla, hat das geplante "Gesetz zur historischen
Erinnerung" der sozialistischen Regierung Zapatero hart kritisiert. Dieses wolle
ausschliesslich "eine Ideologie fördern und unter gar keinen Umständen die Versöhnung
Spaniens". Das Schlimmste am vorgeschlagenen Gesetz sei, dass dieses insofern eine
"partielle Erinnerung" darstelle, als es nur für eine Gruppe einstehe. In einer
von der spanischen Presseagentur Efe verbreiteten Erklärung sagte der Kardinal,
er habe "den Eindruck, jemand wolle einen Krieg gewinnen, den wir alle so schnell
wie möglich vergessen wollen". Er sei dafür, die Geschichte aufzuarbeiten, "aber nicht
zugunsten einer ideologischen Erinnerung".
Separat 3:
Christliches
Netzwerk in Spanien kritisiert Seligsprechungen
Ein bedeutendes spanisches
Netzwerk christlicher Basisbewegungen und Gemeinschaften übt Kritik an der bevorstehenden
Seligsprechung von 498 Märtyrern des spanischen Bürgerkrieges am 28. Oktober in
Rom. Dem Netzwerk gehören 147 Gruppen aus dem ganzen Land an.
Das Netzwerk
fordert von den spanischen Bischöfen ein Schuldbekenntnis, weil diese sich im spanischen
Bürgerkrieg auf die Seite Francos schlugen. Weil die katholische Kirche nicht um
Vergebung gebeten habe, seien die Seligsprechungen "unangebracht" und "diskriminierend".
Sie zeugten von der Unfähigkeit der Kirchenführung, auf ihre Positionen vor 70
Jahren zurückzukommen.
In der von der Tageszeitung "El Pais" verbreiteten
Mitteilung erinnert das Netzwerk an die Opfer des Bürgerkrieges und an jene der
nachfolgenden Diktatur Francos. "Um eine Zukunft in Frieden aufzubauen, ist es
notwendig, dass die Parteien die eigenen Irrtümer eingestehen, die sie in diesen
Krieg geführten haben, und dass sie um Vergebung bitten." Das Netzwerk bedauert auch
die Haltung der Bischöfe gegenüber dem "Gesetz zur historischen Erinnerung".
Dem Netzwerk gehören christliche Basisgemeinschaften, die Bewegung "Wir sind
Kirche", Arbeiterbewegungen, der Frauen- und Theologenbund und auch Justitia et
pax an.