Aus eigenem Antrieb
– motu proprio eben – hat Papst Benedikt XVI. am vergangenen Samstag den alten Messritus
nach den liturgischen Büchern von 1962 wieder allgemein zugelassen. Die der Tradition
verbundenen Katholiken hatten das Schreiben seit vielen Monaten ersehnt, während viele
andere es im Vorfeld abgelehnt hatten, weil sie ein Zurückgehen hinter die Reformen
des II. Vatikanischen Konzils befürchteten. In seinem Begleitbrief erklärte der Papst,
Ziel und Zweck der Freigabe der alten Messe sei es, die Einheit der Kirche wieder
herzustellen. Für die Aussöhnung mit den Traditionalisten ist an der Kurie die päpstliche
Kommission „Ecclesia Dei“ zuständig. Gudrun Sailer sprach mit dem Sekretär der Kommission,
dem luxemburgischen Geistlichen Camille Perl, und fragte ihn zunächst, welche Reaktionen
bisher auf das Motu proprio von traditionalistischen Kreisen eingetroffen sind. Keine
bisher, außer einer Stellungnahme des Generaloberen, des Bischofs Fellay, der das
Motu proprio sehr begrüßt und sehr zufrieden ist, gleichzeitig sagt, das könnte jetzt
eine neue Atmosphäre schaffen, in der man auch mit serenitas, mit Ruhe und Gelassenheit,
die anderen Fragen angehen könnte – die dogmatisch-theologischen Fragen bleiben bestehen.
Fellay legt also gleich den Finger auf das, was noch nicht ist, was seiner Meinung
nach gemacht werden müsste. Das ist nicht nur positiv.
Der Tonfall, in
dem über die alte Messe gestritten wurde, war manchmal schwer erträglich, selbst bei
Sympathie für die Anliegen der Traditionalisten. Wird nun mehr Sachlichkeit in die
Debatte einkehren?
Die Atmosphäre wird sich ändern, dadurch, dass man
sieht, dass der Heilige Vater die beiden Formen des römischen Ritus anerkennt und
sie nebeneinander leben lässt. Er gibt nicht einer den Vortritt und sagt, die anderen
gehören in eine Ecke, sondern es sind ordentliche und außerordentliche Form - was
keine moralische Qualifikation bedeutet - des einen römischen Ritus. Das wird auf
Dauer die Atmosphäre ändern, in der die der Tradition verbundenen Katholiken bisher
gelebt haben. Sie wurden eher als zweit- und drittklassig angesehen. Reformierte
Kirchen, aber auch Katholiken und nicht wenige Bischöfe stehen dem päpstlichen Erlass
kritisch gegenüber, weil sie darin ein Signal in die falsche Richtung sehen. Was antworten
Sie Menschen, die sich um den Gottesdienst sorgen?
Ich kann ihnen nur
sagen, dass man nie besorgt sein sollte, wenn Menschen gut beten. Das kann nicht schlecht
sein, man soll ja auch jeden in seinem Gebet beten lassen, sicher dann wenn die Kirche
mehrere Riten erlaubt. In der katholischen Kirche gab es immer viele Riten. Es gibt
ja nicht nur den römischen Ritus, sondern auch viele orientalischen Riten, die genauso
katholisch sind wie wir. Und niemand nimmt daran Anstoß.
Erwarten Sie nun
immer noch konzertierten Widerstand gegen die alte Messe?
Es wird sicher
weiterhin bei denen, die ganz dagegen sind, Widerstand bleiben, aber ich denke schon,
dass man innerhalb von einem Jahr, zwei Jahren doch eine Situation haben wir, in der
sich das alles etwas einspielt, und dass die Ängste derer, die jetzt ein großes Erdbeben
befürchten, unbegründet sind. In der Karfreitagsliturgie von 1962
sind zwar die „perfiden Juden“ gestrichen, aber es wird für die Bekehrung der Juden
gebetet. Riskieren wir mit der Wiederzulassung des alten Ritus nicht den Dialog mit
dem Judentum?
