Amnesty International: "Wir treten nicht für die Legalisierung von Abtreibung ein"
Amnesty International
hat angekündigt, in Zukunft für ein Recht auf Abtreibung einzutreten, wenn es unter
anderem um Vergewaltigung oder Inzest geht. Dieser Beschluss geht auf eine Kampagne
zurück mit Namen „Stoppt Gewalt gegen Frauen“. Diese hatte zu Protesten unter Lebensschützern
geführt, aber auch der Präsident des päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden,
Kardinal Rafaele Martino, sagte, Katholiken könnten zukünftig Amnesty nicht mehr unterstützen,
wenn die Organisation ein „Recht auf Abtreibung“ einfordere. Bei mir am Telefon ist
der Medienverantwortliche von Amnesty International Schweiz, Jürg Keller. Guten Tag,
Herr Keller!
Herr Keller, Sie wollen Abtreibung entkriminalisieren und in Fällen
wie Gewalt den Zugang zur Abtreibung fördern. Bedeutet das letztlich nicht eine generelle
Freigabe?
„Wir treten überhaupt nicht für eine Legalisierung der Abtreibung
ein. Das ist für uns überhaupt kein Thema. Wir werden auch nicht aktiv diese Position
zu fördern versuchen, sondern wir werden beispielsweise in Darfur jetzt intervenieren
und der Regierung sagen: ‚Gebt den Frauen, die effektiv in dieser Notlage ihr Kind
nicht austragen können, die Möglichkeit zu einem Schwangerschaftsabbruch, der keine
Risiken beinhaltet.’ Es sterben 70.000 Frauen jährlich an illegalen Schwangerschaftsabbrüchen.
Aber wir werden nie für ein Recht auf Abtreibung eintreten.“
Aber es geht
doch letztlich um das Leben des Kindes – ist Ihre Forderung nicht ein Widerspruch
in sich?
„Das ist kein Widerspruch, wir treten nicht für eine Legalisierung
des Schwangerschaftsabbruchs ein. Sondern wir treten dafür ein, dass Abtreibung nicht
mehr kriminalisiert wird. Es geht uns darum, dass Frauen nicht noch dafür bestraft
werden, indem sie keine entsprechende medizinischen Leistungen erhalten. Das hat einen
Zusammenhang damit, dass wir uns für das Recht auf Gesundheit einsetzen, das ist ja
auch eines der Menschenrechte. In diesem Zusammenhang hat der Staat die Verantwortung,
auch für das Recht dieser Frauen zu sorgen.“
Für die Kirche hat jedes
Leben einen absoluten Wert, sowohl das der Mutter, als auch das des Kindes...
„Da
gehen die Kirche und Amnesty International einfach von sehr unterschiedlichen Positionen
aus. Wir sind keine kirchliche Organisation, wir sind religiös, politisch, wirtschaftlich
völlig unabhängig von solchen Einflüssen. Wir arbeiten allein aufgrund der Menschrechte,
und da gibt es einfach unterschiedliche Positionen. Wir gehen davon aus, diese Frauen
haben extreme Menschenrechtsverletzungen erlitten und diese werden unter Umständen
zusätzliche Menschenrechtsverletzungen erleiden, wenn sie zum Beispiel von ihren Dorfgemeinschaften
in Afrika stigmatisiert werden, weil man ihnen vorwirft, sie tragen das Kind des Feindes
aus. Das ist zwar eine perverse Logik, die dort aber funktioniert, wenn Frauen quasi
als Kriegswaffe benutzt werden. Wir sagen dann: In dieser massiven Notlage für die
Frau soll sie selbst entscheiden, was sie für sich verantworten kann und was nicht.“
Ihnen
geht es also um die leidenden Frauen?
„Ich denke, es ist enorm wichtig,
dass man die schwierige Situation und das Leiden dieser Frauen auch sieht und nicht
einfach vernachlässigt, indem man das allein fokussiert auf das Lebensrecht des Kindes.
Das Leben des Kindes kann nicht ohne das Recht des Lebens der Frauen angeschaut werden,
und ich denke man muss einfach dieses Leiden im Auge behalten und sich bewusst sein,
dass diese Frauen in enorme seelische Nöte geraten. In dieser Situation müssen wir
sie unterstützen und ermöglichen, die Entscheidung zu treffen, die für sie richtig
ist.“
Die Kirche sagt aber, ihr Einsatz für das Leben des Kindes ist keine
religiöse Sonderposition, sondern allgemeingültig: „Das ist natürlich
die Position der Kirche, darüber können wir nicht diskutieren, denke ich, weil sie
da eine völlig andere Grundlage haben, das ist uns bewusst, das können wir auch nicht
verändern. Wir insistieren auf den Menschenrechten und kommen aufgrund dieser Situation
zu einer anderen Position.“
Das Verhältnis zwischen Kirche und amnesty
war bisher immer sehr gut, die Zusammenarbeit eng. Inzwischen ist die Stimmung aber
etwas aufgeheizt:
„Zum einen denke ich, dass diese Stimmung auch überzeichnet
wird. Wir kriegen sehr wenig negative und sehr viele positive Reaktionen, auch gerade
aus katholischen Kreisen. Zum anderen denke ich einfach, dass wir damit leben müssen,
dass wir in dieser einen Position unterschiedliche Auffassungen haben. Aber das bedeutet
– zumindest für uns – nicht, dass wir uns deswegen nicht mehr für Religionsfreiheit
einsetzen, sondern wir werden das weiterhin machen und wir würden eigentlich erwarten,
dass unsere andere Menschenrechtsarbeit, wo wir sehr viele Übereinstimmung haben und
Gemeinsamkeiten haben auch mit kirchlichen Kreisen, dass wir darin weiterhin unterstützt
werden.“