D: Martin Walser, "Benedikt ist eine Überraschung"
Martin Walser, einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller, wurde vor kurzem
80 Jahre alt. Mit ihm sprach Aldo Parmeggiani für unsere Sendung „Menschen in der
Zeit“, die am 10. und 12. Juni zu hören ist.
16 Romane hat Martin Walser geschrieben,
zusammen ergeben sie eine Art bürgerliche Geschichtsschreibung der Bundesrepublik.
Walsers Romanhelden sind deutsche Kleinbürger: Angestellte, Lehrer, Chauffeure - eben
'Abhängige', wie der Schriftsteller selbst sagt. Walser gilt als streitbarer Schriftsteller,
der öfter in die Schlagzeilen der Kritik geraten ist: vor allem mit seinem Buch 'Tod
eines Kritikers', in dem sich der bekannte Literaturkenner Marcel Reich-Ranicki unfreiwillig
als Hauptfigur wieder zu erkennen glaubte. Im deutschen Sprachraum ist Walser nicht
nur eine schriftstellerische, sondern auch eine intellektuelle Instanz. Ein Schriftsteller,
der uns zeigt, was es heißt, in der Geschichte zu leben. Herr Dr.
Walser, Sie besitzen eine gute Tenorstimme, eigentlich wollten Sie einmal Sänger werden?
Heute
ist von meiner Tenorstimme nicht mehr viel übrig. Aber, ja, das stimmt: ich wollte
einmal Sänger werden. Ich habe immer gerne gesungen, aber eben nur bis zum 20. Lebensjahr.
Dann habe ich gemerkt, dass andere es besser können. Und so bin ich nur Amateur geblieben. Sie
haben in der Katholischen Universität, in der Theologischen Hochschule Regensburg
und in Tübingen studiert. Sind Sie dabei etwa auch Joseph Ratzinger begegnet? Sie
sind ja derselbe Jahrgang?
Gesehen haben wir uns nicht, vielleicht waren
wir in den denselben Vorlesungen über Thomas von Aquin bei Rektor Ingler. Die könnte
er auch gehört haben. Was würden Sie denn gerne über diesen Papst
sagen, Herr Walser?
Dass er eine der größten Überraschungen meines Lebens
ist. Das hat allerdings schon angefangen mit seinem Vorgänger, mit dessen Sterben.
Da habe ich zum ersten Mal begriffen, dass Fernsehen nicht Wirklichkeit darstellt,
sondern Wirklichkeit schafft. Wenn man also Zeuge eines wirklichen Vorgangs wird,
der einem Erfahrungen vermittelt. Dann dieser neue Papst, den wir alle nur - mehr
oder weniger - als ein geistreiches Gerücht gekannt haben. Er hat uns, wie wir jetzt
alle wissen, durch seine Erscheinung sozusagen begeistert. Er hat eben Charisma. Das
hat man vorher nicht merken können, als er Kardinal war. Die Leute, die näher um
ihn herum waren, haben es vielleicht immer schon gemerkt. Ich habe es nicht gewusst
und nicht geahnt. Einerseits war er dieser hohe Intellektuelle, und jetzt ist er diese
zu Herzen gehende Einfachheit. Das ist die Überraschung. Kommen
wir wieder zu Ihnen: Was würden Sie als Ihren hauptsächlichen Schreibantrieb bezeichnen?
Mein
Gott, das ist im Laufe eines langen Lebens eine lange Geschichte. Ich habe es einmal
zusammengefasst in eine Formel, aber die sagt auch nicht alles. Ich habe gesagt: meine
Muse ist der Mangel. Wenn mir etwas fehlt, fällt mir etwas ein. Wenn die Welt vollkommen
wäre, wenn alles so wäre, wie es sein sollte, dann würde kein Mensch schreiben. Das
heißt, dann gäbe es vielleicht auch keinen Schmerz. Das kann aber auch nicht stimmen,
denn der Tod bleibt ja erhalten. Aber trotzdem: es ist eher der Mangel als der Überfluss,
der mich zum Schreiben bringt. Welche Hauptaufgaben haben eigentlich
Künstler, intellektuelle Menschen, in unserer Zeit?
