Zur Diskussion um das Subsistit: „Was bedeutet Einheit?“ Prof. Thönissen
vom Möhler-Institut für Ökumenik
Seit Erscheinen des
Papiers der Glaubenskongregation mit dem Titel „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten
bezüglich der Lehre über die Kirche“ reißen die Diskussionen nicht ab; besonders von
evangelischer Seite wird das Papier immer wieder als Angriff auf die Ökumene gedeutet.
Wir haben mit Prof. Wolfgang Thönissen gesprochen, er ist der Leiter des Johann-Adam-Möhler-Institut
für Ökumenik in Paderborn. Es ist in Trägerschaft des Erzbistums Paderborn und gilt
als die führende katholische Ökumeneforschungsinstitution in Deutschland: In
den Diskussionen geht es zurzeit vor allem um die Frage, was „wahres Kirchesein“ bedeutet.
Ist nur die katholische Kirche die wahre Kirche?
„Ich denke das wichtigste
ist zunächst einmal, sich zu erinnern, in welchem Zusammenhang das jetzige, neue Papier
der Glaubenskongregation steht. Es geht um das Zweite Vatikanische Konzil, es geht
innerhalb der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils um die Kirchenkonstitution „Lumen
Gentium“. Diese Kirchenkonstitution ist die erste Zusammenschau der katholischen Kirche
über das, was die Kirche von sich selbst glaubt, was die Kirche über sich selbst lehrt.
Das ist zum ersten Mal in der Kirchengeschichte mit dieser Kirchenkonstitution geschehen.
Das dritte ist, dass das Zweite Vatikanische Konzil auch das erste Konzil ist, das
nach außen geblickt hat. Und zwar in einer positiven Weise. Zum Staat, zu den Gesellschaften
hin und auch zu den christlichen Kirchen und zu den anderen Religionen. Dazu hat das
Konzil eine ganze Reihe von wichtigen Dokumenten erlassen, und in diesem Zusammenhang
steht jetzt auch diese neuere Erklärung. Dazu muss man jetzt noch genauer sagen: Es
geht gar nicht um das Thema der wahren Kirche, oder der rechtmäßigen Kirche. Das ist
ein Thema, dass erst in der Neuzeit aufgekommen ist und das eher von fundamentaltheologischer
Bedeutung ist. Sondern was die Kirche sagen will ist, es geht um die Einheit der Kirche
Jesu Christi, an die wir glauben. Das ist das Thema im Glaubensbekenntnis und darum
wollen wir uns auch bemühen, dieses Bekenntnis zu der einen Kirche klarzumachen.“
Es
gibt offensichtlich unterschiedliche Ansichtsweisen, was diese Einheit bedeutet.
Hier
muss man zunächst einmal historisch sagen, dass die katholische Kirche immer das Bekenntnis
zur Einheit der Kirche hochgehalten hat, über all die 2000 Jahre. Was sich in dieser
Zeit, vor allen Dingen nach der Spaltung der Christenheit in der Reformationszeit
gezeigt hat, ist, dass sich hier über die kontroverstheologische Auseinandersetzung,
jedenfalls im 20. Jahrhundert, eine neue Bewegung eingespielt hat, die wir die ökumenische
Bewegung nennen. Also das Miteinander der Christen, dass sie miteinander beten können,
dass sie miteinander die Bibel lesen können, dass sie vieles gemeinsam miteinander
tun können, auch wenn die Differenzen noch sehr groß sind. Dieses Anliegen vertritt
die Katholische Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil voll und ganz. Allerdings
stehen unterschiedliche Auffassungen dahinter. Man könnte, wenn man eine Grobeinteilung
machen wollte, folgendes sagen. Der Ökumenische Rat vertritt ein Konzept von Einheit,
dem viele verschiedene, sehr differente Kirchengemeinschaften angehören. Demgegenüber
steht das Verständnis eines Kirchenbundes. Etwa die evangelischen Kirchen in Deutschland
haben über lange Jahre hinweg ihre Einheit untereinander im Sinne eines, eher lockeren
Bundes verstanden. Demgegenüber steht dann die katholische Auffassung, es gibt diese
eine Kirche, sie ist in der katholischen Kirche da. Das schließt aber nicht aus, dass
diese Kirche in sich sehr vielfältig sein kann, auch das hat das Konzil sehr deutlich
herausgestellt. So hätte man jetzt drei verschiedene Konzepte von Einheit, über die
wir derzeit auch im ökumenischen Umfeld streiten.“
Was ist der eigentliche
Streitpunkt, offenbar sind das doch sich widersprechende Konzepte.
