Vatikan: Begleitbrief des Papstes, „innere Versöhnung“
Das Messbuch Papst Pauls VI. bleibt weiterhin die „normale Form“ der Liturgie, das
Missale von 1962 sei demgegenüber eine „forma extraordinaria“, eine außerordentliche
Form. Das hat Benedikt XVI. in seinem persönlichen Begleitschreiben zum Motu Proprio
betont. Es sei falsch, von „zwei Riten“ zu sprechen, so der Papst. „Es handelt sich
vielmehr um einen zweifachen Usus ein und desselben Ritus. Birgit Pottler fasst zusammen:
Das Apostolische Schreiben war dem Papst ein besonderes Anliegen, Kritikern
nimmt er im Begleitbrief zunächst den Wind aus den Segeln: „Das Dokument ist Frucht
langen Nachdenkens, vielfacher Beratungen und des Gebetes.“ Nachrichten und Spekulationen
im Vorfeld hätten „in nicht geringem Maße Verwirrung gestiftet“. Die Furcht, das Motu
Proprio stelle die Autorität des II. Vatikanums in Frage, sei unbegründet. Stattdessen
betont Benedikt: „Es geht um eine innere Versöhnung in der Kirche.“ Der Blick in die
Kirchengeschichte zeige, „dass Versäumnisse in der Kirche mit schuld daran sind, dass
Spaltungen sich verfestigen konnten“. Diese Geschichte verpflichte. Der Appell des
Papstes an die Bischöfe, angelehnt an Paulus an die Korinther: „Machen wir unser Herz
weit auf, und lassen wir all dem Raum, wozu der Glaube selbst Raum bietet.“ Viele
Menschen, die sehr wohl das II. Vatikanum anerkannten, sehnten sich dennoch nach „der
ihnen vertrauten Gestalt“ der Liturgie, da das neue Messbuch „vielerorts gar als Verpflichtung
zur ,Kreativität’ aufgefasst wurde“, die zu „kaum erträglichen Entstellungen“ geführt
hätten. Der Papst fügt an: „Ich spreche aus Erfahrung, da ich diese Phase in all ihren
Erwartungen und Verwirrungen miterlebt habe. Und ich habe gesehen, wie tief Menschen,
die ganz im Glauben der Kirche verwurzelt waren, durch die eigenmächtigen Entstellungen
der Liturgie verletzt wurden.“ Das Messbuch von 1962 sei nie abgeschafft
worden. Inzwischen hätten nicht nur ältere, sondern auch junge Menschen, diese Form
der Liturgie für sich entdeckt; deshalb bestehe nun Bedarf für die rechtliche Regelung
im Motu Proprio. Zwischen der alten und der neuen Liturgie bestehe kein
Widerspruch. „Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß;
es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein.“ Um „die volle communio
zu leben“, könnten umgekehrt Priester aus Bruderschaften, die den alten Ritus feiern,
die Zelebrierung nach neuem Messbuch nicht ausschließen. „Im übrigen“, so der Papst,
„können sich beide Formen gegenseitig befruchten“. Das alte Messbuch solle neue Heilige
und einige der neuen Präfationen aufnehmen, umgekehrt solle „jene Sakralität, die
viele Menschen zum alten Usus hinzieht“, in der neuen Liturgie stärker als bisher
zu Tage treten. Unruhen oder neue Spaltungen befürchtet Benedikt allein
aufgrund der Sprache nicht: „Der Gebrauch des alten Missale setzt ein gewisses Maß
an liturgischer Bildung und auch einen Zugang zur lateinischen Sprache voraus; das
eine wie das andere ist nicht gerade häufig anzutreffen.“ Nach drei Jahren
sollen die Bischöfe dem Heiligen Stuhl über ihre Erfahrungen berichten. Sollten „ernsthafte
Schwierigkeiten“ aufgetreten sein, könne man gemeinsam Wege zur Abhilfe suchen. (rv
07.07.2007 bp)
Hier der Text des Begleitbriefs: Liebe Brüder im Bischofsamt,
hoffnungsvoll
und mit großem Vertrauen lege ich den Text eines neuen als Motu Proprio erlassenen
Apostolischen Schreibens über den Gebrauch der römischen Liturgie in ihrer Gestalt
vor der 1970 durchgeführten Reform in Eure Hände, die Hände der Hirten. Das Dokument
ist Frucht langen Nachdenkens, vielfacher Beratungen und des Gebetes.
