"Wir brauchen Wahrheit" - Papst feiert Messe in Mariazell
Mariazell ist für Österreich und weit darüber hinaus ein "Ort des Friedens und der
versöhnten Einheit" geworden, sagte Papst Benedikt XVI. am Samstag bei der Festmesse
zum 850-Jahr-Jubiläum des steirischen Heiligtums. Zugleich betonte der Papst die entscheidende
Bedeutung der Wahrheit.
Der Glaube setze sich entschieden der Resignation entgegen,
"die den Menschen als der Wahrheit unfähig ansieht", betonte Benedikt XVI. und sagte
wörtlich: "Diese Resignation der Wahrheit gegenüber ist der Kern der Krise des Westens,
Europas". Wenn es Wahrheit für den Menschen nicht gebe, dann könne er letztlich auch
nicht Gut und Böse unterscheiden. Dann würden auch die "großen und großartigen Erkenntnisse
der Wissenschaft zweischneidig": Sie könnten bedeutende Möglichkeiten zum Guten, zum
Heil des Menschen sein, sie könnten aber auch zu furchtbaren Bedrohungen, zur Zerstörung
des Menschen und der Welt werden. Wörtlich sagte der Papst weiter: "Wir brauchen Wahrheit.
Aber freilich, auf Grund unserer Geschichte haben wir Angst davor, dass der Glaube
an die Wahrheit Intoleranz mit sich bringe. Wenn uns diese Furcht überfällt, die ihre
guten geschichtlichen Gründe hat, dann wird es Zeit, auf Jesus hinzuschauen, wie wir
ihn hier im Heiligtum von Mariazell sehen: Als Kind auf dem Arm der Mutter und über
dem Hochaltar der Basilika als Gekreuzigten. Diese beiden Bilder sagen: Wahrheit setzt
sich nicht mit äußerer Macht durch, sondern sie ist demütig". Zweifellos hätten
viele große Persönlichkeiten in der Geschichte "schöne und bewegende Gotteserfahrungen"
gemacht, stellte der Papst fest. Aber es seien menschliche Erfahrungen mit ihrer menschlichen
Begrenztheit. Nur Christus sei Gott, nur er könne die Brücke sein,die Gott und Mensch
zueinander kommen lässt. Wenn die Christen Jesus den einzigen "Mittler des Heils"
nennen, so sei dies keine Verachtung der anderen Religionen und keine "hochmütige
Absolutsetzung des eigenen Denkens". Gott habe sich "klein gemacht", erinnerte
der Papst an die zentrale Glaubensüberzeugung des Christentums, dass Gott in Jesus
Mensch, Kind geworden ist. Benedikt XVI.: "Gott kommt nicht mit äußerer Macht, sondern
in der Ohnmacht seiner Liebe". Gott lade die Menschen ein, selbst klein zu werden
und das Kindsein vor Gott zu erlernen. Das Kind Jesus erinnere auch an alle Kinder
dieser Welt, etwa an die Kinder, die in der Armut leben, die als Soldaten missbraucht
werden, die nie die Liebe der Eltern erfahren durften, an die kranken und leidenden,
aber auch an die fröhlichen und gesunden Kinder. Europa sei - so der Papst - arm an
Kindern geworden: "Wir brauchen alles für uns selber, und wir trauen wohl der Zukunft
nicht recht". "Christentum ist kein Moralsystem" Das Motto "Auf Christus schauen"
bedeutet auch einen Blick auf den Gekreuzigten. Denn Gott habe die Welt "nicht durch
das Schwert, sondern durch das Kreuz erlöst". Sterbend breite Jesus die Arme aus.
Er habe die Passion, sein Leiden und seinen Tod in Gebet umgewandelt, in einen "Akt
der Liebe zu Gott und zu den Menschen". Das Leitwort "Auf Christus schauen!" bedeute
auch, dass das Christentum "mehr und etwas anderes ist als ein Moralsystem", mehr
als eine "Serie von Forderungen und von Gesetzen". Es sei das Geschenk einer Freundschaft,
die im Leben und im Sterben trägt. Aber gerade weil das Christentum mehr ist als Moral,
trage es in sich auch eine "große moralische Kraft". Es sei zunächst ein "Ja zu einem
Gott, der uns liebt und der uns führt, der uns trägt und uns doch unsere Freiheit
lässt". Es sei auch ein Ja zur Familie (4. Gebot), ein Ja zum Leben (5. Gebot), ein
Ja zu verantwortungsbewusster Liebe (6. Gebot), ein Ja zur Solidarität, zur sozialen
Verantwortung und zur Gerechtigkeit (7. Gebot), ein Ja zur Wahrheit (8. Gebot) und
ein Ja zur Achtung anderer Menschen und dessen, was ihnen gehört (9.und 10. Gebot).
Papst Benedikt XVI.: "Aus der Kraft unserer Freundschaft mit dem lebendigen Gott heraus
leben wir dieses vielfältige Ja und tragen es zugleich als Wegweisung in unsere Welt
hinein."
Papst Benedikt XVI. hat seine Österreich-Reise am Samstagmorgen
mit einem Besuch im Wallfahrtsort Mariazell fortgesetzt. Wegen des anhaltend schlechten
Wetters, Nebel und Luftturbulenzen konnte der Papst nicht wie geplant mit dem
Helikopter von Wien anreisen, sondern machte sich in einem Autokonvoi auf den Weg.