„Das
sind sicherlich sich widersprechende Konzepte, der springende Punkt ist, wie wir die
Vielfalt der Kirchen, oder die Vielfalt der Gemeinschaften auf das Bekenntnis der
Einheit beziehen. Das hat schon der Ökumenische Rat der Kirchen vor über 50 Jahren
gesehen. Das man vor der Tatsache steht, dass jede Kirche ein eigenes Verständnis
von ihrer Einheit besitzt und das sie dieses in das ökumenische Gespräch einbringt.
Es ist die Erkenntnis des Ökumenischen Rates und der ökumenischen Bewegung insgesamt
gewesen, dass die Einheit der Kirche Jesu Christi eine Gabe ist, die die Kirchen aufnehmen
müssen und die sie in eine sichtbare Form oder Struktur einbringen müssen. Das ist
das entscheidende Problem. Wie können wir angesichts der unterschiedlichen Kirchenverständnisse
und der Vielfalt der Kirchen in der Welt eine solche sichtbare Einheit verwirklichen.
Auch da hat es in den letzten Jahrzehnten einen Erkenntnisfortschritt gegeben. Wir
wissen heute, dass diese eine Kirche kein monolithischer Block ist, nicht eine einzige
Kirche mit einer einzigen Organisationsstruktur, einer einzigen Theologie, einer einzigen
Liturgie. Wie können wir eine sichtbare Form dieser einen Kirche verwirklichen, ohne
diese Vielfalt zu vernachlässigen?“
Stimmt es, wie manche Protestanten
befürchten, dass die katholische Kirche daran festhält, dass Evangelische katholisch
werden müssen?
„Das setzt jetzt wieder voraus, dass man sagt, was ist
das „katholisch“? Im Glaubensbekenntnis glauben wir und sprechen das auch aus. Wir
glauben an die eine, heilige, katholische Kirche. Das ist die Grundherausforderung,
wie diese Katholizität in jeder Kirche zum Ausdruck kommt. Hier hat die katholische
Kirche gesagt, dass es dazu der Einheit im Glauben, in den Sakramenten und im kirchlichen
Amt bedarf. Einschlussweise auch des Amtes des Bischofs von Rom. Das ist die Herausforderung,
die die römische Kirche stellt. Sie stellt sowohl für die orthodoxen Kirchen wie für
die anglikanischen Kirchen, die lutherische Kirche und viele andere Kirchen die Herausforderung
dar. Das also im Verständnis des kirchlichen Amtes, zugleich eben auch die besondere
Stellung des Bischofs von Roms mitgedacht werden muss.“
Wo liegen, auch
gerade nach diesem Papier, die Missverständnisse?
„Die Missverständnisse
scheinen mir darin zu liegen, dass man meint, die katholische Kirche würde gegen andere
ein Einheitsverständnis verwirklichen, das andere ausschließt. Ich denke das ist das
entscheidende Missverständnis. Das man etwas für sich reklamiert, um damit andere
auszuschließen. Ich denke das hat das Zweite Vatikanische Konzil und die katholische
Kirche so nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nie gesagt und auch nie gewollt. Es
geht umgekehrt um ein einschlussweises Denken. Man will die anderen nicht ausschließen
, man schließt sie ein, man lädt sie ein, in diese der Einheit der Kirche mitzumachen.
Wie das Konzept der Einheit im Einzelnen aussieht, müssen wir im Augenblick aus ökumenischer
Weise, auch mit Blick auf die verschiedenen Konzepte, einfach offen lassen. Das Mißverständnis,
um es noch einmal zu sagen, liegt darin, dass man meint, die katholische Kirche propagiere
ein klares römisch-katholisches Konzept, dem man nur zustimmen könne oder das man
ablehnen kann. Das ist ein falsches Verständnis.“
Glauben Sie denn,
dass dieses Papier in diesem Sinne hilfreich war?
