2007-08-09 12:58:33

Zum Tag der Indigenen Völker: Unser Dossier Australien.


RealAudioMP3 Wieder einmal lenken neue Berichte das Augenmerk auf Australiens Ureinwohner, die so genannten Aborigines. Dabei geht es nicht um Land-Rückforderungen oder Spiritualität, sondern um immer neue Fälle von Kindesmissbrauch und –misshandlung in Aborigine-Familien. Der jüngste Fall, der für Schlagzeilen sorgte, ist ein kleines Mädchen, das von seiner Familie in die Waschmaschine gesteckt und dadurch richtiggehend gefoltert wurde.
Die australische Regierung hat wegen der Fälle von Kindesmissbrauch im Zentrum und im Norden des Landes jetzt ein Alkohol- und Pornografieverbot erlassen, das vor allem die indigene Bevölkerung trifft. Alle dort lebenden Kinder unter 16 Jahren müssen sich medizinisch untersuchen lassen. Sondereinheiten der Polizei sollen in die Gemeinden geschickt werden, um für Ordnung zu sorgen. Ministerpräsident John Howard sprach im Parlament von „nationalem Notstand“: "Hier geht es um Kinder im zartesten Alter, die praktisch von Geburt an schrecklich misshandelt wurden." Pater Assali Rice ist Aborigine-Seelsorger und gehört selbst zu den Ureinwohnern; er will die Probleme nicht wegleugnen. „Diese Probleme gehen auf eine ganze Reihe von Faktoren zurück. Zum einen auf die immer noch spürbaren Auswirkungen der Kolonialisierung. Ich halte es in dieser Hinsicht für einen großen Fehler, dass die Regierung nicht die Ältesten der Aborigines anhört und aktiv mit einbezieht. Die Leute ignorieren die kulturelle Weltsicht der Aborigines; sie machen sich keine Vorstellung von der Vielfalt der Aborigine-Gruppen hier; und es gibt auch zuwenig Unterstützung für die Ureinwohner-Verbände. Ein weiterer Faktor ist die Armut. Fehlender Wohnraum, schlechte Gesundheitsversorgung in Alice Springs…“
„Wenn ich in die Camps gehe und nach den Gründen frage, dann sagen mir alle: Was sollen wir denn machen? Wir haben eine hohe Arbeitslosigkeitsrate – die Leute haben nichts zu tun, die kriegen Sozialhilfe vom Staat, die man hier „Setz-dich-hin-Geld“ nennt, und dann trinken sie, weil sie nichts anderes zu tun haben. Die kommen doch nie in den richtigen Arbeitsmarkt rein, weil es da zu hohe Anforderungen gibt; wir haben unter Ureinwohnern eine steigende Selbstmord-Rate. Ich habe in letzter Zeit als Priester immer mehr Selbstmörder begraben…“
Der Inspektorenbericht für die Regierung zeigt von neuem eindringlich, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern in den Aborigine-Gemeinden ein gravierendes Problem ist. Und dabei spielt Alkohol eine große Rolle. Alle 38 Stunden stirbt in den Northern Territories ein Ureinwohner an den Folgen von Alkoholmissbrauch. In Australien leben etwa 460.000 Aborigines, die damit rund zwei Prozent der Bevölkerung stellen. Die Ureinwohner gehören seit Jahrzehnten zu der am stärksten benachteiligten Bevölkerungsminderheit.
„Die Lage ist im Moment ziemlich dramatisch“, sagt Pater Rice; „den Aborigines ist außerdem gar nicht wohl, was die Art und Weise betrifft, in der die Regierung mit ihnen umspringt. Wir stellen uns viele Fragen, was die Einzelheiten der Regierungs-Vorschläge betrifft… Und ich muss sagen, die Ureinwohner machen sich begründete Sorgen: zunächst einmal, weil sie die Berichterstattung in den Medien im Moment wie eine Kampagne erleben. Das ist immer nur gegen sie; die Mehrheitsgesellschaft will offenbar nichts von ihnen wissen, und darum ziehen sie sich in ein Schneckenhaus zurück und verlieren den Mut, die Probleme anzugehen.“
Eine Sprecherin der Aborigines kritisierte die Maßnahmen der Regierung als rassistisch. Kindesmissbrauch habe "kein schwarzes Gesicht". Wenn man es ernst meine mit dem Kampf gegen sexuellen Missbrauch, dann solle er "in der ganzen Gesellschaft" geführt werden. Die Regierung nehme den Aborigines ihre Würde und ihre Bürgerrechte, so die Sprecherin.
