Der Präsident des europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, hat die völkerrechtliche
Rolle der Katholischen Kirche verteidigt. Er wandte sich gegen Vorschläge, den Heiligen
Stuhl nur noch als "Nichtregierungsorganisation" (NGO) zu verstehen. Pöttering nimmt
zur Zeit an einem Treffen der katholischen Bewegung „Communione e Liberazione“ in
Rimini teil. Lesen Sie hier das Interview:
Der Heilige Stuhl spielt
auf der Weltbühne eine ganz besondere Rolle, es mehren sich allerdings die Vorstöße
(u.a. von der Regierung von Uganda, oder auch der britischen Zeitung „The Economist“),
den diplomatischen Sonderstatus des Heiligen Stuhls zu beschneiden, und ihn nur als
eine Nichtregierungsorganisation zu behandeln. Was halten sie von diesen Vorstößen?
Ich
glaube, dass dies keine guten Vorschläge sind, denn wir stehen in der Kontinuität
unserer europäischen und auch christlichen Geschichte. Es stellt auch niemand – weil
Sie ja Großbritannien genannt haben – das Commonwealth in Frage, da könnte man ja
auch sagen, das ist etwas, das nicht in unsere Zeit gehört. Ich denke, dass der spirituelle
Einfluss der Kirche dadurch noch unterstützt werden kann, dass die Kirche die Rolle
spielt, die sie heute auch staats- und völkerrechtlich in der Welt spielt. Diese Position
der Kirche wird ja nicht zu irgendwelchen Zwecken der Dominanz und der Vorherrschaft
gebraucht, sondern sie wird ja genutzt, um den Menschen zu dienen. Deswegen sollte
man auch die offizielle Funktion der Kirche im diplomatischen Sinne im Dienst der
Menschen sehen. Da hat diese staats- und völkerrechtliche Position der Kirche einen
großen Wert, und wir sollten das verteidigen!
Sie nehmen an dem
Treffen von „Communione e Liberazione“ in Rimini teil, und sprechen auf einem Podium
zum Thema „Welche Identität für Europa.“ Was glauben Sie gehört wesentlich zur Identität
Europas?
Wir haben eine lange europäische Geschichte, die bestimmt
ist von vielen geistigen und religiösen Entwicklungen, und zu unserer europäischen
Identität gehört ohne jeden Zweifel die griechische Philosophie, das römische Recht,
die Aufklärung, aber insbesondere auch unser christliches Erbe. Der Kern dieses christlichen
Erbes ist die Würde des Menschen; das ist für uns als Christen sozusagen das Herz
unserer europäischen Identität.
Dass Europa vor allem christliche
Wurzeln hat ist klar. Dennoch fürchten manche einen neuen Hegemonieanspruch der Kirche.
Wie glauben Sie könnten die christliche Wurzeln im aktuellen politischen Diskurs zum
Tragen kommen?
Wir sind in der europäischen Union, wie auch in den
Mitgliedsstaaten der europäischen Union eine pluralistische Gesellschaft; kein Teil
der Gesellschaft hat die vorherrschende Stellung; niemand hat eine Dominanz. Jede
gesellschaftliche Gruppierung, jedes Bekenntnis, jede politische Meinung kann die
Chancen nutzen, um sich in der Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Ich als Christ bekenne
mich dazu, dass wir insbesondere die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellen
sollten. Jeder Mensch ist einzigartig, unabhängig von seinen finanziellen oder intellektuellen
Möglichkeiten, unabhängig von der Frage, wo man herkommt: Jeder hat seinen eigenen
Wert; und dieses deutlich zu machen und auch den Wert des Lebens deutlich zumachen,
glaube ich, ist das wirklich christlich.
Trotz des Erfolgs
von Europa gibt es aber immer noch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, Stichwort
Arbeitslosigkeit, Verteilungsgerechtigkeit unter den Ländern, bioethische Fragestellungen,
die zum Teil sehr unterschiedlich geregelt sind wie Euthanasie und in der Forschung.
Kann da die beschworene „Identität Europas “ eine Rolle zur Lösung der Probleme spielen?
Zunächst
einmal muss man immer wieder darauf hinweisen – und Christen haben dafür ein besonderes
Verständnis – dass es die vollkommene Gesellschaft, oder anders ausgedrückt, das Paradies
auf Erden, nicht geben kann und nie geben wird. Deswegen wird es immer Defizite, immer
Unzulänglichkeiten geben. Der Mensch ist mit der Freiheit ausgestattet, das bedeutet
auch, dass der Mensch mit anderen in einem ständigen Dialog und Ringen ist um die
richtigen Wege oder auch um die Wahrheit. Und da ist es nur ganz natürlich, dass man
nach Wegen sucht, wie wir am besten das menschliche Leben verteidigen können. Dass
es da unterschiedliche Meinungen gibt, das entspricht unserm Intellekt und den Möglichkeiten,
die der Mensch aufgrund seines freien Willens hat. Das ist etwas ganz Natürliches.
Was erhoffen Sie sich von diesem Treffen?
Ich
erhoffe mir von diesem Treffen, dass es ein Dialog sein wird über den Weg dieser Welt,
über den Weg Europas. Für mich ist es das erste Mal, dass ich als Präsident des europäischen
Parlamentes bin. Aber ich war schon vor zwei Jahren in meiner Eigenschaft als Vorsitzender
der Europäischen Volkspartei (EVP) im europäischen Parlament, der Fraktion der Christdemokraten.
Ich finde es eine wunderbare Sache, dass es hier einen Dialog gibt, natürlich vorrangig
unter Italienern, aber mit Persönlichkeiten aus aller Welt. Hierzu einen Beitrag zu
leisten aus der Sicht des europäischen Parlaments, ist eine schöne Sache, und deswegen
habe ich die Einladung meines Kollegen und Freundes, des Vizepräsidenten des Europäischen
Parlaments Mario Mauro sehr gerne angenommen. Es muss darum gehen, das Werden Europas,
die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, die Werte der Europäischen Union hier
deutlich zu machen, und ich bin dankbar dafür, dass mir diese Möglichkeit gegeben
wird.
Das Gespräch führte P. Max Cappabianca OP (rv 19.08.2007 mc)