Ich glaube nicht,
dass es eine Aufgabenstellung gibt oder geben kann bei einer so buntgemischten Schar,
wie Künstler es sind. Ich glaube, dass jeder Einzelne - bleiben wir bei den Schriftstellern
- aus seinen Erfahrungen heraus arbeitet und das dann anbietet. Und wenn alle zusammen
jeweils aus ihren Erfahrungen arbeiten, dann gibt es vielleicht etwas, womit die Gesellschaft
etwas anfangen kann. Aber daraus ergibt sich kein Auftrag, keine Aufgabenstellung.
Es muss auch jeder für sich verantworten, was er tut. Sie sprechen
von Erfahrungen, Sie haben ja nicht nur als Schriftsteller auf die Menschen gewirkt,
sondern über Ihre zahlreichen Reden und Stellungnahmen auch politischen Einfluss ausgeübt.
Linke wie Rechte haben Martin Walser oft - je nach Thema - sozusagen vor ihren Karren
spannen wollen. Wo liegt denn hier die Wahrheit, wo liegt die Mitte? Oder sind solche
Schubladen einfach zu klein für einen Autor, der über Jahrzehnte hindurch deutsche,
europäische Befindlichkeit registriert hat?
Also, die Worte links und rechts
sagen mir seit langem nichts mehr. Als ich - natürlich nachträglich - gemerkt habe,
was mir alles passiert ist, habe ich auch versucht, zu verstehen, was das Kontinuierliche
war. Ich bin ja in einer sehr katholischen Kindheit aufgewachsen und habe auch durch
meine Mutter, die eine unendliche Katholikin war, nichts so sehr mitbekommen wie ein
Bedürfnis nach mehr Gerechtigkeit. Das heißt also, dass man unwillkürlich für die
Benachteiligten ist, dass es bei denen gerechter zugehe. So etwas wird dann im Lauf
der Jahrzehnte, im Lauf der Aktualitäten und der Gesellschaften und der wechselnden
Zeitgeistlaunen mit politischen Wörtern zugedeckt. Das nennt man dann links und rechts
und die Gesellschaft ist dann dafür, dass man so ist, oder sie ist dagegen. Aber ich
bleibe dabei: Ich habe mich geniert, wenn es mir besser ging als anderen. Das darf
ich sagen. Das war immer das letzte Motiv dessen, was ich getan habe. Was
bedeutet Ihnen, Herr Walser, Religion, sagen wir, religiöse Werte? Welchen Stellenwert
nimmt in Ihrer Gedankenwelt die Religion ein?
Ja, sie ist natürlich -
sagen wir - die höchste Frequenz der menschlichen Stimme. Ich habe sie ja von Anfang
an und in vielen Variationen kennen gelernt und bin dann immer wieder zu Menschen
gekommen, die begabt waren - und ich nenne dies eine Begabung - die religiös begabt
waren. Ich war 20 Jahre lang sehr eng verbunden mit einer Lyrikerin, Maria Menz, hier
aus dem Oberland. Das war eine große Religiöse. Im Kontakt und im Briefwechsel mit
ihr habe ich gemerkt, was für eine Begabung das ist! So glauben zu können, wie diese
Maria Menz. Jetzt als letzten habe ich Andreas Beck in Konstanz, der sowohl Theologie
wie Medizin hinter sich gebracht hat, kennen gelernt, der mir auch ein Beispiel ist,
was das bedeutet, wenn man glauben kann. Ich habe es verglichen mit dem Musikgehör: Nicht
jeder hat ein Musikgehör, nicht jeder hat die Fähigkeit zu glauben, nicht jeder dieses
Gehör für den Oberton. Ich weiß: das ist nicht eine Frage des Muts, das ist eine Frage
der Begabung, ob man und wie sehr man glauben kann. Ich habe auch zum Teil die philosophische
Strecke hinter mich gebracht, hauptsächlich mit Kierkegaard, der für mich den schönen
Satz geschrieben hat: Die Größe des Glaubens ist erkenntlich an der Größe des Unglaubens.