Benedikt XVI. traf gegen 9.45 Uhr im Autokonvoi auf dem Flugfeld ein, zusammen
mit Kardinal Christoph Schönborn, dem Grazer Bischof Egon Kapellari, in dessen Diözese
Mariazell liegt, sowie mit Bundespräsident Heinz Fischer und dessen Frau Margot sowie
Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Der Papst fuhr anschließend im "Papamobil" eine Runde
durch das Festgelände auf dem Sportplatz am Rande des Wallfahrtsortes, wo ein Teil
der Pilger den Gottesdienst mit dem Papst über Großbildschirm mitfeiert. Dann fuhr
das "Papamobil" durch das Städtchen hinauf zum Festplatz vor der Basilika, wo Benedikt
XVI. ebenfalls mit großer Begeisterung und "Benedetto"-Rufen empfangen wurde.
Unter
der Klängen des Marienliedes "Glorreiche Königin" zog der Papst in die Mariazeller
Basilika ein. Er kniete vor der Gnadenstatue zum Gebet nieder und rezitierte das marianische
Schlussgebet aus seiner ersten Enzyklika "Deus caritas est". In seiner Begrüßung
zum Beginn der Messfeier hatte der steirische Diözesanbischof Egon Kapellari auf das
schlechte Wetter Bezug genommen und die Begeisterung der Pilger "trotz allen Regens"
gewürdigt. Auch wenn die Sonne nicht scheine, hätten die Gläubigen die "Sonne der
Gerechtigkeit" im Herzen, "ernsthafte Christen" seien "geistlich wetterfest" und müssten
manchmal auch "leiblich wetterfest" sein.
Kapellari erläuterte die Bedeutung
des "schlichten alten Gnadenbildes", das in einer Prozession in die Mitte der Versammlung
gebracht worden war. Die Gnadenstatue bedeute, dass Maria den Gläubigen helfen will,
"auf Christus zu schauen und zu hören und ihn auch anderen Menschen zu zeigen". Beim
Mitteleuropäischen Katholikentag im Jahr 2004 in Mariazell hätten die Bischöfe der
acht daran beteiligten Länder eindringlich an diesen Auftrag der Christen erinnert,
anderen Menschen Christus zu zeigen. Millionen glaubender oder nach dem Glauben suchender
Menschen hätten Mariazell als "eine durch die Fürsprache Mariens reichlich fließende
Quelle göttlicher Gnade erlebt", diese Quelle fließe auch heute. Mariazell sei, so
Bischof Kapellari, eine "wahrhaft europäische Adresse". Dieses Heiligtum sei mit großartiger
Hilfe vieler Menschen und ihrer Gemeinschaften glanzvoll erneuert worden. Kapellari
begrüßte die Pilger aus vielen Ländern und in besonderer Weise "im Gedenken an die
zeitgleich stattfindende Dritte Europäische Ökumenische Versammlung" in Sibiu die
Vertreter der Ökumene. Die besondere geographische Situation der Basilika Mariazell
habe ja eine starke Begrenzung der Zahl der Mitfeiernden verlangt. Die Pilger aus
ganz Österreich würden aber alle Pfarren und alle anderen kirchlichen Gemeinschaften
Österreichs vertreten und miteinander ein "buntes Spektrum der katholischen Kirche
in Österreich und der ganzen katholischen Weltkirche" bilden.
In herzlichen
Worten formulierte Bischof Kapellari den Dank an den Papst, dass er trotz seiner "weltweiten
Aufgaben" zum 850-Jahr-Jubiläum des Heiligtums nach Mariazell gekommen sei. Der Besuch
des Papstes sei eine Hilfe, den Auftrag, den Menschen Christus zu zeigen, tiefer zu
erfassen und anzunehmen. Abschließend formulierte der steirische Bischof in zehn Sprachen
den "alten katholischen Gruß": "Gelobt sei Jesus Christus", auch "in der alten Sprache
unserer Mutter Kirche auf lateinisch" (Laudetur Jesus Christus!).
Die Messe
zum 850-jährigen Bestehen des steirischen Marienheiligtums ist der Höhepunkt der dreitägigen
Reise des Kirchenoberhaupts. Die Gnadenkapelle mit der aus Lindenholz geschnitzten
romanischen Marienstatue gilt als Nationalheiligtum Österreichs und hat Bedeutung
über die Landesgrenzen hinaus. Auch die Pilger ließen sich nicht vom Regen abhalten.
Nach Angaben der Organisatoren waren bereits um 9.00 Uhr fast alle der 33.000 angemeldeten
Pilger eingetroffen. Die Stimmung unter den Gläubigen sei gut, hieß es. Die Situation
erinnere an den Mitteleuropäischen Katholikentag 2004, als sich die Teilnehmer an
der «Wallfahrt der Völker» als «wetterfeste Christen» erwiesen hätten. Die ersten
Pilger kamen schon ab Mitternacht auf das Festgelände. Mit Gebeten und Gesängen stimmten
sie sich auf die Feier ein. Bei der Anreise gab es entgegen den Spekulationen vom
Vortag keine Verkehrshindernisse. Die Pegelstände der Flüsse entlang der Zufahrtsstraßen
sanken im Lauf der Nacht um 35 bis 40 Zentimeter. Das Mittagessen wird Benedikt
XVI. zu einer Begegnung mit den österreichischen Bischöfen nutzen. Am Nachmittag
steht eine Marienvesper in der Wallfahrtsbasilika auf dem Programm. An dem Gebetsgottesdienst
mit dem Papst werden vor allem Priester, Ordensleute und Priesterseminaristen
teilnehmen.