Nachrichten
und Beurteilungen, die ohne ausreichende Kenntnis vorgenommen wurden, haben in nicht
geringem Maße Verwirrung gestiftet. Es gibt sehr unterschiedliche Reaktionen, die
von freudiger Aufnahme bis zu harter Opposition reichen und die sich auf ein Vorhaben
beziehen, dessen Inhalt in Wirklichkeit nicht bekannt war.
Dem Dokument standen
näherhin zwei Befürchtungen entgegen, auf die ich in diesem Brief etwas näher eingehen
möchte. An erster Stelle steht die Furcht, hier werde die Autorität des II. Vatikanischen
Konzils angetastet und eine seiner wesentlichen Entscheidungen – die liturgische Reform
– in Frage gestellt. Diese Befürchtung ist unbegründet. Dazu ist zunächst zu sagen,
daß selbstverständlich das von Papst Paul VI. veröffentlichte und dann in zwei weiteren
Auflagen von Johannes Paul II. neu herausgegebene Missale die normale Form – die Forma
ordinaria – der Liturgie der heiligen Eucharistie ist und bleibt. Die letzte dem
Konzil vorausgehende Fassung des Missale Romanum, die unter der Autorität von
Papst Johannes XXIII. 1962 veröffentlicht und während des Konzils benützt wurde, kann
demgegenüber als Forma extraordinaria der liturgischen Feier Verwendung finden.
Es ist nicht angebracht, von diesen beiden Fassungen des Römischen Meßbuchs als von
„zwei Riten“ zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um einen zweifachen Usus ein und
desselben Ritus.
Was nun die Verwendung des Meßbuchs von 1962 als Forma
extraordinaria der Meßliturgie angeht, so möchte ich darauf aufmerksam machen,
daß dieses Missale nie rechtlich abrogiert wurde und insofern im Prinzip immer zugelassen
blieb. Im Augenblick der Einführung des neuen Meßbuchs schien es nicht notwendig,
eigene Normen für den möglichen Gebrauch des bisherigen Missale zu erlassen. Man ging
wohl davon aus, daß es sich um wenige Einzelfälle handeln würde, die fallweise am
jeweiligen Ort zu lösen seien. Dann zeigte sich aber bald, daß vor allem in Ländern,
in denen die Liturgische Bewegung vielen Menschen eine bedeutende liturgische Bildung
und eine tiefe innere Vertrautheit mit der bisherigen Form der liturgischen Feier
geschenkt hatte, nicht wenige stark an diesem ihnen von Kindheit auf liebgewordenen
Gebrauch des Römischen Ritus hingen. Wir wissen alle, daß in der von Erzbischof Lefebvre
angeführten Bewegung das Stehen zum alten Missale zum äußeren Kennzeichen wurde; die
Gründe für die sich hier anbahnende Spaltung reichten freilich viel tiefer. Viele
Menschen, die klar die Verbindlichkeit des II. Vaticanums annahmen und treu zum Papst
und zu den Bischöfen standen, sehnten sich doch auch nach der ihnen vertrauten Gestalt
der heiligen Liturgie, zumal das neue Missale vielerorts nicht seiner Ordnung getreu
gefeiert, sondern geradezu als eine Ermächtigung oder gar als Verpflichtung zur „Kreativität“
aufgefaßt wurde, die oft zu kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie führte. Ich
spreche aus Erfahrung, da ich diese Phase in all ihren Erwartungen und Verwirrungen
miterlebt habe. Und ich habe gesehen, wie tief Menschen, die ganz im Glauben der Kirche
verwurzelt waren, durch die eigenmächtigen Entstellungen der Liturgie verletzt wurden.