Ich glaube, dass diese Frage künstlich hochgespielt wird,
ich frage mich in meinem Inneren, warum fürchtet man sich vor den Gebeten, dass die
Juden sich zu Christus bekehren sollen? Das ist ein altes Thema des Christentums.
Man hat es nie anders gehalten. Die Texte, die von einem Schleier über dem Herzen
der Juden sprechen, stammen vom Heiligen Paulus. Er sagt, wenn in den Synagogen das
Wort Gottes gelesen wird, sei ein Schleier über ihren Herzen, und dass die Christen
beten, dass dieser Schleier weggenommen werden müsse, gehört dazu, dass sie allen
das Evangelium verkünden, auch den Juden. Sogar im Gegenteil, nach der Apostelgeschichte
sind sie zuerst zu den Juden gesandt und dann zu den Heiden. Die Kirche würde also
ihre Aufgabe verleugnen, wenn sie nie mehr für die Bekehrung der Juden beten würde.
Kann man die beiden Usus eigentlich auch mischen?
Das
sollte man wohl nicht tun, aber es ist nicht ausdrücklich verboten. Hingegen
ist es ein ausdrücklicher Wunsch des Papstes, dass die beiden Usus einander befruchten
mögen. Wie könnte das konkret aussehen?
Ich glaube, mehr als einzelne
Gebete oder Teile meint der Heilige Vater, dass das große generelle Verhalten dieser
beiden Liturgien sich unterscheidet. Die alte Liturgie ist sehr theozentrisch, auf
Gott zentriert, der Priester schaut immer zum Altar, ist damit viel weniger ausgesetzt
den Blicken der Gläubigen, und die Gesten und Gebete sind viel mehr fixiert, sind
vorgeschrieben. Während im neuen Ritus vieles ja dem Priester überlassen bleibt, so
oder man kann auch anders machen. Und de facto sind viele Dinge schon längst aus der
Übung gekommen, zB wird in Deutschland doch sehr selten das ganze Ordinarium, Gloria,
Credo, wirklich auf deutsch gesungen. Es werden Lieder zum Gloria, Lieder zum Sanctus
gesungen. Das bringt mit sich, dass die Messe im neuen Ritus eine große Vielfalt,
manchmal auch Kreativität, manchmal auch, wie der Papst selbst in seinem Brief sagt,
fast in einem unerträglichen Maß hat. Die neue Liturgie könnte also von der alten
eine größere Stabilität, aber auch eine größere Ehrfurcht im Vollzug lernen.
Als
ich jüngst in einem Gottesdienst des alten Ritus war, ist mir doch eine gewisse Lieblosigkeit
beim Wortgottesdienst aufgefallen. Ist das ein Punkt, bei dem man im alten Ritus ansetzen
sollte?
Jetzt haben Sie einen Missbrauch in der Praxis des alten Ritus
herausgegriffen! Man kann auch im neuen Ritus die Texte sehr lieblos behandeln, außerdem
kann man die Texte, die vorgegeben sind, durch eigene Kreationen ersetzen, das wird
ja leider oft gemacht, die gar nicht biblisch oder liturgisch sind, das ist jedenfalls
gegenüber dem Gottesdienst eine große Lieblosigkeit. Erfüllen Gläubige
die Sonntagspflicht, wenn sie zu einem Priester der Piusbruderschaft in die Messe
gehen?
Es ist sicher eine katholische Messe, da die Priester gültig geweiht
sind und der Ritus ein katholischer Ritus ist, und nach dem Codex kann man seine Sonntagspflicht
in jeder Messe, die von der Kirche anerkannt ist, auch erfüllen. Andererseits weiß
man aber nach 20 Jahren, dass diese Priester nicht in der vollen Gemeinschaft mit
dem Heiligen Stuhl stehen, alle suspendiert sind, die Bischöfe sogar exkommuniziert,
und an diesem Zustand hat sich bisher noch nichts geändert. Wenn es Gläubige gibt,
die einmal oder manchmal dorthin gehen, soll man sie gehen lassen, man kann es aber
nicht den Gläubigen empfehlen, dorthin zu gehen.