"Wir brauchen Wahrheit" - Papst feiert Messe in Mariazell
Papst Benedikt XVI.
hat heute seine Österreich-Reise mit einem Besuch im Wallfahrtsort Mariazell fortgesetzt.
In seiner Predigt vor über 30.000 Pilgern appellierte Benedikt, nicht zu resignieren,
sondern an der Wahrheitsfähigkeit des Menschen festzuhalten, einer Wahrheit, die sich
in Jesus Christus gezeigt habe.
Wegen des anhaltend schlechten Wetters, Nebel
und Luftturbulenzen konnte der Papst nicht wie geplant mit dem Helikopter von Wien
anreisen, sondern machte sich in einem Autokonvoi auf den Weg. Der Papst fuhr im
"Papamobil" eine Runde durch das Festgelände auf dem Sportplatz am Rande des Wallfahrtsortes,
wo ein Teil der Pilger den Gottesdienst mit dem Papst über Großbildschirm mitfeiert.
Dann fuhr das "Papamobil" durch das Städtchen hinauf zum Festplatz vor der Basilika,
wo Benedikt XVI. ebenfalls mit großer Begeisterung und "Benedetto"-Rufen empfangen
wurde.
Unter der Klängen des Marienliedes "Glorreiche Königin" zog der Papst
in die Mariazeller Basilika ein. Er kniete vor der Gnadenstatue zum Gebet nieder und
rezitierte das marianische Schlussgebet aus seiner ersten Enzyklika "Deus caritas
est".
In seiner Begrüßung zum Beginn der Messfeier hatte der steirische Diözesanbischof
Egon Kapellari auf das schlechte Wetter Bezug genommen und die Begeisterung der Pilger
"trotz allen Regens" gewürdigt. Auch wenn die Sonne nicht scheine, hätten die Gläubigen
die "Sonne der Gerechtigkeit" im Herzen:
„Ernsthafte Christen sind geistlich
wetterfest und müssen manchmal so wie heute hier in Mariazell auch leiblich wetterfest
sein.“
Benedikt nutze die Predigt, um daran zu erinnern, dass der Glaube
sich entschieden der Resignation entgegen setze, "die den Menschen als der Wahrheit
unfähig ansieht"
„Diese Resignation der Wahrheit gegenüber ist der Kern
der Krise des Westens, Europas. Wenn es Wahrheit für den Menschen nicht gibt, dann
kann er auch nicht letztlich Gut und Böse unterscheiden. Und dann werden die großen
und großartigen Erkenntnisse der Wissenschaft zweischneidig: Sie können bedeutende
Möglichkeiten zum Guten, zum Heil des Menschen sein, aber auch – wir sehen es – zu
furchtbaren Bedrohungen, zur Zerstörung des Menschen und der Welt werden.“
Die
Menschen bräuchten Wahrheit… „...aber freilich, auf Grund unserer
Geschichte haben wir Angst davor, dass der Glaube an die Wahrheit Intoleranz mit sich
bringe. Wenn uns diese Furcht überfällt, die ihre guten geschichtlichen Gründe hat,
dann wird es Zeit, auf Jesus hinzuschauen, wie wir ihn hier im Heiligtum von Mariazell
sehen: Als Kind auf dem Arm der Mutter und über dem Hochaltar der Basilika als Gekreuzigten.
Diese beiden Bilder sagen: Wahrheit setzt sich nicht mit äußerer Macht durch, sondern
sie ist demütig". Zweifellos hätten viele große Persönlichkeiten in der Geschichte
"schöne und bewegende Gotteserfahrungen" gemacht. Aber es seien menschliche Erfahrungen
mit ihrer menschlichen Begrenztheit. Nur Christus sei Gott, nur er könne die Brücke
sein, die Gott und Mensch zueinander kommen lässt. Wenn die Christen Jesus den einzigen
"Mittler des Heils" nennen, so sei dies keine Verachtung der anderen Religionen und
keine "hochmütige Absolutsetzung des eigenen Denkens". Gott habe sich „klein gemacht",
erinnerte der Papst an die zentrale Glaubensüberzeugung des Christentums, dass Gott
in Jesus Mensch, Kind geworden ist. Benedikt XVI.:
„Gott kommt nicht mit
äußerer Macht, sondern er kommt in der Ohnmacht seiner Liebe, die seine Macht ist.