So sah sich Papst Johannes Paul II. veranlaßt, mit dem Motu Proprio „Ecclesia
Dei“ vom 2. Juli 1988 eine Rahmennorm für den Gebrauch des Missale von 1962 zu
erlassen, die freilich keine Einzelbestimmungen enthielt, sondern grundsätzlich an
den Großmut der Bischöfe gegenüber den „gerechtfertigten Wünschen“ derjenigen Gläubigen
appellierte, die um diesen Usus des Römischen Ritus baten. Der Papst hatte damals
besonders auch der „Priester-Bruderschaft des heiligen Pius X.“ helfen wollen, wieder
die volle Einheit mit dem Nachfolger Petri zu finden, und hatte so eine immer schmerzlicher
empfundene Wunde in der Kirche zu heilen versucht. Diese Versöhnung ist bislang leider
nicht geglückt, aber eine Reihe von Gemeinschaften machten dankbar von den Möglichkeiten
dieses Motu Proprio Gebrauch. Schwierig blieb dagegen die Frage der Verwendung des
Missale von 1962 außerhalb dieser Gruppierungen, wofür genaue rechtliche Formen fehlten,
zumal die Bischöfe dabei häufig fürchteten, die Autorität des Konzils werde hier in
Frage gestellt. Hatte man unmittelbar nach dem Ende des II. Vaticanums annehmen können,
das Verlangen nach dem Usus von 1962 beschränke sich auf die ältere Generation, die
damit aufgewachsen war, so hat sich inzwischen gezeigt, daß junge Menschen diese liturgische
Form entdecken, sich von ihr angezogen fühlen und hier eine ihnen besonders gemäße
Form der Begegnung mit dem Mysterium der heiligen Eucharistie finden. So ist ein Bedarf
nach klarer rechtlicher Regelung entstanden, der beim Motu Proprio von 1988 noch nicht
sichtbar war; diese Normen beabsichtigen, gerade auch die Bischöfe davon zu entlasten,
immer wieder neu abwägen zu müssen, wie auf die verschiedenen Situationen zu antworten
sei.
Als zweites wurde in den Diskussionen über das erwartete Motu Proprio
die Befürchtung geäußert, eine erweiterte Möglichkeit zum Gebrauch des Missale von
1962 werde zu Unruhen oder gar zu Spaltungen in den Gemeinden führen. Auch diese Sorge
scheint mir nicht wirklich begründet zu sein. Der Gebrauch des alten Missale setzt
ein gewisses Maß an liturgischer Bildung und auch einen Zugang zur lateinischen Sprache
voraus; das eine wie das andere ist nicht gerade häufig anzutreffen. Schon von diesen
konkreten Voraussetzungen her ist es klar, daß das neue Meßbuch nicht nur von der
rechtlichen Normierung, sondern auch von der tatsächlichen Situation der gläubigen
Gemeinden her ganz von selbst die Forma ordinaria des Römischen Ritus bleibt. Es
ist wahr, daß es nicht an Übertreibungen und hin und wieder an gesellschaftlichen
Aspekten fehlt, die in ungebührender Weise mit der Haltung jener Gläubigen in Zusammenhang
stehen, die sich der alten lateinischen liturgischen Tradition verbunden wissen. Eure
Liebe und pastorale Klugheit wird Anreiz und Leitbild für eine Vervollkommnung sein.
Im übrigen können sich beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten:
Das alte Meßbuch kann und soll neue Heilige und einige der neuen Präfationen aufnehmen.
Die Kommission Ecclesia Dei wird im Kontakt mit den verschiedenen Institutionen
die sich dem usus antiquior widmen, die praktischen Möglichkeiten prüfen.
In der Feier der Messe nach dem Missale Pauls VI. kann stärker, als bisher weithin
der Fall ist, jene Sakralität erscheinen, die viele Menschen zum alten Usus hinzieht.
Die sicherste Gewähr dafür, daß das Missale Pauls VI. die Gemeinden eint und von ihnen
geliebt wird, besteht im ehrfürchtigen Vollzug seiner Vorgaben, der seinen spirituellen
Reichtum und seine theologische Tiefe sichtbar werden läßt.
Damit bin ich
bei dem positiven Grund angelangt, der mich veranlaßt hat, mit diesem Motu Proprio
dasjenige von 1988 fortzuschreiben. Es geht um eine innere Versöhnung in der Kirche.
