2007-09-08 09:46:18

"Wir brauchen Wahrheit" - Papst feiert Messe in Mariazell


Mariazell ist für Österreich und weit darüber hinaus ein "Ort des Friedens und der versöhnten Einheit" geworden, sagte Papst Benedikt XVI. am Samstag bei der Festmesse zum 850-Jahr-Jubiläum des steirischen Heiligtums. Zugleich betonte der Papst die entscheidende Bedeutung der Wahrheit.

Der Glaube setze sich entschieden der Resignation entgegen, "die den Menschen als der Wahrheit unfähig ansieht", betonte Benedikt XVI. und sagte wörtlich: "Diese Resignation der Wahrheit gegenüber ist der Kern der Krise des Westens, Europas". Wenn es Wahrheit für den Menschen nicht gebe, dann könne er letztlich auch nicht Gut und Böse unterscheiden. Dann würden auch die "großen und großartigen Erkenntnisse der Wissenschaft zweischneidig": Sie könnten bedeutende Möglichkeiten zum Guten, zum Heil des Menschen sein, sie könnten aber auch zu furchtbaren Bedrohungen, zur Zerstörung des Menschen und der Welt werden. Wörtlich sagte der Papst weiter: "Wir brauchen Wahrheit. Aber freilich, auf Grund unserer Geschichte haben wir Angst davor, dass der Glaube an die Wahrheit Intoleranz mit sich bringe. Wenn uns diese Furcht überfällt, die ihre guten geschichtlichen Gründe hat, dann wird es Zeit, auf Jesus hinzuschauen, wie wir ihn hier im Heiligtum von Mariazell sehen: Als Kind auf dem Arm der Mutter und über dem Hochaltar der Basilika als Gekreuzigten. Diese beiden Bilder sagen: Wahrheit setzt sich nicht mit äußerer Macht durch, sondern sie ist demütig".
Zweifellos hätten viele große Persönlichkeiten in der Geschichte "schöne und bewegende Gotteserfahrungen" gemacht, stellte der Papst fest. Aber es seien menschliche Erfahrungen mit ihrer menschlichen Begrenztheit. Nur Christus sei Gott, nur er könne die Brücke sein,die Gott und Mensch zueinander kommen lässt. Wenn die Christen Jesus den einzigen "Mittler des Heils" nennen, so sei dies keine Verachtung der anderen Religionen und keine "hochmütige Absolutsetzung des eigenen Denkens".
Gott habe sich "klein gemacht", erinnerte der Papst an die zentrale Glaubensüberzeugung des Christentums, dass Gott in Jesus Mensch, Kind geworden ist. Benedikt XVI.: "Gott kommt nicht mit äußerer Macht, sondern in der Ohnmacht seiner Liebe". Gott lade die Menschen ein, selbst klein zu werden und das Kindsein vor Gott zu erlernen. Das Kind Jesus erinnere auch an alle Kinder dieser Welt, etwa an die Kinder, die in der Armut leben, die als Soldaten missbraucht werden, die nie die Liebe der Eltern erfahren durften, an die kranken und leidenden, aber auch an die fröhlichen und gesunden Kinder. Europa sei - so der Papst - arm an Kindern geworden: "Wir brauchen alles für uns selber, und wir trauen wohl der Zukunft nicht recht".
"Christentum ist kein Moralsystem"
Das Motto "Auf Christus schauen" bedeutet auch einen Blick auf den Gekreuzigten. Denn Gott habe die Welt "nicht durch das Schwert, sondern durch das Kreuz erlöst". Sterbend breite Jesus die Arme aus. Er habe die Passion, sein Leiden und seinen Tod in Gebet umgewandelt, in einen "Akt der Liebe zu Gott und zu den Menschen".
Das Leitwort "Auf Christus schauen!" bedeute auch, dass das Christentum "mehr und etwas anderes ist als ein Moralsystem", mehr als eine "Serie von Forderungen und von Gesetzen". Es sei das Geschenk einer Freundschaft, die im Leben und im Sterben trägt. Aber gerade weil das Christentum mehr ist als Moral, trage es in sich auch eine "große moralische Kraft". Es sei zunächst ein "Ja zu einem Gott, der uns liebt und der uns führt, der uns trägt und uns doch unsere Freiheit lässt". Es sei auch ein Ja zur Familie (4. Gebot), ein Ja zum Leben (5. Gebot), ein Ja zu verantwortungsbewusster Liebe (6. Gebot), ein Ja zur Solidarität, zur sozialen Verantwortung und zur Gerechtigkeit (7. Gebot), ein Ja zur Wahrheit (8. Gebot) und ein Ja zur Achtung anderer Menschen und dessen, was ihnen gehört (9.und 10. Gebot). Papst Benedikt XVI.: "Aus der Kraft unserer Freundschaft mit dem lebendigen Gott heraus leben wir dieses vielfältige Ja und tragen es zugleich als Wegweisung in unsere Welt hinein."


