Dokument: Statement von Bischof Müller, Regensburg, zum Fall Riekofen
Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Aufgabe als Diözesanbischof ist es,
mich im Namen Jesu Christi zu kümmern um die Menschen, die in Gott Heil und Halt für
ihr Leben suchen. In meinem Bistum sind es 1,3 Mill. Katholiken: Kinder und Jugendliche,
Mütter und Väter, Alleinstehende und Verheiratete, Kranke und Behinderte.
Allein
in der Pastoral unterstützen mich dabei 1800 Priester, Diakone, Laien im pastoralen
Dienst und kirchliche Religionslehrer mit bewundernswertem Engagement. Dazu kommen
weit über 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pfarreien und kirchlichen
Einrichtungen, wie etwa in den 62 Schulen in kirchlicher Trägerschaft und bei den
großen Verbänden der Caritas und der Katholischen Jugendfürsorge. Zu erwähnen sind
die vielen Tausend ehrenamtlich tätigen Laien in den Vereinen und Verbänden, wobei
wir unter der Verantwortlichkeit des Diözesankomitees mit einer viertel Million Mitgliedern
einen großen Einsatz im Laienapostolat aufweisen können.
Durch das Sakrament
der Weihe ist der Bischof in ganz besonders tiefer Weise mit seinen Priestern und
Diakonen verbunden, die den Klerus der Diözese Regensburg ausmachen.
Daher
bin ich zutiefst erschüttert über die Tatvorwürfe, wegen derer am 30. August 2007
ein Geistlicher der Diözese Regensburg verhaftet worden ist. Es besteht leider der
begründete Verdacht, dass er sich an einem Kind Übergriffe in dessen Intimsphäre hat
zuschulden kommen lassen. Unabhängig von der notwendigen Strafverfolgung durch die
Justiz, handelt es sich dabei um eine schwere Sünde gegen das sechste Gebot, die
„vom Reich Gottes jeden ausschließt“ (1Korinther 6,9), wenn er nicht vorher Vergebung
bei Gott erlangt. Die Priester sind „Vorbilder für die Herde“ Christi, nämlich: die
Kirche (1Petrus 5,3). Für alle Gläubigen gelten die Gebote Gottes und der Kirche gleichermaßen,
für die Priester aber in vorbildhafter Weise. Darum ist das Entsetzen bei dem schlimmen
Vergehen gegen die Keuschheit durch einen geweihten Diener Gottes um so empörender.
Ich möchte jedoch auch auf diesem Weg mein tiefstes Bedauern und Mitgefühl
ausdrücken gegenüber den seelisch verletzten Kindern und ihren Eltern. Wir versprechen
ihnen jegliche erdenkliche Hilfe. Von meinen drei Geschwistern habe ich 18 Neffen
und Nichten in allen Alterstufen, von denen viele schon wieder Väter und Mütter sind.
Ich kann das Entsetzen mitfühlen, besonders wenn ich daran denke, dass einem unserer
Lieben etwas angetan würde, aber auch, was Gott verhüten möge, wenn einer der Unseren
eine strafbare Handlung beginge. Für mich persönlich ist es auch ein unerträglicher
Gedanke, dass ein Geistlicher, der im Namen Jesu Christi täglich die Heilige Messe
feiert, und ein Vorbild an Liebe sein soll, ein Kind sexuell missbraucht haben soll.
Dieser Widerspruch schreit zum Himmel! Jesus sagt: „Lasset die Kinder zu mir kommen.
Hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Er nahm
sie in seine Arme, legte ihnen die Hände auf und segnete sie.“ (Mk 10,14f). So wird
immer in den vielen Kindersegensgottesdiensten aus der Bibel vorgelesen. Die Hände
des Priesters werden mit dem heiligen Öl gesalbt, damit er die Menschen segnet und
nicht, dass er ihnen schadet.
Viele fragen sich: Wie konnte es zu der schlimmen
Tat kommen? Wer ist schuld oder mitschuldig? Hätte man die fatale Neigung früher erkennen
können oder gar müssen? Warum wurde er wieder in der Pfarrseelsorge eingesetzt, wo
er mit Kindern und Jugendlichen zusammenkommen konnte?
Viele Fragen gehen mir
durch den Kopf. Um sie wahrheitsgemäß beantworten zu können, wird man genau unterscheiden
müssen, was die Gründe und Möglichkeiten 2004 waren und was wir heute wissen. Als
ich persönlich mit Peter Kramer und dessen zukünftigem Einsatz befasst wurde, war
die Straftat von 1999 schon geschehen. Auch war das Gerichtsurteil von 2000 schon
ergangen, und bis Mitte 2003 waren alle gerichtlichen Auflagen erfüllt. Erst ein
volles Jahr später, im September 2004, wurde er als Verwalter der Pfarreien Riekofen
und Schönach eingesetzt. Bei den rund 70 jährlichen Versetzungen im pastoralen Bereich
bereiten die Personalreferate die Entscheidungen vor, die in der Ordinariatskonferenz
besprochen werden. In der Regel stimmt der Bischof dem Beratungsergebnis zu.