In der Rückschau auf die Spaltungen, die den Leib Christi im Lauf der Jahrhunderte
verwundet haben, entsteht immer wieder der Eindruck, daß in den kritischen Momenten,
in denen sich die Spaltung anbahnte, von seiten der Verantwortlichen in der Kirche
nicht genug getan worden ist, um Versöhnung und Einheit zu erhalten oder neu zu gewinnen;
daß Versäumnisse in der Kirche mit schuld daran sind, daß Spaltungen sich verfestigen
konnten. Diese Rückschau legt uns heute eine Verpflichtung auf, alle Anstrengungen
zu unternehmen, um all denen das Verbleiben in der Einheit oder das neue Finden zu
ihr zu ermöglichen, die wirklich Sehnsucht nach Einheit tragen. Mir kommt da ein Wort
aus dem zweiten Korintherbrief in den Sinn, wo Paulus den Korinthern sagt: „Unser
Mund hat sich für euch aufgetan, Korinther, unser Herz ist weit geworden. In uns ist
es nicht zu eng für euch; eng ist es in eurem Herzen. Laßt doch als Antwort darauf
… auch euer Herz weit aufgehen!“ (2 Kor 6, 11–13). Paulus sagt das in anderem
Zusammenhang, aber sein Anruf kann und soll uns gerade auch in dieser Sache berühren.
Machen wir unser Herz weit auf, und lassen wir all dem Raum, wozu der Glaube selbst
Raum bietet.
Es gibt keinen Widerspruch zwischen der einen und der anderen
Ausgabe des Missale Romanum. In der Liturgiegeschichte gibt es Wachstum und Fortschritt,
aber keinen Bruch. Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und
groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein. Es tut uns
allen gut, die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und Beten der Kirche gewachsen
sind und ihnen ihren rechten Ort zu geben. Um die volle communio zu leben,
können die Priester, die den Gemeinschaften des alten Usus zugehören, selbstverständlich
die Zelebration nach den neuen liturgischen Büchern im Prinzip nicht ausschließen.
Ein völliger Ausschluß wäre nämlich nicht in Übereinstimmung mit der Anerkennung des
Wertes und der Heiligkeit des Ritus in seiner erneuerten Form.
Abschließend,
liebe Mitbrüder, liegt mir daran zu betonen, daß diese neuen Bestimmungen in keiner
Weise Eure Autorität und Verantwortlichkeit schmälern, weder hinsichtlich der Liturgie
noch was die Seelsorge an Euren Gläubigen anbelangt. In der Tat steht jedem Bischof
das Recht zu, in der eigenen Diözese die Liturgie zu ordnen (vgl. Sacrosanctum
Concilium, Nr. 22: „Sacrae Liturgiae moderatio ab Ecclesiae auctoritate unice
pendet quae quidem est apud Apostolicam Sedem et, ad normam iuris, apud Episcopum“).
Nichts wird folglich der Autorität des Bischofs weggenommen, dessen Aufgabe
in jedem Fall jene bleibt, darüber zu wachen, daß alles friedlich und sachlich geschieht.
Sollten Probleme auftreten, die der Pfarrer nicht zu lösen imstande ist, kann der
Ordinarius immer eingreifen, jedoch in völliger Übereinstimmung mit den im Motu Proprio
festgelegten neuen Bestimmungen.
Außerdem lade ich Euch, liebe Mitbrüder,
hiermit ein, drei Jahre nach dem Inkrafttreten des Motu Proprio dem Heiligen Stuhl
über Eure Erfahrungen Bericht zu erstatten. Wenn dann wirklich ernsthafte Schwierigkeiten
aufgetreten sein sollten, können Wege gesucht werden, um Abhilfe zu schaffen.
Liebe
Brüder, dankbar und zuversichtlich vertraue ich Eurem Hirtenherzen diese Seiten und
die Bestimmungen des Motu Proprio an. Seien wir stets eingedenk der Worte des Apostels
Paulus, die er an die Ältesten von Ephesus gerichtet hat: „Gebt acht auf euch und
auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit
ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen
Sohnes erworben hat“ (Apg 20, 28).
Der mächtigen Fürsprache Mariens,
der Mutter der Kirche, vertraue ich diese neuen Bestimmungen an und erteile Euch,
liebe Mitbrüder, den Pfarrern in Euren Diözesen und allen Priestern, die Eure Mitarbeiter
sind, sowie allen Euren Gläubigen von Herzen meinen Apostolischen Segen.