Papst Benedikt XVI. hat seine Österreich-Reise am Samstagmorgen mit einem Besuch im Wallfahrtsort Mariazell fortgesetzt. Wegen des anhaltend schlechten Wetters, Nebel und
Luftturbulenzen konnte der Papst nicht wie geplant mit dem Helikopter von Wien anreisen, sondern machte sich in einem Autokonvoi auf den Weg.
Benedikt XVI. traf gegen 9.45 Uhr im Autokonvoi auf dem Flugfeld ein, zusammen mit Kardinal Christoph Schönborn, dem Grazer Bischof Egon Kapellari, in dessen Diözese Mariazell liegt, sowie mit Bundespräsident Heinz Fischer und dessen Frau Margot sowie Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Der Papst fuhr anschließend im "Papamobil" eine Runde durch das Festgelände auf dem Sportplatz am Rande des Wallfahrtsortes, wo ein Teil der Pilger den Gottesdienst mit dem Papst über Großbildschirm mitfeiert. Dann fuhr das "Papamobil" durch das Städtchen hinauf zum Festplatz vor der Basilika, wo Benedikt XVI. ebenfalls mit großer Begeisterung und "Benedetto"-Rufen empfangen wurde.

Unter der Klängen des Marienliedes "Glorreiche Königin" zog der Papst in die Mariazeller Basilika ein. Er kniete vor der Gnadenstatue zum Gebet nieder und rezitierte das marianische Schlussgebet aus seiner ersten Enzyklika "Deus caritas est".
In seiner Begrüßung zum Beginn der Messfeier hatte der steirische Diözesanbischof Egon Kapellari auf das schlechte Wetter Bezug genommen und die Begeisterung der Pilger "trotz allen Regens" gewürdigt. Auch wenn die Sonne nicht scheine, hätten die Gläubigen die "Sonne der Gerechtigkeit" im Herzen, "ernsthafte Christen" seien "geistlich wetterfest" und müssten manchmal auch "leiblich wetterfest" sein.

Kapellari erläuterte die Bedeutung des "schlichten alten Gnadenbildes", das in einer Prozession in die Mitte der Versammlung gebracht worden war. Die Gnadenstatue bedeute, dass Maria den Gläubigen helfen will, "auf Christus zu schauen und zu hören und ihn auch anderen Menschen zu zeigen". Beim Mitteleuropäischen Katholikentag im Jahr 2004 in Mariazell hätten die Bischöfe der acht daran beteiligten Länder eindringlich an diesen Auftrag der Christen erinnert, anderen Menschen Christus zu zeigen. Millionen glaubender oder nach dem Glauben suchender Menschen hätten Mariazell als "eine durch die Fürsprache Mariens reichlich fließende Quelle göttlicher Gnade erlebt", diese Quelle fließe auch heute. Mariazell sei, so Bischof Kapellari, eine "wahrhaft europäische Adresse". Dieses Heiligtum sei mit großartiger Hilfe vieler Menschen und ihrer Gemeinschaften glanzvoll erneuert worden. Kapellari begrüßte die Pilger aus vielen Ländern und in besonderer Weise "im Gedenken an die zeitgleich stattfindende Dritte Europäische Ökumenische Versammlung" in Sibiu die Vertreter der Ökumene. Die besondere geographische Situation der Basilika Mariazell habe ja eine starke Begrenzung der Zahl der Mitfeiernden verlangt. Die Pilger aus ganz Österreich würden aber alle Pfarren und alle anderen kirchlichen Gemeinschaften Österreichs vertreten und miteinander ein "buntes Spektrum der katholischen Kirche in Österreich und der ganzen katholischen Weltkirche" bilden.

In herzlichen Worten formulierte Bischof Kapellari den Dank an den Papst, dass er trotz seiner "weltweiten Aufgaben" zum 850-Jahr-Jubiläum des Heiligtums nach Mariazell gekommen sei. Der Besuch des Papstes sei eine Hilfe, den Auftrag, den Menschen Christus zu zeigen, tiefer zu erfassen und anzunehmen. Abschließend formulierte der steirische Bischof in zehn Sprachen den "alten katholischen Gruß": "Gelobt sei Jesus Christus", auch "in der alten Sprache unserer Mutter Kirche auf lateinisch" (Laudetur Jesus Christus!).

Die Messe zum 850-jährigen Bestehen des steirischen Marienheiligtums ist der Höhepunkt der dreitägigen Reise des Kirchenoberhaupts. Die Gnadenkapelle mit der aus Lindenholz
geschnitzten romanischen Marienstatue gilt als Nationalheiligtum Österreichs und hat Bedeutung über die Landesgrenzen hinaus.
Auch die Pilger ließen sich nicht vom Regen abhalten. Nach Angaben der Organisatoren waren bereits um 9.00 Uhr fast alle der 33.000 angemeldeten Pilger eingetroffen. Die Stimmung unter den Gläubigen sei gut, hieß es. Die Situation erinnere an den Mitteleuropäischen Katholikentag 2004, als sich die Teilnehmer an der «Wallfahrt der Völker» als «wetterfeste Christen» erwiesen hätten.
Die ersten Pilger kamen schon ab Mitternacht auf das Festgelände. Mit Gebeten und Gesängen stimmten sie sich auf die Feier ein. Bei der Anreise gab es entgegen den Spekulationen vom Vortag keine Verkehrshindernisse. Die Pegelstände der Flüsse entlang der Zufahrtsstraßen sanken im Lauf der Nacht um 35 bis 40 Zentimeter.
Das Mittagessen wird Benedikt XVI. zu einer Begegnung mit den österreichischen Bischöfen nutzen. Am Nachmittag steht eine Marienvesper in der Wallfahrtsbasilika auf dem Programm. An dem Gebetsgottesdienst mit dem Papst werden vor allem Priester,
Ordensleute und Priesterseminaristen teilnehmen.

(kap 08.07.2007 mc)









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