Papst an Politiker: Grundsatzrede zu Europa und Menschenrechten
Papst Benedikt XVI.
hat am Abend in der Wiener Hofburg vor Vertretern der österreichischen Politik und
des diplomatischen Corps eine Grundsatzrede zur Rolle Europas gehalten und sich für
die Menschenrechte und den Schutz des Lebens ausgesprochen. „Abtreibung kann demgemäß
kein Menschenrecht sein - sie ist das Gegenteil davon.“ Der Papst forderte neue
gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Europa habe eine „einmalige Verantwortung in
der Welt“, so Benedikt XVI. an „historischer Stätte“.
Hier die Kernsätze der
Ansprache: Europa kann und darf seine christlichen Wurzeln nicht verleugnen.
Sie sind ein Ferment unserer Zivilisation auf dem Weg in das dritte Jahrtausend. Das
Christentum hat diesen Kontinent zutiefst geprägt, wovon in allen Ländern, gerade
auch in Österreich, nicht nur die unzähligen Kirchen und bedeutenden Klöster Zeugnis
geben.
Freilich hat Europa auch schreckliche Irrwege erlebt und erlitten.
Dazu gehören: ideologische Engführungen von Philosophie, Wissenschaft und auch Glaube,
der Missbrauch von Religion und Vernunft zu imperialistischen Zielen, die Entwürdigung
des Menschen durch einen theoretischen oder praktischen Materialismus und schließlich
die Degeneration von Toleranz zu einer Gleichgültigkeit ohne Bezug zu bleibenden Werten.
Zu den Eigenschaften Europas gehört aber eine Fähigkeit zur Selbstkritik, die es im
weiten Fächer der Weltkulturen besonders auszeichnet.
In Europa ist zuerst
der Begriff der Menschenrechte formuliert worden. Das grundlegende Menschenrecht,
die Voraussetzung für alle anderen Rechte, ist das Recht auf das Leben selbst. Das
gilt für das Leben von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende. Abtreibung kann
demgemäß kein Menschenrecht sein – sie ist das Gegenteil davon. Sie ist eine „tiefe
soziale Wunde“, wie unser verstorbener Mitbruder Kardinal Franz König zu betonen nicht
müde wurde.
Ich verschließe nicht die Augen vor den Problemen und Konflikten
vieler Frauen und bin mir dessen bewusst, dass die Glaubwürdigkeit unserer Rede auch
davon abhängt, was die Kirche selbst zur Hilfe für betroffene Frauen tut.
Ich
appelliere deshalb an die politisch Verantwortlichen, nicht zuzulassen, dass Kinder
zu einem Krankheitsfall gemacht werden und dass die in Ihrer Rechtsordnung festgelegte
Qualifizierung der Abtreibung als ein Unrecht faktisch aufgehoben wird.
Wir
bestärken Sie auch nachdrücklich in Ihren politischen Bemühungen, Umstände zu fördern,
die es jungen Paaren ermöglichen, Kinder aufzuziehen.
Mit großer Sorge erfüllt
mich auch die Debatte über eine aktive Sterbehilfe. Es ist zu befürchten, dass eines
Tages ein unterschwelliger oder auch erklärter Druck auf schwerkranke und alte Menschen
ausgeübt werden könnte, um den Tod zu bitten oder ihn sich selbst zu geben. Die richtige
Antwort auf das Leid am Ende des Lebens ist Zuwendung, Sterbebegleitung – besonders
auch mit Hilfe der Palliativmedizin – und nicht „aktive Sterbehilfe“. Um eine humane
Sterbebegleitung durchzusetzen, bedürfte es freilich baldigst struktureller Reformen
in allen Bereichen des Medizin- und Sozialsystems und des Aufbaus palliativer Versorgungssysteme.
… Viele andere Menschen müssen bereit sein bzw. in ihrer Bereitschaft ermutigt werden,
sich die Zuwendung zu schwer Kranken und Sterbenden Zeit und auch Geld kosten zu lassen.
Die
Europäische Union sollte darum eine Führungsrolle bei der Bekämpfung der Armut in
der Welt und im Einsatz für den Frieden übernehmen.