„Es gibt schon so ein Element von Rassismus hier“, bestätigt der eingeborene Priester – „das erlebe ich auch am eigenen Leib als Seelsorger; ein landesweites Gefühl des Unbehagens. Sozusagen normale Australier haben nicht den mindesten Schimmer davon, was in Aborigine-Gemeinden los ist; die Leute halten sich also auf Distanz.“ Dabei will Pfarrer Rice die „Weißen“ – in Anführungszeichen - aber nicht einfach nur anklagen. „Oh ja – man kann schon sagen, dass sich die Regierung wirklich bemüht. Aber in Alice Springs herrschen noch Lebensbedingungen wie in einem früheren Jahrhundert. Die Regierung tut schon sehr viel, um die Infrastruktur zu verbessern, und man muss ihren Eifer anerkennen – aber es wirkt einfach nicht, was sie versucht.“
Die Lebensbedingungen der Ureinwohner seien einfach nicht menschenwürdig, so der Seelsorger eindringlich. „Ich komme gerade von einem Besuch in einem dieser Camps zurück. Da gibt es keinen Strom; die Hauswände sind dünn wie Papier; wir haben hier Winter, ein Grad minus, es gibt keine Heizungen…“
„Es gibt fließend Wasser, aber die hygienischen Verhältnisse sind nicht gut. Viele der Camps haben keine Straßenbeleuchtung, und es kommt zu vielen sozialen Problemen wegen der Überfüllung der engen Wohnungen. In einem Raum schlafen oft mehr als zehn Personen; auch schon mal zwanzig.“
Die Ausweglosigkeit, das Fehlen jeder Perspektive, die Armut macht die Ureinwohner krank, sagt Pater Rice. „Schon die kleinen Kinder sind krank vor Armut. Ich sehe bei meinen Reisen aber auch eine dramatisch schlechte Gesundheitsversorgung in den entlegeneren Gebieten – da klafft eine große Lücke zwischen den Ureinwohnern und der Mehrheits-Gesellschaft.“
Was tun also? Mit kleinen Retuschen hier und da, selbst mit noch so gut gemeinten Hilfen aus Canberra wäre es nicht getan, sagt der Aborigine-Seelsorger durchaus selbstkritisch. „Ich glaube persönlich, der Schlüssel liegt bei ihnen selbst. Vor einigen Wochen hat unser Bischof vor der Untersuchungskommission zu den vielen Fällen von Kindesmissbrauch in Ureinwohner-Familien eine Stellungnahme abgegeben. Und da hat er sehr deutlich gesagt: Jede Lösung, auch so eine Art Bulldozer-Lösung, wie die Regierung sie versucht, muss in Absprache mit den Ureinwohnern ins Werk gesetzt werden.“ „Wir suchen nach Führung. Wir suchen nach jemandem, der sich für uns wirklich interessiert und sich um uns kümmert. Als Papst Johannes Paul II. hierher kam vor etwa zwanzig Jahren – was für eine große Hoffnung war das! Er drängte die Ureinwohner, das ihre beizutragen zu ihrer Kirche, zur Wirtschaft – und er hoffte, dass ihr Beitrag von der Mehrheitsgesellschaft auch angenommen würde…“

Priester, die zu den Eingeborenen gehören, sind eine absolute Seltenheit in Australien. Und auch die Zahl der katholischen Aborigine ist nicht besonders hoch: „Es gibt sechstausend registrierte Katholiken hier, aber manche sagen, davon stimmt nur die Hälfte – also gehen wir mal von dreitausend katholischen Aborigines aus.“ „Wir als Kirche haben sehr viele Aktivitäten zugunsten der Ureinwohner. Zunächst einmal eine eigene karitative Organisation für sie; wir unterstützen ihre Verbände; vor allem aber sind wir einfach da, bei ihnen, arbeiten mit ihnen zusammen in diesen schwierigen Zeiten… und Schulen haben wir natürlich auch und Gesundheitszentren, die ihnen beistehen.“
Nächstes Jahr kommt Papst Benedikt XVI. nach Australien. Dann werden die Kameras des Westens wieder mal auf Australien zoomen – hoffentlich nicht nur auf das fast totfotografierte Opernhaus in Sidney. Vielleicht fällt ja auch für die Aborigine, fern aller Indio-Romantik, etwas echte Aufmerksamkeit ab - und eine Botschaft, die ihnen hilft, ihre Probleme in den Griff zu bekommen.
(rv 08.08.2007 sk)








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