Kardinal Walter Kasper, der Präsident des päpstlichen Einheitsrates, ist dieses Jahr
"Stargast" bei der traditionellen "Elisabethwallfahrt" des Bistums Erfurt. Die Wallfahrt
steht ganz im Zeichen der Feiern zum 800. Geburtsjahr der hl. Elisabeth von Thüringen.
Wir dokumentieren hier die Predigt von Kardinal Kasper beim Festgottesdienst am Sonntag
Morgen - Quelle ist das Bistum Erfurt. Anschließend dokumentieren wir das Grußwort
von Nuntius Erwin Josef Ender.
I. Das Leben der hl. Elisabeth ist der
beste Kommentar zum Evangelium vom Teilen und Austeilen (Mk 8,1-10), das wir eben
gehört haben. Kurz vor ihrem Tod hat sie uns als ihren Wahlspruch hinterlassen:
"Ich habe es euch immer gesagt: Wir müssen die Menschen fröhlich machen".
Ja,
sie war kein Mauerblümchen; sie war ein froher und heiterer Mensch. Als Kind liebte
sie das Spiel, als Mädchen das Reiten, ihren Gatten, dem sie drei Kinder schenkte,
liebte sie leidenschaftlich und innig. Sie war eine außerordentliche Frau, die
wusste was sie wollte, die konsequent ihren Weg ging. Es war nicht der Weg des
Aufstiegs, der Karriere, des guten Lebens, das ihr, der zum europäischen Hochadel
gehörigen ungarischen Königstochter und der Landesfürstin, offen gestanden wäre. Sie
ging den Weg des Abstiegs vom Fürstensitz auf der Wartburg hinab zu den Armen,
Kranken, Hungernden. Sie pflegte nicht sich, sie pflegte die anderen. Ihre Freude
war es, anderen Freude zu machen.
Am Hofe wagte sie den stummen Protest
gegen das Unrecht abhängige Bauern auszupressen. Nach dem Tod ihres Gatten empfand
man dieses Verhalten am Hofe als provozierende Marotte. Doch Elisabeth empfand
es als Befreiung, als sie musste den Hof und das Hofleben verlassen mußte. Nun
konnte sie ihre Berufung als Mutter der Armen ganz und ungeteilt leben.
Viele
dachten, sie sei wohl nicht mehr richtig im Kopf. Ihr Oheim, der mächtige, in Machtkategorien
denkende Bischof von Bamberg, wollte die noch junge Frau von nur 19 Jahren wieder
verheiraten; eine ausgezeichnete Partie hatte er sich für sie ausgedacht; sie sollte Gemahlin
des soeben ebenfalls verwitweten Kaisers Friedrich II. werden. Was hätte daraus
werden können, eine solche Frau als Kaiserin!? Was hätte sie Gutes tun und bewirken
können?! Die deutsche Geschichte wäre vielleicht anders gelaufen.
Doch
für sie waren das Menschengedanken. Sie entschied sich für ein anderes Ideal, für
das, für welches sich zur gleichen Zeit Franziskus von Assisi entschied. Auch er
gab den Reichtum eines Kaufmannssohnes auf; selbst seine schönen Kleider warf dem
Vater vor die Füße. Ähnlich wählte Elisabeth die radikale Armut; sie tat es im
Dienst an den Ärmsten der Armen. Mit eiserner Konsequenz und mit innerer Gelassenheit
und Heiterkeit ging sie ihren Weg bis zum Ende. Wie eine auf den Leuchter gestellte,
langsam herab brennende Kerze verzehrte sie sich, bis sie nur 24 Jahre alt für
das Leben in der Welt erlöschte.
II. Doch Elisabeth ist nicht tot;
sie lebt und wirkt bis heute weiter. Ihr Vorbild hat sich in das Gedächtnis der
Menschen in Thüringen, Deutschland und ganz Europa eingegraben. Schon vier Jahre
nach ihrem Tod wurde sie von Papst Gregor IX. in Perugia heilig gesprochen. Sie
ist eine wahrhaft ökumenische Heilige, von evangelischen Christen ebenso verehrt
wie von katholischen. Auch Martin Luther, der etwa 300 Jahre später auf der Wartburg
lebte, hatte vieles für sie übrig. Sie verbindet uns alle.
Noch heute,
800 Jahre später, verbreitet sie einen einzigartigen Charme. Sie wird verehrt als
Mutter der Armen, als Vorbild und Patronin der Caritas. Unzählige Mädchen und Frauen
tragen ihren Namen, unzählige karitativ-soziale Einrichtungen sind nach ihr benannt.
Sie ist leuchtendes Vorbild und Leitbild vieler Frauen, die sich im Dienst an anderen
verzehren. Und was wäre, wenn wir diese Elisabethenfrauen, dieses Heer freiwilliger
Helferinnen nicht hätten?! Wo kämen wir hin, wenn nur noch Eigeninteresse und Karriere
bestimmend wären und wenn dieses ihr Leitbild des selbstlosen Dienstes in Deutschland
und in Europa ersterben würde. Danken wir darum heute den vielen Helferinnen der
Caritas und der Diakonie, die sich Elisabeth zum Vorbild nehmen.