Dass man nicht in einem ruhigen Glauben einschlafen kann, sondern dass das eine dauernde
Bewegung, eine gefährdete, aber eine notwendige Bewegung ist, glauben zu können. Aber
kein Besitz, es ist kein Besitz. Das ist keine reine Positivität, es ist aber auch
keine reine Negativität. Es ist eben die Bewegung. Ja, Religion ist insofern das Schönste,
als es das Vermögen ist, etwas als Vorstellung zu haben, was jenseits des Beweisbaren
ist. Für einen Schriftsteller ist die folgende Frage sozusagen
eine Mussfrage: Wie wichtig ist die Liebe für Sie? Sie wissen, dieser Papst hat seine
erste Enzyklika 'Deus caritas est' der Liebe gewidmet. Auch dem Eros, auch der erotischen
Liebe. Wie wichtig ist die Liebe?
Ja, da können Sie auch fragen, wie wichtig
ist der Sauerstoff? Oder wir können sagen, die Liebe ist der Sauerstoff der Seele.
Ich habe ja eine etwas einschränkende Formulierung einmal gebrauchen müssen: Man liebt
so sehr, wie man es erträgt, geliebt zu werden. Wenn man nicht geliebt werden will,
kann man auch nicht lieben. Das ist auch so eine Problembewegung. Das ist auch kein
ruhiger Besitz, die sogenannte Liebe. Herr Walser, was bedeutet
Franz Kafka, über den Sie Ihre Doktorarbeit geschrieben haben, den Menschen von heute?
Was sagt dieser einst gerade von der Jugend so geliebte Schriftsteller heute jungen
Menschen?
Das weiß ich nicht. Ich muss sagen: Wenn man, wie ich, einmal
mehrere Jahre einen solchen Autor so nahe gehabt hat, jeden Tag mit ihm umgegangen
ist, Jahre hindurch, dann wird er Teil des eigenen Lebens, dann wird er zu dir. Ich
unterhalte mich heute mit niemandem darüber, was er anderen ist. Das muss auch jeder
für sich machen. Das ist nicht eine Frage der öffentlichen Meinung. Kafka ist eine
Wesentlichkeit, die man genau wie andere höchste Texte der Menschheit zur täglichen
Erfahrung werden lassen kann, wenn man sich auf sie angewiesen fühlt. Es wird niemand
nach Kafka greifen, der glaubt, ihn gar nicht nötig zu haben. Aber wer ihn einmal
nötig gehabt hat, für den wird er immer, immer, ein Reservoir sein, eine Zuflucht,
mit der man in den entsprechenden Augenblicken umgeht. Hölderlin, Kafka und Robert
Walser: das sind meine drei Text-Lieferanten. Haben Sie ein neues
Projekt in Arbeit und - wenn ja - ist dieses Projekt auch an die Jugend gerichtet?
Nein,
das muss ich verneinen. Ich kann nichts schreiben, das an jemanden gerichtet wäre.
Weder für die Jugend, Erwachsenen noch sonstige Gruppen, die man in der Soziologie
grauenhafterweise Zielgruppen nennt. Nein, ich schreibe meine Sachen aus eigener Notwendigkeit
heraus. Und ich biete sie dann an und es kann danach greifen, wer will. Es kann auch
die Jugend sein. Ich weiß nicht, wie lange man zur Jugend zählt, aber an den Briefen,
die ich bekomme, sehe ich durchaus, dass es auch Leute unter 25 sind, die mich lesen.
Aber ich kann mich nicht an sie wenden, dazu fehlt mir der pädagogische Eros, sage
ich jetzt einmal. Wenige deutsche Schriftsteller - ich glaube, man
kann das sagen - haben sich so intensiv mit den Symptomen unserer Zeit befasst wie
Sie. Haben Sie als Zeitzeuge eine Definition für unsere Zeit?
