Mit der Rede des Papstes
in Aparecida ist die „Option für die Armen“ endgültig in die offizielle Theologie
aufgenommen worden. Davon ist der deutsch-brasilianische Theologe Paulo Suess überzeugt.
Der Papst habe die „Option für die Armen“, also die zentrale Idee der Befreiungstheologie,
deutlich an das „Christus-Bild“ gebunden und damit salonfähig gemacht, erklärte der
Theologe gestern in Wien. In der Abschlusserklärung, die die Bischöfe Lateinamerikas
und der Karibik dem Papst gestern überreichten, ist von der Befreiungstheologie zwischen
den Zeilen die Rede, beobachtet Suess:
„Der Name ‚Befreiungstheologie’
kommt nicht vor im Dokument. Auch ‚Lateinamerikanische Theologie’, was dann eine
Ersatzformulierung wäre, kommt nicht vor. Aber mir sagten dann Bischöfe: Warum sollten
wir jetzt streiten, wenn die Inhalte da sind, wie die ‚Option für die Armen’ und das
‚Sehen - urteilen - handeln’? Wenn auch nicht pur, aber so ist das in einem Pluralismus
– da muss man Zugeständnisse machen.“
Die Kirche in
Lateinamerika habe ein hohes Ansehen, trotz Licht und Schatten der Evangelisierung
der indigenen Völker, erklärt Suess:
„Aber warum hat sie eigentlich ein
großes Ansehen? Weil sie das verwirklicht, was die Befreiungstheologie vor dreißig
Jahren initiiert hat: Die ‚Option für die Armen’, dass wir die Wirklichkeit sehen,
dass wir zu den Leuten gehen, dass wir mit den Indios zusammen leben, dass auch der
interkulturelle Dialog funktioniert. Darum hat sie ein großes Ansehen. Das wird natürlich
nicht gesagt.“
Die Papstreise nach Brasilien hatte insgesamt
einen positiven Effekt, resümiert Suess: „Die einzigen, die eigentlich
gegen den Papst etwas einzuwenden hatten, waren die Indios gewesen, und nicht wegen
des Papstes an sich – sie sind alle sehr päpstlich –, sondern bezüglich der Identität
der Indios. Dass sie eigentlich ihre Identität erst durch das Christentum bekommen
hätten, das wurde so unvermittelt gesagt, und da haben sie protestiert. Der Papst
hat ja auch freundlicherweise einen ‚quasi-Rückzieher’ gemacht, in dem er sagte, das
sei sehr schmerzlich gewesen, das habe er vergessen zu sagen. So hat er das natürlich
nicht gesagt, aber man kann es dennoch zwischen den Zeilen lesen.” (Studio Omega
12.06.2007 sis)