III. Aber
machen wir es uns nicht zu leicht. Heilige sind fast immer anders als wir sie uns
vorstellen. Die Elisabeth des Rosenwunders ist nicht die ganze Elisabeth. Es gibt
auch die andere Elisabeth. Denn sie ist nicht einfach die Heilige des sozialen
Engagements. Sie war eine große Beterin, kannte uns normalerweise unbekannte mystische
Erfahrungen. Wie Franziskus wollten sie dem armen Jesus nachfolgen, wie er herabgestiegen und
wie er arm werden mit und für andere. In den Armen wollte sie Jesus Christus dienen.
Man kann sie nur verstehen, wenn man das Wort Jesu kennt: "Was ihr dem Geringsten
getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40).
Wir dürfen alle diese
Aspekte nicht verdrängen. Gerade weil sie vielen von uns fremd sind, tun sie uns
gut. Sie haben gerade uns Heutigen etwas Notwendiges zu sagen. Elisabeth straft
alle die Lügen, die meinen, mit dem Christentum schnell fertig sein zu können.
Sie zeigt, dass Christentum und Christsein nicht in dem aufgeht, was empirisch
an ihm wahrnehmen kann. Ein authentisches, nicht verbürgerlichtes Christentum ist
damals wie eine immer wieder neu faszinierende Überraschung. Elisabeth lebte das
Neue und immer wieder Überraschende des Evangeliums. Weltlich gesehen war sie eine
Närrin; "aller Welt Törin" nannte sie ihr Schwager bevor sie fluchtartig die Wartburg
verließ. Sie passte nicht in die dortige Welt, und sie passt auch nicht in das
normale Schema unsere Welt. Heute wie damals erscheint das Leben nach dem Evangelium als
eine Marotte.
Doch Elisabeth dreht den Spieß um. Sie zeigt uns, dass ungekehrt
das Leben töricht ist, das nur um sich selber kreist, dem es nur um weltliches
Wohlsein geht, nur um den eigenen Vorteil, nur um weltliche Karriere, nur um Reichtum
und Macht. Elisabeth zeigt uns eine Alternative, eine andere und bessere Möglichkeit
um Freiheit und Freude zu erlangen. Sie sagt uns, dass Thüringen, dass Deutschland
und dass Europa diese andere Ordnung der Werte nicht vergessen dürfen, wenn sie nicht
ihre tiefsten Wurzeln und ihre höchste Bestimmung vergessen und versäumen wollen.
Elisabeth zeigt uns die wahre Freiheit, die sich im Schenken, im Teilen und
Austeilen äußert; sie erschließt die wahre Freude, die von Innen kommt. Sie zeigt
uns was Frauen vermögen und was Frauengröße sein kann. Sie zeigt uns wie fruchtbar
das Leben nach dem Evangelium noch Jahrhunderte später sein kann. Denn "allein
die Liebe bleibt immer" (1 Kor 13,8). Letztlich ist es der Charme der Liebe, welcher
die Welt verwandelt; letztlich ist es die Tat der Liebe, die glücklich macht.
Diese
Liebe können wir nicht "machen". Sie ist Gabe und Geschenk von oben. Elisabeth
war ein außerordentliches Bild der Gnade, auf die wir alle angewiesen sind. Sie
war ein Liebling Gottes und so auch Liebling der Menschen.
Danken wir
deshalb, dass uns diese wahrhaft große Frau geschenkt wurde. Danken wir, dass sie
uns als ein leuchtendes Fanal geschenkt wurde, dass sie uns sagt, wovon und wofür
es sich zu leben lohnt, dass sie uns als ein leuchtendes Beispiel wahren Glücks
und wahrer Freude geschenkt ist. Wir Heutige brauchen nichts nötiger als diese
Elisabeth. Amen.
Segensgrüße vom Papst Grußwort des Apostolischen
Nuntius Erzbischof Erwin Josef Ender, Berlin, im Pontifikalamt zur Erfurter
Elisabethwallfahrt
Der Heilige Vater hat mich beauftragt, Sie alle anlässlich
der Festfeier des 800. Geburtstages der heiligen Elisabeth herzlich zu grüßen.
Als sein Vertreter in Deutschland darf ich Ihnen diese Grüße und Segenswünsche
übermitteln und auch meine persönliche Mitfreude an Ihrem Festtag zum Ausdruck
bringen.
Papst Benedikt betrachtet das in Deutschland und Ungarn gleichermaßen gefeierte
Jubiläumsjahr als eine gute Gelegenheit, eine wahrhaft europäische Heilige zu würdigen.
Er dankt für alle Initiativen, die in diesem Gedenkjahr in der Erfurter Ortskirche,
aber auch in der Ökumene und in der säkularen Gesellschaft das Lebensbeispiel der
großen Thüringer Landgräfin in den Blick gerückt haben. Die hl. Elisabeth hat mit
dem Vorbild ihres gelebten Glaubens Menschen über Ländergrenzen hinweg und durch
Jahrhunderte hindurch einen Weg aufgezeigt, der zu einer wahren Einheit in der
Liebe zusammenführt.
Das Beispiel der heiligen Elisabeth kann den Christen
und allen Menschen guten Willens ein Ansporn sein für eine Kultur der Nächstenliebe,
der sozialen Gerechtigkeit und der Würdigung von Ehe und Familie. Denn nur auf
einer solchen Grundlage wird ein gedeihliches Wachsen der Völkergemeinschaft Europas
gelingen und Früchte bringen.
In diesem Sinne erteilt Papst Benedikt XVI.
dem Bischof von Erfurt, dem Klerus, den Ordensleuten, allen Christen der Diözese
Erfurt und allen hier Anwesenden von Herzen seinen Apostolischen Segen.