Ich glaube
nicht, dass das nötig ist. Eine Definition, das wäre ja eine Diagnose. Das läge noch
näher als Definition, wenn man Symptome beschreiben würde. Gut, das tut man unwillkürlich,
als Schriftsteller. Aber ich finde, man darf sich hüten, Summen zusammenzählen zu
wollen, oder man muss sich hüten - wenigstens Schriftsteller sollen das tun - die
ganze Zeit mit ein paar Etiketten bezeichnen zu wollen. Natürlich merke ich das an
meinen Büchern. Der Anlass für meine Bücher ist, wie gesagt, der Mangel. Das, was
uns fehlt. Natürlich merke ich da auch, was uns fehlt. Ich reagiere darauf, schreibend.
Aber nie summierend, nie etikettierend. Nie definierend. Alles Definieren ist mir
fremd. Wörter kann man vielleicht definieren, ich zitiere auch gerne gut Gesagtes.
Aber das andere, dieses Summieren, das kommt mir mehr soziologisch vor und nicht für
einen, der Romane schreibt. Ein immer wiederkehrendes Motiv in
ihren Werken ist das Scheitern am Leben. Innere Konflikte finden sich in allen Ihren
Romanen. Kann der Mensch glücklich sein?
Eine weibliche Figur in einem
Roman von mir kommt einmal zu dem Wort: Unglücksglück. Das ist die einzige Form des
Glücks, zu der sie gefunden hat. Das nennt sie Unglücksglück. Das scheint mir ein
günstiges Wort zu sein für den möglichen Zustand zwischen Glück und Unglück und dem
Hin und Her von Glück und Unglück. Wenn jemand nur vom Glück oder nur vom Unglück
spräche, dann bleibt die Erfahrung - würde ich sagen - ungenau und ungeprüft. Es gäbe
gar kein Glück, wenn es kein Unglück gäbe! Das Wort Glück wäre völlig sinnlos. Wäre
gar nicht erlebbar, wenn ihm das Unglück nicht entgegenstünde. Ich habe auch einmal
den Satz geschrieben: Nichts wäre ohne sein Gegenteil wahr! Das trifft auch auf das
Glück zu. Das sagt auch Kierkegaard: Wer diese Wesentlichkeiten trennt, der passt
besser in die Meteorologie als in die Philosophie. Wir haben im
Laufe dieses Gesprächs auch über die Gerechtigkeit, über den Glauben gesprochen, ich
möchte noch die Frage hinzufügen, was ist für Sie das Gewissen?
Ja, das
ist meine Begleitung von Anfang an. Das habe ich schon als Kind - Beichtstuhl, die
Gewissenserforschung, Sie wissen - gespürt. Da geht man hinein, benützt eine vorgegebene
Sprache, es gehört dazu, dass man einen Vorsatz fasse und die vollkommene Reue spüre,
und dann merkt man, wie schwer das ist, eine vollkommene Reue in sich zu etablieren.
Und dann merkt man, dass man hin- und hergerissen wird, zwischen dem Befehl einer
vollkommenen Reue und dieser Meldung, dass es vielleicht wieder anders werden könnte.
Und dieser jugendliche, kindheitliche Streit, glaube ich, schult jedes katholische
Kind in dem Gewissensraum, in dem es später sein Leben verbringen wird. Das heißt
also: Wenn man damit angefangen hat, wird man nie mehr damit aufhören können. Und
so gibt es das Gewissen eigentlich nur als ein schlechtes Gewissen. Ich glaube, das
gute Gewissen gibt es gar nicht. Das gute Gewissen spürt man ja nicht. Woran soll
man merken, dass man ein gutes Gewissen hat? Aber sofort, wenn etwas ist, wie nicht
hätte sein sollen, kommt die Meldung des schlechten Gewissens. Und dann merkst du
wieder, dass du ein Gewissen hast. Ich glaube, es war Heidegger, der das Gewissen
als innerste Einsamkeit bezeichnet hat. Die hat man wohl diese innerste Einsamkeit.
Deswegen bin ich auch einmal nicht gelobt worden dafür, als ich sagte, das Gewissen
ist nicht delegierbar. Delegierbar an den Staat, an die Gesellschaft, an die Institutionen.