Er gibt sich in unsere Hände. Er bittet um unsere Liebe. Er lädt uns ein, selbst klein
zu werden, von unseren hohen Thronen herunterzusteigen und das Kindsein vor Gott zu
erlernen.“
Das Kind Jesus erinnere auch an alle Kinder dieser Welt, etwa
an die Kinder, die in der Armut leben, die als Soldaten missbraucht werden, die nie
die Liebe der Eltern erfahren durften, an die kranken und leidenden, aber auch an
die fröhlichen und gesunden Kinder. Europa sei - so der Papst – arm an Kindern geworden:
„Wir brauchen alles für uns selber, und wir trauen wohl der Zukunft nicht
recht. Aber zukunftslos wird die Erde erst sein, wenn die Kräfte des menschlichen
Herzens und der vom Herzen erleuchteten Vernunft erlöschen – wenn das Antlitz Gottes
nicht mehr über der Erde leuchtet. Wo Gott ist, da ist Zukunft.“Das Motto "Auf
Christus schauen" bedeutet auch einen Blick auf den Gekreuzigten. Denn Gott habe die
Welt "nicht durch das Schwert, sondern durch das Kreuz erlöst". „Auf Christus
schauen!“ Wenn wir das tun, dann sehen wir, daß Christentum mehr und etwas anderes
ist als ein Moralsystem, als eine Serie von Forderungen und von Gesetzen. Es ist das
Geschenk einer Freundschaft, die im Leben und im Sterben trägt. Dieser Freundschaft
vertrauen wir uns an. Aber gerade weil das Christentum mehr ist als Moral, eben das
Geschenk einer Freundschaft, darum trägt es in sich auch eine große moralische Kraft,
deren wir angesichts der Herausforderungen unserer Zeit so sehr bedürfen.“ Das
Christentum sei ein "Ja zu einem Gott, der uns liebt und der uns führt, der uns trägt
und uns doch unsere Freiheit lässt". Es sei auch ein Ja zur Familie (4. Gebot), ein
Ja zum Leben (5. Gebot), ein Ja zu verantwortungsbewusster Liebe (6. Gebot), ein Ja
zur Solidarität, zur sozialen Verantwortung und zur Gerechtigkeit (7. Gebot), ein
Ja zur Wahrheit (8. Gebot) und ein Ja zur Achtung anderer Menschen und dessen, was
ihnen gehört (9.und 10. Gebot). Papst Benedikt XVI.: „Zeige uns Jesus!“
Mit dieser Bitte zur Mutter des Herrn haben wir uns hierher auf den Weg gemacht. Diese
Bitte begleitet uns in unseren Alltag hinein. Und wir wissen, daß sie unsere Bitte
erhört: Ja, wann immer wir zu Maria hinschauen, zeigt sie uns Jesus. So können wir
den rechten Weg finden, ihn Stück um Stück gehen, der getrosten Freude voll, daß der
Weg ins Licht führt – in die Freude der ewigen Liebe hinein. Amen. Am Ende
der Messe erinnerte Benedikt auch an die Opfer der Hochwasserschäden. Spontan bekundete
er vor dem Schlusssegen den Betroffenen seine Nähe und Verbundenheit. Er sei sicher,
dass alle, die von ihren Notlagen erführen, "Solidarität zeigen und ihnen helfen
werden", sagte der Papst.
Bei der Anreise gab es entgegen den Spekulationen
vom Vortag keine Verkehrshindernisse. Die Pegelstände der Flüsse entlang der Zufahrtsstraßen
sanken im Lauf der Nacht um 35 bis 40 Zentimeter. Das Mittagessen nutzte Benedikt
XVI. zu einer Begegnung mit den österreichischen Bischöfen. Um 16.45 Uhr steht
eine Marienvesper in der Wallfahrtsbasilika auf dem Programm. An dem Gebetsgottesdienst
mit dem Papst nehmen vor allem Priester, Ordensleute und Priesterseminaristen teil. (rv
08.09.2007 mc)