„Ob das Papier jetzt
in diesem Augenblick hilfreich ist, kann man kann man natürlich auch von einer anderen
Seite aus bedenken, aber ich denke wir sollten uns in der Ökumene auch nicht mit Illusionen
herumplagen, wir sollten klar und deutlich reden. Deswegen denke ich, das Problem,
das wir derzeit auf der theologischen, akademischen Ebene haben, ist das Nachdenken
über die Frage „Was ist die Kirche?“, „Wie sieht die Kirche aus?“, „Welche Gestalt
muss die Kirche haben?“. Diese Fragen haben wir lange vor uns hergeschoben, und deswegen
ist es wichtig, dass wir sie jetzt auf die Tagesordnung setzen. Dass das nicht ohne
einen gewissen theologischen Streit abgeht, ist klar, aber es bedeutet nicht, dass
wir uns jetzt wiederum gegenseitig ausschließen sollten.“
Könnte das
auch bedeuten, dass im Laufe dieser Diskussionen und des ökumenischen Dialogs auch
das Kirchenverständnis der katholischen Kirche selber sich verändert?
„Das
ist richtig, aber das gilt ja auch für das katholische Kirchenverständnis etwa seit
der Zeit der Aufklärung. Denken Sie nur an das berühmte Werk des katholischen Theologen,
Johann Adam Möhler. Möhler hat über die Einheit in einer völlig neuen Weise nachgedacht.
Und erst das Zweite Vatikanische Konzil hat 150 Jahre später seine Gedanken aufgenommen,
um sie in einer größeren theologischen Zusammenschau herauszustellen. Darin zeigt
sich auch, dass das Kirchenverständnis sich, ich will nicht sagen verändert, aber
doch vertieft, dass es in einem größeren Zusammenhang dargestellt wird, das einzelne
Aspekte klarer herausgearbeitet werden können. Das gilt für die katholische Kirche
selbst und ihr Kirchenverständnis und das gilt erst recht für das Ringen um ein gemeinsames
Verständnis. Ich meine, dass das die eigentliche Herausforderung ist, vor der wir
stehen. Wir können doch in dieser so pluralen Welt nicht so tun, als hätten wir nicht
innerhalb der Ökumene ein riesiges Problem. Jeder redet so, wie er meint, es verantworten
zu können. Aber die eigentliche und entscheidende Herausforderung ist doch die, wie
wir das gemeinsam tun können. Und das ist auch für die katholische Kirche eine Herausforderung,
die anderen einzuladen, zu einem solchen Dialog, über ein gemeinsames christliches
Sprechen in der Welt, gemeinsam Verantwortung wahrnehmen. Das gilt für alle Christen.“
Was
empfehlen Sie ökumenisch engagierten Menschen in den Gemeinden vor Ort?
„Ich
denke weiterzumachen, was wir uns in der ökumenischen Bewegung insgesamt auf die Fahne
geschrieben haben: Dieser uns gegebenen Einheit der Kirche Jesu Christi auch sichtbar
Gestalt zu geben. Ich kann mir kein christliches Bekenntnis vorstellen, das nicht
im Kern von dieser Überzeugung von der Einheit der Kirche ausgeht. Zum Glauben an
Jesus Christus gehört immer auch, dass es eine Gemeinschaft, eine Gemeinsamkeit gibt.
Ich denke das ist die Herausforderung und wenn man diese Herausforderung sieht, kann
man auch in den einzelnen Gemeinden vor Ort sagen, wir wollen ausdrücken, dass wir
gemeinsam glauben, das wir gemeinsam unseren Glauben in dieser Welt leben und dass
wir ihn auch gemeinsam verantworten. Das wir im Blick auf die gesellschaftlichem Verhältnisse
zeigen, dass beispielsweise der Sonntagsschutz ein ganz wesentliches Thema unserer
christlichen Gemeinden ist. Das ist wichtig für ein gemeinsames Handeln. Das hat es
in den letzten Jahren auch immer, an vielen Orten gegeben und das wird jetzt auch
nicht anders sein.“