Das Gewissen hat jeder für sich. Eine intensive Aussage, Herr Walser,
der gegenüber die nächste Frage eher prosaisch klingt: Als Sie in Ihrem Schlüsselroman
'Tod eines Kritikers' den bekannten Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki kritisierten,
hagelte es Proteste. Ist diese Angelegenheit inzwischen beendet?
Für mich
ist das erledigt, für mich war das Buch hochnotwendig, als Antwort auf eine lange
währende Erfahrung. Ich kann dazu nur sagen: ich hätte das Buch nicht geschrieben,
wenn jener Kritiker dann nicht diese Fernseh-Machtausübung praktiziert hätte. Dem
schreibenden Kritikergewerbe hätte ich nie mit einem solchen Buch geantwortet. Ich
habe nur im Fernsehen eine Anmaßung erlebt, eine Anmaßung des Urteils vor einem Massenpublikum,
das den Gegenstand dieses Urteils ja gar nicht zur Kenntnis nehmen konnte. Gut, gegen
das musste ich, nachdem ich lange gewartet habe, dieses Buch schreiben. Jetzt ist
es hinter mir, ich kann es keine Sekunde lang bereuen, sondern es war für mich hochnotwendig.
Martin Walser wird bereits zu seinen Lebenszeiten in Symbolen dargestellt, zum
Beispiel als Wasser spendender Brunnen in Überlingen am Bodensee. Welche andere Darstellung
würden Sie sich denn wünschen? Ein fliehendes Pferd, ein Eichhorn etwa, um bei Ihrer
Schaffenswelt zu bleiben?
Nach den Erfahrungen, was hier in Überlingen
auf dem Platz steht, muss ich vorsichtig sein mit solchen Wünschen. Ich finde das
nicht gelungen, was da steht. Nein, diese Verdinglichungen von Sprachvorkommen und
Romanfiguren - und seien sie schön - die braucht der Schriftsteller nicht. Ich mache
meine Figuren, und wenn diese Figuren von den Menschen aufgenommen werden - ich merke
das an den Leserbriefen - ist das die schönste Lektüre, die es für einen Schriftsteller
gibt. Das genügt mir als Andeutung dafür, dass man in der Welt ist. Sie
haben in Ihrer Jugend Gedichte geschrieben. Dann nicht mehr, jedenfalls nicht für
die Öffentlichkeit. Könnte es sein, dass Sie noch einmal zur Lyrik zurückfinden?
Ich habe nie aufgehört, Gedichte zu schreiben. Ich habe mich nie als Lyriker
im Literaturbetrieb gemeldet, aber ich kann nicht aufhören Gedichte zu schreiben.
Es ist ein Menschenrecht, Gedichte schreiben zu dürfen. Ich habe einmal einen Vierzeiler
geschrieben, der lautet: Ich bin an den Sonntag gebunden wie an eine Melodie. Ich
habe keine andere gefunden, ich glaube nicht, aber ich knie. Ich
glaube, das wäre ein schöner Schluss für unser langes Zwiegespräch. Eine allerletzte
Frage sei noch gestattet: Herr Walser, mit 80 Jahren kann man nicht nur besser die
Vergangenheit beurteilen, sondern den Blick auch weiter in die Zukunft richten: Was
sehen Sie da?
Ich bin ein Sprachmensch, die Sprache ist die andauernde
Hochzeit aus Natur und Geschichte. Und deshalb hat man es immer mit dem Gewesenen
zu tun. Ich sage auch: Was einmal war, hört nicht auf, gewesen zu sein. Sie hören
schon, da gibt es keine Zukunft. Es gibt sie natürlich, aber ich habe überhaupt keine
in mir, wahrscheinlich, weil ich keine pädagogische Anlage habe. Ich habe in mir kein
Bedürfnis, die Zukunft zu buchstabieren. Sie besteht dann, wenn sie konkret wird für
mich, nur in meinen Kindern und Enkelkindern. In ihnen sehe ich kommende Jahre, kommende
Zeiten und wünsche mir und ihnen natürlich alles möglich Beste.
Das Gespräch
führte Aldo Parmeggiani, Radio Vatikan. (rv 08.06.2007 ap)