Die
Entscheidung, Peter Kramer wieder in die Pfarrseelsorge einzusetzen, beruhte auf mehreren
Säulen:
Viele Pfarrangehörige wollten den Priester als Pfarrer, nachdem
sie ihn durch gottesdienstliche Aushilfen kennen gelernt hatten. Es wurden denn auch
nie Klagen und Beschwerden über ihn laut. Er war allgemein sehr beliebt und als Seelsorger
anerkannt.
Das siebenseitige sehr detaillierte
Fachgutachten, das der gerichtlich angeordnete, keineswegs kirchlich bestellte Therapeut
zum Abschluss vorlegte, bescheinigte, dass der Geistliche keine pädophile Fixierung
habe und dass die Tat in Viechtach auf ein einmaliges, regressives Verhalten zurückzuführen
sei. Es bestünden keine Bedenken gegen einen Wiedereinsatz.
Juristisch
war die Bewährungszeit ohne Komplikationen und weitere Auflagen vorübergegangen. Und
man wollte
schließlich auch dem Priester und seiner
Würde als Mensch gerecht werden, der juristisch und therapeutisch voll rehabilitiert
schien. Wenn Jesus auch den schlimmsten Sündern verziehen hat und nach menschlichem
Ermessen bei Peter Kramer wie bei jedem anderen Menschen, der auch mit Jugendlichen
zusammenkommt, kein Übergriff auf Kinder mehr zu erwarten war, wie konnte man ihm
eine zweite Chance versagen? Können wir in der Kirche die Strafe eines lebenslänglichen
Ausschlusses aus der Seelsorge verhängen ohne verantwortbaren Grund, wenn unser modernes
Rechtsempfinden von der Verhältnismäßigkeit der Strafe zur Tat und von einer Resozialisierung
ausgeht?
Die Entscheidung war also verantwortet, auch wenn das
wohlbegründete Vertrauen auf schreckliche Weise missbraucht wurde und er etwas getan
hat, was in schreiendem Widerspruch zur Berufung als Guter Hirte steht. Ich wünschte,
ich könnte das Geschehen rückgängig machen.
Die Taten, die dem Geistlichen
jetzt vorgeworfen werden, müssen uns antreiben, gemeinsam zu überlegen, wie wir zukünftig
besser mit diesen Problemen umgehen können, wie wir vielleicht die Gutachten tragfähiger
machen können, wie wir uns gegenseitig in den Diözesen austauschen und helfen können,
um mögliche Gefahren im Vorfeld besser abschätzen zu können. Für mich gibt es hier
nur null Toleranz. Ich möchte das Thema auch mit meinen Mitbrüdern in der bayerischen
und deutschen Bischofskonferenz besprechen.
Für die Gläubigen in den Pfarreien
Riekofen und Schönach sind die Vorwürfe gegen ihren bisherigen äußerst beliebten
Seelsorger ein großer Schock. Den Opfern gilt meine ganze Sorge. Mit Prälat Gottfried
Dachauer habe ich einen sehr erfahrenen Seelsorger für die beiden Pfarreien angewiesen
und ihm einen Tag später eine Sozialpädagogin für die Jugendarbeit zur Seite gestellt.
Den Diözesanbeauftragten für sexuellen Missbrauch, Dr. Gerhard Leinhofer, habe ich
gebeten, baldmöglichst mit den Opfern und Angehörigen Kontakt aufzunehmen und Hilfen
in die Wege zu leiten.
Inzwischen gab es auch viele Gespräche und Maßnahmen.
Zum nächstmöglichen Termin werde ich nach Riekofen und Schönach fahren und mit den
Betroffenen reden. Der Generalvikar, der Personalreferent und der neue Pfarrer haben
bereits mit den Mitgliedern der beiden Pfarrgemeinderäte die Situation besprochen.
Ich selber habe mich mit den beiden Sprechern der Pfarrgemeinderäte und mit den beiden
Bürgermeistern ausgetauscht. Bei allem hatte ich den Eindruck, dass viele wie auch
ich immer noch schockiert über die Ereignisse sind. Langsam aber richtet sich der
Blick nach vorne und die Bereitschaft wächst, mit dem neuen Pfarrer und der Sozialpädagogin
zusammenzuarbeiten. Nur im Blick hinauf zum Kreuz, an das der allein sündlose Herr
Jesus angenagelt wurde, können wir wieder Vertrauen finden.